42. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1912

XLII. Jahres-Bericht der k. k. Staats=Oberrealschule in STEYR. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1911/12. 1. Thomas Noon Talfourds Dramen. Von Dr. Martin Pawlik. 2. Schulnachrichten. Von Direktor Anton Rolleder. Steyr, 1912. Herausgeber: Die Direktion der k. k. Staats-Oberrealschule. Buchdruckerei und Lithographie von Emil Haas & Comp. Steyr.

Inhaltsangabe der in den Jahresberichten der Anstalt von 1864 — 1912 veröffentlichten Abhandlungen. Vergriffen. 1864. Kukula Wilhelm Meteorologische und phanologische Beobachtungen zu Steyr im Jahre 1864. 1867. Bauernfeind Thomas: Die Beziehungen des Hauses Habsburg-österreich zur Schweiz etc. 1873. Bauernfeind Thomas: Herzog Rudolfs IV. Beziehungen zu den öster¬ reichischen Privilegien. 1874. Biberle Julius: Über die theoretische Bestimmung der drei erdmagnetischen Elemente mit besonderer Rücksichtnahme auf die Deviationsbestimmung einer Kompaßnadel. 1875. Zimmeter Albert : Verwandtschafts-Verhältnisse und geographische Verbreitung der in Europa einheimischen Arten der Gattung Aquilegia. 1876. Vavrovsky Johann Beobachtungs-Resultate der meteorologischen Beobachtungs-Station Steyr. 1877. Bittner Dr. Josef: Die elementare Behandlung der Physik. 1878. Derlik Alois: Über Beleuchtung. 1879. Würzner Alois: Über Chaucers lyrische Gedichte. 1880. Drasch Heinrich: Über die Tangentenbestimmung im Doppelpunkte einer Durchdringungskurve zweier Flächen II. Ordnung und einige damit zusammen¬ hängende Aufgaben. 1881. Widmann Dr. Hans: Das Land Österreich ob der Enns unter der Herr¬ schaft der Römer. (Historische Skizzen.) Drasch Heinrich: Synthetische Theorie der ebenen Kurven III. Ordnung mit 1882. Doppelpunkt mit besonderer Berücksichtigung derjenigen, welche durch die imaginären Kreispunkte gehen. 1883. Erb Leopold: Kurze Übersicht der Morphologie der Hemipteren (Halbflügler) nebst einer etwas eingehenderen Erörterung derselben an Vertretern der wichtigsten Familien dieser Insektenordnung. 1884. Zimmeter Albert: Die europäischen Arten der Gattung Potentilla. Versuch einer systematischen Gruppierung und Aufzählung nebst kurzen Notizen über Synonymik, Literatur und Verbreitung derselben. (Fortsetzung auf der vorletzten Seite des Umschlages.)

XLII. Jahres Bericht der k. k. Staats= Oberrealschule STEYR. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1911/12. 1. Thomas Noon Talfourds Dramen. Von Dr. Martin Pawlik. 2. Schulnachrichten. Von Direktor Anton Rolleder. Steyr, 1912. Herausgeber: Die Direktion der k. k. Staats-Oberrealschule. Buchdruckerei und Lithographie von Emil Haas & Comp., Steyr.

