64. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1946/47
7. eine Anordnung der Grundstoffe, die es gestattete, die Eigenschaften der Grundstoff mit ihrer Stellung in diesem System gesetzmäßig zu ver¬ knüpfen. Noch unbekannte Elemente konnten auf Grund des periodischen Systems vorhergesagt und hinsichtlich ihrer Eigenschaften mit großer Annäherung vorausbestimmt werden. Vieles und ungemein Grundle¬ gendes wurde mit all dem geschaffen; aber eines konnten diese in der Sphäre der reinen Chemie und mit ihren Mitteln entstandenen Erkennt¬ nisse nicht leisten: sie konnten nicht über diese Sphäre hinausführen, mit anderen Worten, sie konnten die Chemie nicht aus ihrer Sonderstellung lösen. Ansätze in dieser Richtung konnten folgerichtigerweise nur von Ar¬ beiten ausgehen, deren Beobachtungsfeld nicht in der Chemie allein lag; es mußte das Zusammenspiel chemischer und physikalischer Vor¬ gänge erforscht werden. Daß eine innige Wechselbeziehung zwischen che¬ mischen Vorgängen und Wärmewirkungen besteht, diese Erfahrung ist, wenn auch nicht in dieser bewußten Form, im Grunde so alt wie die Kenntnis des Feuers. Die eingehendere Untersuchung dieser Wechsel¬ beziehungen setzte im vorigen Jahrhundert ein und führte zur Anwen¬ dung der thermodynamischen Hauptsätze und thermodynamischen Be¬ trachtungsweisen auf chemische Reaktionen. Damit war auch deren Ein¬ gliederung in das allgemeine Energieprinzip vollzogen; darüber hinaus wurde es möglich, aus thermischen Daten Aussagen über die Richtung einer chemischen Reaktion, über Gleichgewichtslagen u. dgl. zu machen. Mindestens ebenso fruchtbar erwies sich die Betrachtung der Zu¬ sammenhänge zwischen elektrischen und chemischen Erscheinungen. Die Faraday'schen Gesetze über die Elektrolyse waren hier grundlegend, also die Feststellung, daß beim Durchgang des Stromes durch wässerige Lö¬ sungen gewisser Stoffe (heute z. B. in der Galvanotechnik) ein gesetz¬ mäßiger Zusammenhang zwischen ausgeschiedener Stoffmenge und hin¬ durchgegangenem Strom besteht. Die Jonenlehre bot eine einfache Er¬ klärung für dieses Verhalten durch die Annahme, daß in solchen wässe¬ rigen Lösungen von vornherein die Moleküle in Jonen zerfallen; dies sind kleinste Materieteilchen (Atome oder kleine Atomgruppen), behaftet mit kleinsten Beträgen elektrischer Ladung. Beim Stromdurchgang müssen dann also zwangsläufig beide — Stoff und elektrische Ladung zusammen transportiert werden. Um die Jahrhundertwende brachte schließlich die Erforschung der radioaktiven Erscheinungen ganz neue Impulse. Das Atom blieb nicht mehr letzter Baustein der Materie. Im Zusammenhang mit dem Zerfall der radioaktiven Stoffe wurden Strahlungen beobachtet, die offenbar aus dem Inneren der zerfallenden Atome stammten und somit Kunde vom Aufbau dieser Atome und von ihren Bestandteilen geben konnten. Einer der Urfragen des menschlichen Geistes, der Frage nach dem We¬ sen der Materie, tat sich damit ein wesentlich erweitertes Blickfeld auf Vis dahin war das Atom die äußerste Grenze gewesen, bis zu der sich das Denken in dieser Frage vorwagen konnte. Für das gegenseitige Ver¬ halten der Atome galten Gesetzmäßigkeiten, die den Verlauf der chemi¬
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