68. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1950/51
Maximilian von Polhaim, dessen Kinder er unterrichtet hatte, erlangte Ortner ein Stipendium an der Universität Wittenberg. Ortners Briefe spiegeln noch einmal einen Abglanz der langsam versinkenden Zeit der humanistischen Epistolographie. Form und In¬ halt zeugen für den Stil der Zeit und ihre Kultur, und wir können in diesen Dokumenten noch nicht jene Verfallserscheinungen feststellen, wie sie kurze Zeit darauf eintreten. War doch die Kunst des Wortes, die „eloquentia“, seit Aenea Silvio Piccolomini hoch im Ansehen ge¬ stiegen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß ein Brief in jener Zeit Erasmus hat schon vor 1500 in einem Traktat „De conscriben¬ ungefähr dis epistulis“ dementsprechende Erläuterungen gegeben — jene Stellung einnimmt, die heute der Presse, oder besser einer wissen¬ schaftlich=literarischen Zeitschrift vorbehalten ist. Abhandlungen in Briefen waren um die Mitte des 15. Ihs. große literarische Mode. Man ist der Meinung, daß diese „Wohlredenheit“ in Regeln zu fassen und lernbar sei; jeder Gebildete könne sich daher dieser neuen Wissenschaft bedienen. So wird das Gold des klassischen Geistes in Umlauf gebracht, der Humanismus wird Gemeingut aller Gebildeten. Kommt Ortner auch nicht an den eleganten Stil und die feine Ausdrucksweise eines Erasmus heran, so versteht er es gleichwohl, die Verpflichtung der „Danksagung“ über empfangene Gelder herzlich zu gestalten und im Ersuchen um neue Zuschüsse nicht in die Rolle eines lästigen Bettlers zu fallen. Im Vordergrund steht für Ortner das Bestreben, die Rein¬ heit des lateinischen Stils zu pflegen. Sprachlich am Rotterdamer, dem großen Vorbild der Zeitgenossen und Epigonen geschult, fühlt sich der Magister der freien Künste und spätere Mediziner als der „Poeta“ im Sinne der Zeit. Beim Lesen der Briefe staunen wir über Ortners gründliche Kenntnisse der lateinischen und griechischen Autoren; Leno¬ phon, Demosthenes und Hesiod werden zitiert, treffende Vergleiche antiker Geschehnisse mit zeitgenössischem lassen uns erkennen, daß der Schreiber mit der ästhetischen Sphäre des klassischen Altertums ver¬ traut ist. Estklassige Kenntnis der Bibel ist aus der Zeit zu verstehen, Ortners entsprechende Hinweise in Bezug auf das praktische Leben fallen aber niemals in den moralisierenden Ton der starren Orthodoxie. Vier lateinische Briefe“ sind uns von Wolfgang Ortner erhalten. Einen!“ von ihnen wollen wir einer näheren inhaltlichen Betrachtung zugänglich machen. Ortner, zu dieser Zeit schon „Magister artium“, ersucht in diesem um eine Summe Geldes. Was nun auf vier Seiten in gestochener Humanistenschrift vorgetragen wird, erregt auch heute noch unsere Bewunderung. Nach einer allgemeinen und ehrerbietigen Einleitung und Anrede an den Magistrat der Stadt Steyr (Zl. 1.—10) 18) Arch. d. St. Steyr. K. XI/ L. 37/Stip. Ges./Nr. 5/Bl. 1—4. 19) Arch. d. St. Steyr, K. XI/L. 37/Stip. Ges./Nr. 5/Bl. 3. (dat. V. Idus Febr. 1575.) 6
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