64. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1946/47

4 dings unter weitgehender Ausschaltung der empirisch=naturwissenschaft¬ lichen Komponente, wurde am folgerichtigsten im alten humanistischen Gymnasium verfolgt; die Realschule in ihrer ersten Form (1851) war demgegenüber eine rein berufsbildende Schule. Heute tragen diesen rein berufsbildenden Charakter die Fachschulen und Staatsgewerbeschulen, von denen aber nur die letzteren unter gewissen Voraussetzungen zum päteren Hochschulstudium berechtigen. Als Ausweg aus dem oben angeführten Dilemma wird heute viel¬ fach auf Grund von Erfahrungen in anderen Ländern eine Auflockerung der Oberstufe durch Wahlfachsysteme vorgeschlagen. Vom Standpunkt der einzelnen Berufszweige aus gesehen, würde das sicher Vorteile bieten. — Aber die für die intensivere Arbeit im späteren Berufsgebiet des Schü¬ lers gewonnene Zeit ginge ja auch hier, nur in anderer Form, auf Kosten der Allgemeinformung! — Und außerdem: der Zeitpunkt der Berufs¬ wahl wurde dadurch praktisch schon einige Jahre vor der Matura liegen. Und das ist in einer Zeit, die an Umgestaltungen und damit Veränderun¬ gen der Berufsaussichten so reich ist, mehr als bedenklich. Ist es doch chon für den Maturanten schwer, die Aussichten der für ihn möglichen Berufswege und deren vermutliche Auf= oder Abwärtsbewegung wäh¬ rend seiner Studienzeit einigermaßen abzuschätzen. Wie dem auch sei — es kann nicht Zweck dieser Zeilen sein, das Für und Wider dieses Gedankens erschöpfend zu behandeln —, die derzeit bei uns bestehenden Mittelschultypen und vor allem das Realgymnasium tehen auf dem Boden eine Synthese der beiden eingangs genannten Zielsetzungen; und in dieses System muß sich die Chemie so zweckmäßig als möglich eingliedern. Drei Fragen müssen zu diesem Zwecke mit voller Klarheit beant¬ wortet werden: 1. Was kann und soll der Chemieunterricht zur Formung der gei¬ stigen Anlagen beitragen? 2. Was kann und soll der Chemieunterricht dazu beitragen, daß dem jungen Menschen die notwendigen Voraussetzungen zum Aufbau eines den Erkenntnissen unserer Zeit gemäßen Weltbildes mitgegeben werden? Wie weit und wodurch kann der Chemieunterricht daran mit¬ helfen, daß dem jungen Menschen in großen Zügen eine Gesamtschau unseres geistigen, kulturellen und zivilisatorischen Lebens vermittelt wird, die ihn auch in seinem späteren Leben befähigt, die geistige und materielle Entwicklung aufgeschlossen und mit Verständnis mitzuerleben und mitzugestalten? 3. Was muß den künftigen Naturwissenschaftlern, Medizinern, Tech¬ nikern usw. an chemischen Wissen dargeboten werden, um sie in zweck¬ entsprechender Weise auf ihr Fachstudium vorzubereiten, dieses selbst von der Aneignung des elementarsten Wissens nach Möglichkeit zu ent¬ lasten und in den jungen Leuten dieser Fachrichtungen das Gefühl nicht auf¬ kommen zu lassen, daß sie „Stiefkinder“ gewesen seien, denen die Schule c) für ihre Berufsentwicklung „fast nichts geboten hat“: Und wie weit kann

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