Thomas Noon Talfourds Dramen. Von Dr. Martin Pawlik ..... Antikisierende Tragödien in England vor Talfourd. Der vorliegende Aufsatz handelt von den Dramen eines Mannes, der nicht nur als Dichter und Kritiker, sondern auch als Richter und Parlamentsmitglied im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts (1795 bis 1854) eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat. Sein „Ion“ gehört zu jenen Dramen der englischen Literatur, die als Nach¬ ahmung altgriechischer Schicksalstragödien gelten. Der klassische Einfluß kommt in dieser sowohl in der Entwickelung der dramatischen Handlung, die vom Walten des Fatums abhängig gemacht wird, als auch in Form und Inhalt zum Ausdruck. In Bezug auf diese beiden letztgenannten Punkte möchte ich auf die Renaissance¬ Tragödien hinweisen, die zwar nicht ihrer Hauptidee nach, aber in Form und Inhalt die griechischen Tragödien zum Muster haben. „Gorboduc“, das erste regelrechte englische Trauerspiel, fußt dem Inhalt und Aufbau nach auf Senecas „Thebais“. Jeder Akt schließt mit einem Chorus, Mordtaten werden von Boten berichtet, statt daß sie zur Darstellung gelangen, und dieser griechischen Auffassung folgen auch die frühesten Dramatiker Englands. Der Einfluß der Renaissance geht aber nicht so weit, daß man die Stücke in die Einheiten von Zeit und Ort zwingt, wohl aber wird eine einheitliche Handlung in klassischer Form auf die Bühne gebracht. Auch die dramatischen Erzeugnisse der englischen Klassiker stehen unter dem Einfluß der Antike. So hat Shakespeare in vielen seiner Dramen Namen, Charaktere und Stoffe des klassischen Altertums verwendet. Vom Anfange bis zum Ende seiner Dichterlaufbahn zeigt er mehr oder weniger in allen seinen Werken reges Interesse für die Antike; wir finden da Zitate, Reminiscenzen oder Eigennamen, die darauf Bezug haben. Während und nach der Restaurationszeit ist Milton der einzige Dramatiker, in dessen Werken wir die klassische Bildung mit puritanischer Überzeugung in Einklang gebracht sehen. Der Form nach zeigt „Samson Agonistes“ den Einfluß von Aeschylos dramatischer Kunst. Nach der Restauration wurden die drei Einheiten ebenso pedantisch befolgt wie in Frankreich. Im Zeitalter des Pseudoklassizismus fanden Aufführungen von zum Teil umgearbeiteten altgriechischen Trauerspielen statt, so wurde Sophokles „Elektra“ von Lewis Theobald, dem bekannten Shakespeareforscher, herausgegeben, Edmund Smith (1672—1700) schrieb „Phaedra and Hippolitus“, wozu J. Addison und Matthew Prior den Prolog und Epilog verfaßten. Ein dritter Verfasser antikisierender Stücke und Herausgeber antiker Dramen ist William Whitehead (1715—1785), der eine Bearbeitung des Euripideischen „Ion“ unter dem Titel „Creusa, Queen of Athens“ vornahm.

4 I. Besprechung des „on“ Fast hundert Jahre später wurde der Richter Thomas Noon Talfourd durch die Lektüre der Griechen und durch die Erinnerung an die Aufführung griechischen Tragödien — als Knabe hatte er unter Anleitung seines Readinger Lehrers Doktor Valpy bei solchen Aufführungen selbst mitgewirkt — dazu angeregt, selbst Trauer¬ spiele dieser Art zu schreiben. Zuerst schrieb Talfourd einige Szenen des „Ion“ in Prosa, die er später in Blankverse umgoß, Ende 1834 war die Tragödie fertig und wurde im April 1835 für den engeren Freundeskreis des Verfassers gedruckt. Ein Neudruck folgte 1843, der auch die zwei nach dem „Ion“ verfaßten Schicksals¬ tragödien Talfourds enthielt, nämlich „The Athenian Captive“ und „Glence; or the Fate of the Macdonalds"; daran schlossen sich noch 14 Sonnette