17 welches Ismene auftrug, den Schuldigen zu nennen, so scheinen doch, wenn auch die Königin durch eine Lüge die Schuld von Thoas abzuwälzen sucht und das Orakel eine neue Freveltat herbeizuführen droht, die handelnden Personen so sehr unter dem Eindruck des Übermenschlichen zu stehen, daß es die Basis des tragischen Abschlusses bildet und dem Stück zu einer versöhnenden Lösung verhilft. Ismenes ganze Art erinnert an Mede im gleichnamigen Trauerspiel des Euripides. Diese läßt sich von Aegens, dem Fürsten von Athen, schwören, ihr gegen ihre Feinde in Korinth zu helfen, nachdem er sich von vornherein dagegen verwahrt hat, mit Hinterlist zu Werke zu gehen. Wie Ismene triumphierend Thoas ihren Rächer nennt, erblickt Medea in Aegens den Mann, der ihr nach vollstreckter Rache Zuflucht bieten soll, und wie sie Jason gegenüber Zustimmung heuchelt, vor seiner neuen Gemahlin weichen zu wollen, so ist auch Ismene ihrem Gatten gegenüber scheinbar ganz damit einverstanden, daß der gefangene Athener für eine besonders qualvolle Todesart aufgespart werden soll; und so gelingt es beiden, den Racheplan durchzu¬ führen. Wie Ismene ihren Sohn, so macht Medea ihre ahnungslosen Kinder zu Werkzeugen ihrer Rache. Im Gegensatz zu Euripides mangelt es jedoch in Talfourds Tragödie nicht an poetischer Gerechtigkeit; der englische Dichter bringt eine befriedigende Lösung für unser Gefühl, indem Ismene, die durch eine Lüge einen Unschuldigen dem Gottesgericht preisgeben will, sich selbst richtet, nachdem ihr Versuch an Thoas Ehrenhaftigkeit und Wahrheitsliebe gescheitert ist. Dieser Abschluß hat auch der modernen, romantischen Anschauung des Dichters besser entsprochen. Auch der athenische Patriotismus, dem Ismene zu wiederholten Malen in begeisterten Worten Ausdruck verleiht, klingt an Euripides an: Medea mußte Aufnahme finden in dem humanen Athen, Aegeus tritt zur Verherrlichung attischer Milde und Großherzigkeit in den Kreis der Entwicklung ein. Der Inhalt von Ismenes Charakter ist mit dem Worte Leidenschaft noch nicht erschöpft. Sie ist auch Intrigantin, sie berechnet, sie verstellt sich gegenüber ihrem Gatten, und darin, daß sie sich von ihrem Sohne nicht verstanden sieht, da er ihre Genugtuung über den Mord an Creon nicht teilen kann, sondern der Wahrheit zum Sieg verhilft, liegt die Tragik ihres Charakters. Ismenes Haß ist aber nicht hinlänglich motiviert. Creon hat allerdings ihre Frauenehre schwer gekränkt, indem er die Schutzflehende barsch von sich gewiesen; doch läßt uns der Dichter darüber allzusehr im Unklaren, wer der eigentliche Urheber des Überfalls auf die junge, hilflose Witwe gewesen, als daß ihr seit Jahren gehegter Groll zu einer tragischen Entwicklung führen müßte. Allenfalls könnte der Widerwille gegen die ihr aufgezwungene Ehe als Grund ihres Hasses gelten. In ihrer Mutterliebe zeigt Ismene Ähnlichkeit mit Creusa in Euripides „Ion“. Talfourds eigene Erfindung ist dagegen der faszinierende Zug in Ismene; er soll uns verdeutlichen, wie der starke, ehrliche Thoas einem mächtigeren, dämonischen Willen erliegt. So gelingt es, den inneren Widerspruch im Charakter des Helden zu verhüllen. Echt romantische Färbung zeigt die zweite weibliche Figur dieses Stückes, Creusa. Sie ist ihrem Zwillingsbruder in schwärmerischer Liebe zugetan, auch für ihren launenhaften Vater zeigt sie liebevolles Verstehen. Ihre Liebe zu Thoas treibt sie jedoch zu keiner Tat, sie läßt dem Schicksal seinen Lauf, in dieser Resignation Clemanthe gleichend. Bis zum Augenblick der Katastrophe glaubt sie an die Schuld¬ losigkeit des Geliebten und schreibt seine Selbstanklage einer momentanen Sinnesverwirrung zu. Von den übrigen Personen weisen nur die Namen auf Euripides oder die griechische Sagengeschichte hin, während Handlung und Charakterzeichnung des Dichters eigene Schöpfung sind. Wie in „Medea“ erscheint Creon als König von Korinth, Creusa als seine Tochter. Sein mürrisches, eigenwilliges, altersschwaches Wesen steht in einem wirksamen Gegensatz zur jugendfrischen, taktvollen, liebens¬ würdigen Art seines Sohnes.
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