42. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1912

16 Saume des Urnenhaines (2. Szene) begegnen sich korinthische und athenische Soldaten und hören von Iphitus, welchen Tod die Königin gefunden. Bei Creons Urne sicht man den tötlich verwundeten Thoas liegen: Hyllus hat seine Bitte erfüllt. Thoas überträgt Pentheus den Oberbefehl, stiftet Frieden zwischen Athen und Korinth und stirbt, nachdem auch Creusa, die ihren Bruder mit Vorwürfen überhäufen will, den wahren Sachverhalt erfahren. Im „Athenischen Gefangenen“ treten Talfourds Beziehungen zur Schauerromantik noch mehr hervor als im „Ion“. Der Held des Stückes ist wieder ein Findling und wird uns zunächst als einfacher Krieger vorgeführt. Wie Ismene ihren Sohn nannte, bevor er ihr entrissen wurde, erfahren wir überhaupt nicht. Von seinem Vater hören wir nur, daß er schon vor der Trennung im Kampfe gefallen. Thoas ist unter der Obhut eines alten Atheners aufgewachsen, der ihn in Einfachheit erzog. Den größten Teil seiner Jugend habe er in den Hainen, Hallen, Tempeln und Straßen Athens verbracht und diese Stadt sei ihm in ihren mannigfachen Erscheinungsformen nicht nur zur Schule des Lebens geworden, sondern habe auch seine Phantasie mächtig angeregt. Auf Ismenes Frage (Motiv der leidenschaftlichen Nachfrage !), ob er sich nicht doch seines eigentlichen Vaterhauses erinnen könne, beschreibt Thoas eine Trümmerstätte, die man ihm als solche bezeichnet habe; in der Nähe des westlichen Stadttores geben rauchgeschwärzte Mauern mit einem halbversengten Olivenbaum davor Zeugnis von der Zerstörung. Wenn auch erst an seinem Lebensende, gelangt Thoas in die ihm gebührende Stellung. Seine Mutter, die ihn seither für tot gehalten, glaubt nur in den Visionen, die ihr der nie ruhende Rachegedanke vorgaukelt, die Gestalt ihres Sohnes zu erkennen. Ismene erscheint als geistige Urheberin des an ihrem Gatten verübten Mordes. Auch das Motiv der geheimnisvollen Freundschaft hat Talfourd in diesem Stücke verwendet; Thoas vereinigt in seiner Person die Rolle des totgeglaubten Verwandten (Sohnes) und des geheimnisvollen Freundes. Bevor noch Hyllus den Namen des sympathischen Atheners weiß, ist er bereit, das Leben für ihn zu lassen. Thoas, der vom Vater seines Freundes als Sklave behandelt wird, rettet Creons Sohn aus höchster Lebensgefahr. Beim Festmahl ergreift Hyllus furchtlos seine Partei und zieht sich die Strafe der Verbannung zu. Viel schärfer ausgeprägt als im „Ion“ ist hier das Motiv des bedeutungsvollen, fatalen Objekts: Creons eigener Sohn hat Thoas gestattet, von seinen Waffen einen Dolch bei sich zu behalten; dieser ist dann die Mordwaffe gegen Creon. Denselben Dolch richtet schließlich Thoas gegen die eigene Brust. Auch in der ursprünglichen Fassung des V. Aktes findet sich die zweimalige Verwendung des Dolches als fatalen Requisits : Hyllus soll seinen Freund mit dem Dolch töten, der „noch rot ist vom Blut seines Vaters“. Die Bühnenanweisung sagt außerdem: Der blutige Dolch liegt bei Creons Urne. Nicht der Zeustempel, sondern der Hain mit Creons Urne wird von Thoas und Hyllus als die passendste Stätte bezeichnet, wo nach beiderseitigem Einverständnis der Freund zur Sühne sterben soll. Dort „soll der Schatten seines noch ungerächten Vaters warten und den Sohn zur letzten Pflicht rufen“. (Appendix, V. 2.) Die Burg von Korinth mit ihrem Ahnensaal, das Schlafgemach, in welchem der Mord geschieht, das Felsenverließ und der halbverfallene Altar im Zeustempel tragen dazu bei, den Leser oder Zuschauer in eine schauerromantische Milieustimmung zu versetzen. Die Handlung ist zwar von antiker Einheitlichkeit, doch nimmt Talfourd keine Rücksicht auf die Einheiten der Zeit und des Ortes. Daß die Schicksalsidee nicht aufdringlich hervortritt, mag als Vorzug dieses Dramas gelten. Talfourd hat sowohl die Sühne von Seiten Ismenes wie Thoas dem in Euripides Stücken herrschenden Einfluß außer¬ menschlicher Mächte wenigstens scheinbar entzogen und dem Willen der menschlichen Charaktere übertragen. Was nun die Einführung des Orakels im V. Akt betrifft,

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