und zwei andere Gedichte; 1848 erschien die 9. Auflage der „Tragedies“. Zum letztenmal wurden sie 1865 in Boston gedruckt. Als Einzeldruck erschien Talfourds letztes Drama: „The Castilian", An Historical Tragedy, London, Moxon, 1853. „Ion“ wurde nach der ersten Aufführung im Covent Garden Theatre auch im Haymarket-Theatre und anderwärts gespielt. Die letzte Aufführung fand am 11. De¬ zember 1861 in Saddlers Wells statt. Von der zeitgenössischen Kritik wurde „Ion günstig beurteilt, so: The Quarterly Review, vol. 54, p. 563 m., The Gentleman's Magazine, vol. I, p. 505 ff, London 1836. The Northern British Review verhielt sich kühl, ohne jedoch die Vorzüge des Stückes zu verkennen. In der Vorrede zu „Ion“ entwickelt der Verfasser die Geschichte dieses Stückes, Infolge der übergroßen Angstlichkeit seiner Erzieher war es ihm in seiner Jugend nicht vergönnt, Shakespearedramen aufgeführt zu sehen oder wenigstens zu lesen. Hannah Mores „Sacred Dramas“ und Addisons „Cato“ waren die einzigen dramatischen Erzeugnisse, die dem jungen Talfourd zu Gesicht kamen. Trotzdem reichten diese schwachen Anregungen dazu hin, in ihm die Liebe zur dramatischen Dichtkunst zu wecken und zu festigen. Was „Ion“ betrifft, hat er sich keineswegs mit der Hoffnung geschmeichelt, daß sein Stück je zur Aufführung kommen würde. Erst der wider Erwarten günstige Erfolg hat ihn veranlaßt, das Drama dem Druck zu übergeben. Der Verfasser sucht nun darzulegen, welchen Zweck er mit der Veröffentlichung angestrebt und ferner will er denen danken, die sein Werk gefördert. Das Stück sei zwar im Hinblicke auf eine ideale Bühne geschrieben worden — ein Ziel, das selbst der bescheidenste Dramatiker nicht verkennen dürfe — doch habe er stark daran gezweifelt, ob er die erforderliche Bühnengerechtigkeit erzielt habe. Er kenne die formellen und stofflichen Mängel seines Stückes genau und im Bewußtsein dieser Schwäche habe er Fatum und Metaphysik zu Hilfe gerufen, um die einförmigen Charaktere seines romantischen Trauerspiels wirkungsvoller zu gestalten. Wenn er auch vom Zuschauer etwas größere Nachsicht verlangen zu müssen glaube, so hofft doch Talfourd dem Leser besser zu gefallen, weil dieser bei einzelnen ihm zusagenden Stellen länger verweilen und so für die Un¬ zulänglichkeiten in der Motivierung der Charaktere Ersatz finden kann. Die Veröffentlichung des vorliegenden Dramas befreit den Dichter von einer seelischen Last, die ihn seit längerer Zeit bedrückt. Da der Verfasser des öfteren durch die handelnden Personen seine eigenen Anschauungen, sein persönliches Empfinden zum Ausdruck bringt, so sollen seine Freunde „Ion“ als ein Geschenk betrachten, sie mögen darin Anklänge an gemeinsam verlebte Stunden, an ernste, gehaltvolle Gespräche wiederfinden. Aus Furcht, das Interesse für die Dichtung durch eine vorherige Veröffentlichung zu vermindern, war „Ion“ erst nach der Aufführung (26. Mai 1836) im Druck veröffentlicht worden und zwar war dies auf den Rat des Schauspielers Macready, seines Freundes geschehen, dessen Darstellungskunst er überhaupt den Erfolg verdanke. Wie bescheiden Talfourd

