64. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1946/47

Der Chemie=Unterricht am Realgymnasium (Dipl.=Ing. Franz Schweitzer). In einer Zeit, in der wie vieles andere auch das Schulwesen neu auf¬ gebaut werden muß, erscheint es wohl angebracht, die Rolle kritisch zu beleuchten, die einzelnen Lehrfächern in der Gesamtzielsetzung der Aus¬ bildung zukommt. Dies soll im Folgenden für die Chemie versucht wer¬ den. Liegt aber erst einmal das Ziel klar, so werden sich von selbst die notwendigen Folgerungen für die Stoffauswahl und die anzuwendende Lehrmethode ergeben. Es mag vielleicht auf den ersten Blick befremden, wenn an dieser Stelle auch von der Stoffauswahl die Rede sein soll, da diese ja Sache des Lehrplans ist. Aber erstens gibt der derzeit noch gültige Lehrplan von 1928 in seinem Wortlaut für die Stoffauswahl im Chemieunterricht nur einen lockeren Rahmen; und zweitens haben die Entwicklungen der letzten 20 Jahre hier Gesichtspunkte gezeitigt und in den Vordergrund ge¬ rückt, die 1928 noch nicht oder zumindest nicht in diesem Maße gültig waren. Die folgenden Darlegungen sollen daher auch einen Beitrag zu der notwendig gewordenen Diskussion der geänderten Verhältnisse leisten. Zwei große Zielsetzungen der Mittelschule sind es im wesentlichen, die die Stellung eines Lehrfaches im Unterricht bestimmen: das Ziel eine angemessene „Allgemeinbildung“ zu erreichen, und die Aufgabe, auf das spätere Hochschulstudium oder den unmittelbaren Eintritt in das Be¬ rufsleben in geeigneter Weise vorzubereiten. Diese beiden Zielsetzungen stehen mit den Forderungen, die sich aus ihnen ergeben, in einem gewissen Gegensatz zueinander. Je mehr die Spezialisierung der einzelnen Wissensgebiete und deren Umfang fortschreitet, um so größer werden die rein fachlichen Anforderungen in den einzelnen wissenschaftlichen oder wissenschaftlich bedingten Berufszweigen, um so mehr Zeit muß also die reine Berufsvorbereitung für sich beanspruchen. Das Eintrittsalter in das Berufsleben läßt sich aber nicht beliebig hinausschieben: eine Aus¬ weitung der Zeit für die engere Berufsvorbereitung ist daher nur auf Kosten der allgemeinen Geistesformung möglich, die aber selbst wieder, wenn sie nicht zu einem wirkungslosen Formalismus absinken soll, ein gewisses Mindestmaß an Anforderungen nicht unterschreiten kann. Damit ist eine geistige Auseinandersetzung gekennzeichnet, die die Lehrplangestaltung in den letzten 100 Jahren, je nach der gerade herr¬ schenden Zeitströmung, bald mehr nach der einen, bald mehr nach der anderen Seite lenkte. Das Ziel der allgemeinen Geistesformung, aller¬ 1

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