selbst sein Talent einschätzt, geht aus dem in der Vorrede stehenden, gereimten Prolog zu „Ion“ hervor: Der Dichter gedenkt darin zunächst berühmter Premieren im Covent Garden Theatre, bei denen die Erwartungen der strengsten Kritiker bei weitem übertroffen wurden. Das Trauerspiel will sich nicht anmaßen, den Zuschauer mit frommen Schaudern zu erfüllen. Wenn nur „Ions reines Bild auf die Seele des Zuschauers wirkt, ihm zu Herzen geht und die Tugend fördert, so hat dieser Versuch einer Tragödie seinen Zweck erreicht. Zu seiner Freude hat Talfourd feststellen können, daß sein Stück selbst in den dramatischen Darbietungen abholden Puritanerkreisen gefallen hat. Hierauf kommt er auf die Anpassung der zeitgenössischen Dramen an die Einrichtungen der Bühne zu sprechen. Die Frage, ob bühnengerechte Stücke den Buchdramen vorzuziehen seien, soll gar nicht entschieden werden. Nicht die Einschränkungen durch die Zensurbehörde verhindern das Gedeihen der dramatischen Dichtkunst, sondern der Mangel an fähigen Schauspielen; es gibt zahlreiche gute Tragödien, deren Aufführung jedoch besser unterbleibt, wenn die Ausstattung mangelhaft und die Darsteller ungeeignet sind. Die trostlosen Verhältnisse müssen schließlich die dramatische Dichtkunst dem Vorfall zuführen. Talfourds Befürchtung hat sich in der Folgezeit erfüllt, doch waren andere Gründe für den Verfall des Dramas entscheidend. Vor allem waren die Theorien der Romantiker der Entwickelung des Bühnendramas nicht günstig. Analyse des „lon". Die Handlung erstreckt sich über einen Tag, eine Nacht und den folgenden Morgen. Schauplatz: Argos. I. Akt. Agenor, einer von den argivischen Weisen, der im Apollotempel Schutz vor der in Argos wütenden Pest gefunden hat, fordert seinen Sklaven Irus auf, nach der aufgehenden Sonne auszuspähen und ihm zu sagen, ob sie „als unheilverkündendes Vorzeichen blutigrot aufleuchte oder frohe Hoffnung erweckend, goldig erstrahle Die Weisen warten nämlich auf die Rückkehr Phocions aus Delphi, wohin ihn sein Vater, der hohe Priester Medon, gesandt hatte, um das Orakel wegen der Pest zu befragen. Im Hause Medons lebt ein hoffnungsvoller Jüngling, Ion, den Medon zusammen mit seinem Sohne und seiner Tochter Clemanthe erzogen hatte. Die Weisen Agenor und Cleon glauben, daß dieser Jüngling von den Göttern dazu bestimmt sei, ein Retter aus dem Unglück zu werden. Schuld daran habe Adrastus, König von Argos, der durch seine Willkürherrschaft und Ausschweifung den Zorn der Götter entfacht habe; daher suchen sie nun sein Land heim. Agenor findet, daß ein Wandel in Ions knabenhaftem Wesen stattgefunden hat, an Stelle seiner Schüchternheit sei männlicher Mut getreten: schon dies sei ein Werk des göttlichen Erbarmens. Das Gespräch zwischen Agenor und Cleon wird von Timocles unterbrochen, den eben lon im Auftrage Medons davor gewarnt hat, das Heiligtum zu verlassen und so ein Opfer der Pest zu werden. Timocles geht das Unglück des Landes so zu Herzen, daß er Lebensberdruß fühlt, doch Ion sucht ihm zu beweisen, dass ihre Heimat gerade jetzt tüchtiger, weiser Männer bedürfe. Medon der ins Heiligtum tritt, deutet aus dem dunkelroten Schein der aufgehenden Sonne auf ein bevorstehendes Blut¬ vergießen, es sei jedoch auch ein Hoffnungsschimmer vorhanden. Die Weisen beschließen, noch einmal den Versuch zu wagen, den König umzustimmen; lon erklärt sich bereit, diese schwierige Sendung auf sich zu nehmen. Überrascht von der Kühnheit des Jünglings, stimmen sie endlich dem Vorschläge zu. Beim Abschied von Clemanthe erkennt Ion, daß sie ihm mit mehr als schwesterlicher Liebe zugetan ist; er verläßt sie mit dem Hinweis auf den Ruf des Schicksals. II. Akt. Vor dem König erklärt Ion, daß er auf der Götter Geheiß gekommen sei, um ihn an die flehentlichen Bitten des Volkes zu erinnern und warnt ihn vor dem nahe bevorstehenden Strafgericht. Adrastus aber will sein unvermeidliches
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