selbst sein Talent einschätzt, geht aus dem in der Vorrede stehenden, gereimten Prolog zu „Ion“ hervor: Der Dichter gedenkt darin zunächst berühmter Premieren im Covent Garden Theatre, bei denen die Erwartungen der strengsten Kritiker bei weitem übertroffen wurden. Das Trauerspiel will sich nicht anmaßen, den Zuschauer mit frommen Schaudern zu erfüllen. Wenn nur „Ions reines Bild auf die Seele des Zuschauers wirkt, ihm zu Herzen geht und die Tugend fördert, so hat dieser Versuch einer Tragödie seinen Zweck erreicht. Zu seiner Freude hat Talfourd feststellen können, daß sein Stück selbst in den dramatischen Darbietungen abholden Puritanerkreisen gefallen hat. Hierauf kommt er auf die Anpassung der zeitgenössischen Dramen an die Einrichtungen der Bühne zu sprechen. Die Frage, ob bühnengerechte Stücke den Buchdramen vorzuziehen seien, soll gar nicht entschieden werden. Nicht die Einschränkungen durch die Zensurbehörde verhindern das Gedeihen der dramatischen Dichtkunst, sondern der Mangel an fähigen Schauspielen; es gibt zahlreiche gute Tragödien, deren Aufführung jedoch besser unterbleibt, wenn die Ausstattung mangelhaft und die Darsteller ungeeignet sind. Die trostlosen Verhältnisse müssen schließlich die dramatische Dichtkunst dem Vorfall zuführen. Talfourds Befürchtung hat sich in der Folgezeit erfüllt, doch waren andere Gründe für den Verfall des Dramas entscheidend. Vor allem waren die Theorien der Romantiker der Entwickelung des Bühnendramas nicht günstig. Analyse des „lon". Die Handlung erstreckt sich über einen Tag, eine Nacht und den folgenden Morgen. Schauplatz: Argos. I. Akt. Agenor, einer von den argivischen Weisen, der im Apollotempel Schutz vor der in Argos wütenden Pest gefunden hat, fordert seinen Sklaven Irus auf, nach der aufgehenden Sonne auszuspähen und ihm zu sagen, ob sie „als unheilverkündendes Vorzeichen blutigrot aufleuchte oder frohe Hoffnung erweckend, goldig erstrahle Die Weisen warten nämlich auf die Rückkehr Phocions aus Delphi, wohin ihn sein Vater, der hohe Priester Medon, gesandt hatte, um das Orakel wegen der Pest zu befragen. Im Hause Medons lebt ein hoffnungsvoller Jüngling, Ion, den Medon zusammen mit seinem Sohne und seiner Tochter Clemanthe erzogen hatte. Die Weisen Agenor und Cleon glauben, daß dieser Jüngling von den Göttern dazu bestimmt sei, ein Retter aus dem Unglück zu werden. Schuld daran habe Adrastus, König von Argos, der durch seine Willkürherrschaft und Ausschweifung den Zorn der Götter entfacht habe; daher suchen sie nun sein Land heim. Agenor findet, daß ein Wandel in Ions knabenhaftem Wesen stattgefunden hat, an Stelle seiner Schüchternheit sei männlicher Mut getreten: schon dies sei ein Werk des göttlichen Erbarmens. Das Gespräch zwischen Agenor und Cleon wird von Timocles unterbrochen, den eben lon im Auftrage Medons davor gewarnt hat, das Heiligtum zu verlassen und so ein Opfer der Pest zu werden. Timocles geht das Unglück des Landes so zu Herzen, daß er Lebensberdruß fühlt, doch Ion sucht ihm zu beweisen, dass ihre Heimat gerade jetzt tüchtiger, weiser Männer bedürfe. Medon der ins Heiligtum tritt, deutet aus dem dunkelroten Schein der aufgehenden Sonne auf ein bevorstehendes Blut¬ vergießen, es sei jedoch auch ein Hoffnungsschimmer vorhanden. Die Weisen beschließen, noch einmal den Versuch zu wagen, den König umzustimmen; lon erklärt sich bereit, diese schwierige Sendung auf sich zu nehmen. Überrascht von der Kühnheit des Jünglings, stimmen sie endlich dem Vorschläge zu. Beim Abschied von Clemanthe erkennt Ion, daß sie ihm mit mehr als schwesterlicher Liebe zugetan ist; er verläßt sie mit dem Hinweis auf den Ruf des Schicksals. II. Akt. Vor dem König erklärt Ion, daß er auf der Götter Geheiß gekommen sei, um ihn an die flehentlichen Bitten des Volkes zu erinnern und warnt ihn vor dem nahe bevorstehenden Strafgericht. Adrastus aber will sein unvermeidliches

