Wie zu erwarten, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der humanistischen und den Anhängern der realistischen Richtung, zwischen dem historisch=statischen und dem biologisch=dynami¬ schen Element im Kampf um das Bildungideal. Beriefen sich die Freunde des Gymnasiums auf das hohe Bildungs¬ ethos, auf die Denkzucht der lateinischen Sprache, auf den Wertder für klassischen Bildung und auf die Bedeutung der Kenntnis der Antike das richtige Erfassen des Weltgeschehens und der Gegenwart, so be¬ tonten die Jünger der neuen Schule, daß die Jugend aus der Schule etwas in das Leben mitnehmen müsse, daß man unter hundert tüchtigen Männer nur einen brauche, der gelehrte grammatikalische Kenntnisse auf¬ weise, dagegen neunundneunzig erfordert seien, die Technik, Handel, Naturwissenschaft und vaterländische Kultur verstünden. Wurden die Anhänger der humanistischen Bildung als Wortführer für ein welt¬ fremdes Gelehrtentum hingestellt, so bezeichnete man die Rufer im Streit um die mechanisch=ökonomischen Schulen als materialistische Uti¬ litaristen und beurteilte ihre Anstalten als Unruheherde, als Brut¬ tätten des Umsturzes und als Pflanzstätten der Mechanisierung des Lebens. Eines hatten jedoch die Absolventen der Gymnasien voraus: Ihre Zeugnisse gewährten eine große Berechtigung und öffneten die Tore zum Aufstieg. Die Frequentanten der realistischen Schulen ver¬ ließen ihre Anstalten als Praktiker, aber nicht als Studierte. Kaum hatten sich die mathematisch=ökonomischen Schulen durch¬ gesetzt, stand man vor der Tatsache, daß ihre Zeugnisse einen sehr ein¬ seitigen Wert hatten. Der Wettlauf der Realschulen um Gleichstellung ihrer Zeugnisse mit denen des Gymnasiums dauerte über hundert Jahre. Es blieb dabei den sogenannten praktischen Schulen nichts anderes übrig, als nach und nach Fächer für allgemeine Geistesbildung in ihren Lehrplan einzubauen. Die notwendige Folgerung aus diesem Schritt aber war die, daß sie im gleichen Maß, in dem sie Lehrgegenstände für allgemeine Geistesbildung aufnahmen, rein praktische Fächer ausscheiden mußten und dadurch vielfach über ihren ursprünglichen Zweck hinaus¬ wuchsen oder ihm entfremdet wurden. Die Entwicklung führte daher zu einer Gabelung. Der eine Zweig führte von der praktischen Schule zur Schule mit allgemeiner Geistesbildung auf Grundlage der modernen Literatur, teilweise sogar zu einer Synthese von Gymnasium und Real¬ schule, und der andere Zweig führte zur Ausgestaltung der Fachschulen. Damit wäre in kurzen Strichen die geistige Lage gekennzeichnet, in der sich die Schule in Oesterreich zur Zeit der Aufhebung des Jesuiten¬ ordens befand. Die Gymnasien wurden zurückgedrängt, die praktischen Schulen sind auf dem Vormarsch und die Kirche kann ihre Ansprüche nung und Einrichtung der Schule". Und das Wort der Kaiserin Maria Theresia: „Die Schule ist und bleibet allezeit ein Politikum(= Staatsangelegenheit im Gegensatz zu Ecclesiasticum = Kirchenangelegenheit) und ... der Schulmeister hanget von der weltlichen Obrigkeit ab“ gibt die Zeitanschauung treffend wieder. Diese Entschließung erfloß über Vortrag der böhm.=österr. Hofkanzlei vom 28. September 1770 gelegentlich eines Kompetenzkonfliktes in Kärnten. Helfert, I. A.: Die Gründung der österr. Volksschule, I., S. 118.
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