55. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1930/31

fällt die gewissenhafte und saubere Arbeit in die Augen, die in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle auch einer sehr kritischen Nachprüfung vollkommen standhält. Bei den Buchbinderarbeiten sehen wir die Ent¬ wicklung vom ganz einfachen kleinen Schulnotizheft bis zum starken Leinenband, der schon bedeutendes Können und guten Geschmack verlangt. Man sieht aber auch, daß diese Arbeiten nicht etwa bloß fürs Auge herge¬ stellt sind, sondern auch der Zweckmäßigkeit in jeder Hinsicht entsprechen. Gleich neben dieser hochinteressanten Abteilung der Ausstellung finden wir die Handarbeitenausstellung der Mädchen. Wieder wird von den einfachen Arbeiten an die Entwicklung bis zu ganz staunens¬ werten Leistungen in Stickerei und Wäschestücken sowie Kleidern vor Augen geführt. Auch hier können wir neben dem rein Technischen die Geschmacksbildung prächtig verfolgen. Manche Schülerinnen entwerfen selbst die Skizzen zu den Werken ihrer Nadelkunst und manche Arbeiten fallen durch die riesige Sorgfalt und Geduld auf, die sie bei ihrer Herstel¬ lung benötigten. Eine Tischgarnitur fesselt durch ihren vornehmen Ein¬ druck und die überaus sorgfältige Ausführung ganz besonders; aber auch an Zierpölstern, gestickten Blusen, duftigen Wäschestücken, zierlichen Deck¬ lein und gar manchem anderen, was ein Frauenherz zum Lachen bringt, ist kein Mangel. Trotz des beschränkten Raumes ist die Einteilung sehr glücklich gewählt und alles mit Geschmack geordnet, wobei aber die Syste¬ matik des Unterrichtes in keiner Weise in den Hintergrund gedrängt wird. Frau Prof. Anna Bartl kann auf die Leistungen ihrer Schülerinnen mit Freuden schauen und in dem Beifall, den diese Abteilung der Aus¬ stellung besonders bei den Besucherinnen findet, den Lohn mühevoller Un¬ terrichtsarbeit erblicken. — In einem anderen Saale sind die Arbeiten aus dem Zeichenunterrichte untergebracht und auch dieser Saal bietet ganz Ueberraschendes. Man sollte es nicht für möglich halten, daß manche Schüler und Schülerinnen der untersten Klassen schon ein so aus¬ geprägtes Gefühl für Form und Farbe besitzen. Die neue Unterrichts¬ methode läßt den individuellen Neigungen des Kindes auch im Zeichen¬ unterrichte größte Freiheit sowohl was die Wahl des Bildstoffes wie dessen Durchführung anlangt. Eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des Lehrers ist es dann, die Individualität des Kindes richtig zu leiten. Die Systematik des Zeichenunterrichtes unterscheidet sich von dem Unter¬ richtsbetriebe früherer Zeiten ganz gewaltig, aber man muß es unum¬ wunden anerkennen, daß dieser neue Weg besser ist als der alte. Hoch¬ interessant ist es, um nur eines anzuführen, wie sich die Einführung in das perspektivische Zeichnen mit dem geometrischen Zeichnen planvoll ver¬ bindet; auf diese Weise wird es selbst einem zeichnerisch nicht besonders veranlagten Schüler möglich, perspektivisch richtig zeichnen zu lernen. Eine ganze Reihe verschiedener Techniken tritt uns in dieser Schülerarbeiten¬ Ausstellung entgegen, wenn natürlich auch nicht alle technischen Arten ver¬ treten sein können. Gerade die Stadt Steyr und ihre Umgebung bieten für den modernen Zeichen bezw. Malunterricht eine Fülle der schönsten Anregungen und so finden wir auch Steyrer Motive in reicher Aus¬ wahl. Da ist manches darunter, was zu den schönsten Hoffnungen für die Zukunft berechtigt. Die Professoren Viktor Losert und Anton Schol¬ ler zeigen sich als tüchtige und von künstlerischem Geiste beseelte Führer der Jugend auf diesem Gebiete, dessen großer Wert für die Allgemeinbil¬ dung nicht unterschätzt werden darf. Richtiges und künstlerisches Sehen

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