6 Schicksal in ungeschmälerter Ausübung seiner Herrscherrechte erwarten, keineswegs mag er dem Zorn der Götter weichen. Vergebens zwar versucht lon ihn umzustimmen, doch lons Antlitz und Stimme rufen in dem Tyrannen die Erinnerungen an ein Weib wach, welches er geliebt. Adrastus erzählt nun seine düstre Lebensgeschichte. Seit seiner Geburt lastet der Götter Fluch auf ihm: Während man im Palast und in der Stadt die Geburt eines Prinzen feiert, läßt sich plötzlich im Zimmer, wo Mutter und Säugling ruhn, eine prophetische Stimme vernehmen: „Woe unto the babe! „Weh dem Säugling! Ihm entsprossen, soll hier neues Leben Against the life which now begins shall Ihn bekämpfen und bald im Sturz sich life, selbst vernichtend, Lighted from thence, be armed, and, Dem edlen Stamm ein kläglich Ende both soon quenched, setzen !“ End this great line in sorrow!“ Ein zweiter Sohn wird geboren, der die Hoffnung seiner Eltern und ein Liebling des Volkes ist. Doch wird er eines Abends am Fuße eines Felsens zerschmettert aufgefunden. Adrastus wird nun des Brudermordes verdächtigt. Er liest die stumme Anklage in den Blicken der Leute, im entsetzten Gesicht seines Vaters. Als Adrastus verzweiflungsvoll umherirrt, trifft er in einem einsamen Tal mit einem jungen Mädchen zusammen, das eben daran geht, ihren Vater zu bestatten. Sie klagen sich ihr Leid und aus dem gegenseitigen Mitleid entsteht Liebe. Heimlich wird die Ehe geschlossen, doch schließlich finden Spione des Königs die Zufluchtstätte der jungen Leute. Das neugeborene Knäblein wird von Häscher ergriffen und, wie Adrastus später erfuhr, ins Meer geschleudert; die junge Mutter starb gebrochenen Herzens. Weil Ion so große Ahnlichkeit mit ihr hat, möchte Adrastus sein Leben schonen und erklärt sich bereit, den Weisen noch einmal Gehör zu schenken. Habra, Clemanthes Zofe, versucht ihre Herrin aufzuheiter, indem sie die zarte Rauchsäule, die vom Opferfeuer aufsteigt, als ein glückverkündendes Vorzeichen deutet: es zeige der Götter Huld. Den bei Medon versammelten Weisen verkündet on sogleich die Botschaft des Königs. Während diese zur Beratung eilen, segnet Medon Ions Liebe zu Clemanthe. In derselben Szene meldet Ctesiphon die Ankunft des von Delphi kommenden Phocion. Der Schau¬ von Argos, wohin sich der König begibt, platz der nächsten Szene ist der Marktplatz um die Wünsche der Weisen zu hören. Erfragt sie um ihr Begehr. Agenor spricht König noch fragen könne: seine Verwunderung darüber aus, daß der „Ist dein Ohr „Are thine cars So sehr betört von knecht'scher Sänger¬ So charmed by strains of slavish min¬ schaft, strely, Daß dumpfes Murren, der Tobsucht nahes That the dull gran and frenzy-pointed Kreischen shriek Unerhört zum Himmel schallt? Oder ist Pass them unheard to Heaven? Or are Gewalt ger Gram dir so vertraut, thine eyes Daß dich sein Anblick nicht verwirrt?“ So conversant with prodigies of grief They cease to dazzle at them?" trotz dieser ergreifenden Schilderung der Der Tyrann bleibt jedoch ungerührt, Leiden des Volkes, er verwahrt sich dagegen, daß ihm die Schuld dafür beigemessen wird. Nach seiner Ueberzeugung ist der letzte Grund für alle Heimsuchungen im Walten des Schicksals zu suchen. Als Agenor ihn ermahnt, Buße zu tun, bricht sein verhaltener Despotismus hervor: Das Schicksal mag ihn des Thrones berauben, kann ihn aber nicht schwächen. Er will noch die wenigen Stunden seiner Herrschaft genießen und als König sterben. Da verkündet Phocion Apollos Spruch: Argos neer shall find release Till her monarch's race shall cease! Durch diesen Schicksalsspruch gereizt, läßt Adrastus den Boten fesseln, doch erreicht Ion die Freilassung Phocions. Vergeblich fleht Ion den König an, des Gottes

Warnung zu beherzigen, dieser läßt sich jedoch nicht umstimmen. Die Versammlung ist zu Ende, nur einige argivische Jünglinge stehen abseits und verabreden eine nächtliche Zusammenkunft. In einem Monolog zeigt sich Ion noch unentschlossen, ob er sich in das Walten des Schicksals einmischen solle oder nicht. III. Akt. Clemanthe trifft Ion im Hain und glaubt seine Pläne zu erraten. Nachdem sie sich getrennt, folgt sie ihrem Verlobten ohne sein Wissen. Phocion und mehrere argivische Jünglinge, denen Ion sich anschließt, schwören einander, den König zu ermorden. Das Los fällt auf Ion, doch falls dieser sein Ziel verfehle, soll Phocion an seine Stelle treten. Nun erkennt sie an seiner Erregung sowie an dem Dolch, den er vor ihr verbergen wollte, mit Gewißheit sein schreckliches Vorhaben, den König umzubringen. Unterdessen hat Medon eine Schriftrolle erhalten, die ihm Irus von einem Verwandten des jungen Slaven überbracht hat: dieser sei nach lang jähriger Abwesenheit in seine Heimat gekommen, doch schon am Tage der Rückkehr von der Pest ergriffen worden; sein letzter Wunsch sei es gewesen, daß Irus die Papyrusrolle Medon überbringe. Ihr Inhalt besagt, daß der nun mit dem Tode Ringende zugleich mit einem andern vom Vater des herrschenden Königs gedungen worden war, Adrastus Sohn zu ermorden; sie hätten ihn seiner Mutter entrissen und seien entflohen, doch bei einer abschüssigen Stelle an der Küste sei sein Gefährte ausgeglitten und im Meere ertrunken. Von Mitleid ergriffen, beschloß er, den grausamen Auftrag nicht auszuführen, sondern legte den Knaben in der Nähe des Apollotempels nieder und sah, wie der Priester das Kind aufhob. Aus Furcht vor Entdeckung war er in fremdes Land gegangen und jetzt nur zurückgekehrt, um in der Heimat zu sterben. Clemanthe erschrickt bei diesem Bericht: denn sie erinnert sich, daß vielleicht zur selben Zeit Ion Vatermord begeht. Medon hofft indeß noch, Ion an dem Verbrechen zu hindern: durch einen verborgenen Gang eilt er zum König. IV. Akt. Adrastus schläft. Ion erscheint, das Messer in der Hand. Er zögert, den Schicksalsspruch an dem Schlafenden zu vollstrecken: Adrastus soll das Urteil der höheren Mächte (the judgment of Supernal Powers") vernehmen und dann sterben. Von Ion geweckt, warnt der König diesen, eine Tat des Undanks zu begehen; denn eben noch habe er ihn begnadigt. Ion beruft sich nochmals auf seine göttliche Sendung, aber schließlich übermannt ihn das Mitleid mit dem freund- und kinderlos dastehenden König. Da erklärt dieser, daß er in Ion den Bevollmächtigten Jupiters erkenne und kniend will er den Todesstoß empfangen; Ion zückt das Messer, als Medon hereinstürmt mit dem Ruf: „Halt ein, Ion! Sieh deinen Sohn, Adrastus!“ Indeß sind die übrigen Verschwörer über das lange Verweilen Ions unruhig geworden und dringen in den Palast. Bald stürzt Ctesiphon, der übrigens nur von dem Wunsche beseelt war, seinen Vater zu rächen, mit blutigem Dolch aus dem Gemach; zugleich hat er seinen Schwur erfüllt. Tötlich verwundet, tritt Adrastus auf, von Ion gestützt, ordnet die Freilassung seines Mörders an und stirbt, nachdem Ion feierlich gelobt hat, den Thron seiner Väter zu besteigen. Ion sieht das Messer am Boden liegen, das ihm bei Medons Botschaft entfallen war, und plötzlich dämmert die wahre Bedeutung des Schicksalsspruches in ihm auf, den er nun wahr zu machen beschließt. Phocion vernimmt aus Ctesiphons Mund, was geschehen ist, und daß Ion Argos nunmehriger Herrscher ist. Phocion kann es jedoch nicht fassen, daß sein Jugend¬ freund den Thron des Tyrannen besteigen will. Da erinnert ihn Ctesiphon an den Eid, demzufolge Ion den König und dessen Nachkommen töten sollte. In Phocions zustimmender Antwort kommt wieder der leitende Gedanke des Stückes zum Ausdruck: „Das Schicksal drängt, „Fate commands, Ich lebe nur, um sein Gebot zu üben.“ And I live now but to perform her bidding. Auch die folgende (3) Szene nimmt deutlich auf das Orakel Bezug. Ion erkundigt sich bei Agenor, ob im Befinden der Pestkranken noch keine Besserung zu erkennen sei. Auf die verneinende Antwort des Weisen wünscht Ion schon am

8 folgenden Morgen zum König gekrönt zu werden. Als Phocions Anschlag, Ion hinterrücks zu ermorden, mißlingt, ersucht ihn Ion, doch bis zum nächsten Morgen zu warten; wenn er es dann an strenger Pflichterfüllung fehlen lasse, die die Not seines Reiches erheische, so werde er mit gleicher Bereitwilligkeit den Tod ertragen, wie er nun die Hand zur Versöhnung reiche. Auf den Knien fleht Phocion um Vergebung. Auf Ions Wunsch verbringt er die Nacht im Palast. V. Akt. Phocion hat erraten, in welcher Weise Ion den Schicksalsspruch deutet, daß er ihn nämlich an sich selbst zu vollstrecken gedenkt. Die edle Versöhnlichkeit, die Ion eben an den Tag gelegt, hat jedoch auch Phocions Freundschaftssinn gestärkt und diesem zum Siege verholfen über den blinden Gehorsam gegenüber dem Geheiß des Schicksals. Es gelingt ihm aber nicht, Ion von seinem traurigen Vorhaben abzubringen, nicht einmal durch den Hinweis auf Clemanthe. Ion will sie bitten, ihm sein Wort zurückzugeben und fürderhin seiner nur als eines verlorenen Freundes zu gedenken. Am Altar begegnen sich die beiden Verlobten. Traurig gedenken sie ihres kurzen Glücks. Ion erklärt, daß die Herrscherwürde sie nunmehr für immer von einander trenne. Er nimmt Abschied von ihr. Ihr ahnendes Herz sagt ihr, daß nicht seine königliche Würde, sondern ein trauriges Geheimnis des Schicksals der Grund ihrer Trennung sei. Nachdem Ion zum König gekrönt ist, und dem Rate der Weisen seine Wünsche und den Bürgern den Schwur auferlegt hat, in ihrem kleinen Staat die Herrschergewalt nicht mehr in die Hände eines einzelnen zu legen, sondern seine Geschicke aus eigener Machtvollkommenheit zu bestimmen, stößt er sich am Altar das Messer in die Brust, welches er schon seit dem Mordanschlage gegen Adrastus bei sich geführt hat. Zur selben Zeit meldet ein Bote, daß die Pest weiche. So erfüllt sich der Schicksalsspruch. Ion stirbt ruhmbedeckt in den Armen seiner geliebten Ziehschwester. Nur der Name des Helden und einige Einzelheiten in der Exposition sind dem „Ion“ des Euripides entlehnt. Wie der verwaiste Jüngling, den uns der griechische Dichter vorführt, wird Talfourds Ion, ein Findling, von einem Priester erzogen und wächst im Tempeldienst heran. Das Motiv der Pest fand der Dichter offenbar in Sophokles „Oedipus rex“. Die Götter suchen das Land mit einer Seuche heim; Adrastus trägt die Schuld an diesem großen Unglück; wie Oedipus will sich Adrastus dem Wahrspruch der Götter nicht unterwerfen. Schon in der Besprechung der Vorrede wurde darauf hingewiesen, welcher Hilfsmittel Talfourd sich bei der Charakterzeichnung bediente. Der reine uneigennützige Charakter des Helden, der wohl Sinn für die Freuden des Daseins hat, jedoch gerne unter Berufung auf seine Pflicht und das Drängen des Schicksals Verzicht leistet, der im Kampfe mit den Mächten der Finsternis sich eigentlich passiv verhält, ist an und für sich kaum einer dramatischen Entwicklung fähig, gibt der Dichter selbst in der Vorrede zu. Um dies dennoch zu ermöglichen, um einen Ersatz für die im Menschen wirkende Leidenschaft zu bieten, wurden andere, der Wahrscheinlichkeit fernstehende Motive in die Handlung eingeführt. Man hat daher, erklärt der Dichter weiter, nicht nur zur altgriechischen Schicksals¬ idee und zu einer Prophezeiung Zuflucht genommen, die sich gleich einer Kette um die handelnden Personen schlingt, sondern auch zur Idee der Bezauberung, deren sich das Fatum bedient, um auf sein Werkzeug einzuwirken und es zur Ausführung ihm nicht zusagender, doch der Erreichung seiner dunklen Zwecke notwendiger Handlungen zu zwingen. Von einer tragischen Schuld Ions kann daher nicht die Rede sein. Er erscheint als die Verkörperung des Guten und hierin kann man die Einheit der Handlung erblicken. Die Einheit der Zeit ist strenge eingehalten worden, der häufige Szenenwechsel wird als keineswegs störende Abweichung von der altgriechischen Auffassung empfunden. Besser motiviert ist der Charakter des Adrastus. Sein Hang zur Ausschweifung und zur Grausamkeit erscheint als Folge des Unglücks, das ihn seit seiner frühesten Kindheit verfolgt. In der Unterredung, die er Ion gewährt hat, zeigt sich der König

9 dennoch menschlichem Fühlen zugänglich. Als Agenor ihn ermahnt, Buße zu tun, regt sich sein Stolz. Das Schicksal mag ihm Leben und Thron rauben, gegen seinen verzweifelten Mut ist es machtlos. Als er jedoch in. Ion seinen Sohn findet, wird der Tyrann zum Dulder, der ohne Zögern den Todesstoß von Ctesiphons Hand empfängt. Clemanthe ist liebevoll, weichherzig, sentimental; sie unterwirft sich dem Schicksal, als Ion erklärt, sich für alle Zukunft von ihr trennen zu müssen, da er sich ganz seinen Herrscherpflichten widmen wolle. Ihr Verzicht zeugt gewiß von Heroismus. Die Liebesszenen — wenn man sie so nennen darf — sind erfüllt von lyrischer Reflektion. Hierin scheint der Einfluß des altklassischen Dramas vorzuwalten. Wie in den griechischen Dramen bezweckt der Dichter in den lyrischen Szenen, nicht nur Gefühlsergüsse zu beschreiben, sondern auch den Leser oder Hörer mit der Gemütsstimmung der vorgeführten Personen bekannt zu machen. Von den Nebenpersonen treten Ctesiphon und Phocion am meisten hervor, der erstere in seinem maßlosen Rachedurst gegen Adrastus; die Verschwörung gegen den König ist ihm nur ein willkommener Anlaß, seinem Haß die Zügel schießen zu lassen. Während sein Handeln eher dieser Leidenschaft als dem Geheiß des Schicksals folgt, zeigt Phocion anfangs mehr Gehorsam gegen die Götter als seinem König gegenüber. Unter Berufung auf seinen Schwur begeht er einen feigen Mordanschlag gegen Ion. Die großmütige Verzeihung, die ihm Ion gewährt, hat eine Wandlung in seinem Charakter zur Folge, seine republikanische Begeisterung weicht dem Wunsche, Adrastus Sohn in Frieden über Argos herrschen zu sehn. Eine kurze Inhaltsangabe des griechischen Stückes, welches die erste Anregung zur Eröffnungsszene bot, mag zeigen, daß zwischen den beiden Dramen keine große Ähnlichkeit besteht. Der Ort der Handlung ist Delphi. Hermes, der Götterbote, schwebt vom Himmel herab und berichtet, daß vor einer Reihe von Jahren Creusa, Tochter des athenischen Königs Erechtens, von Apollo einen Sohn empfangen und ihn ausgesetzt habe; auf die Bitte seines Bruders brachte Hermes das Kind nach Delphi und legte es im Tempel nieder. Pythia zog den Knaben auf und als er groß geworden, wurde er Hüter des Tempelschatzes. Unterdessen heiratete Creusa Xuthos, König von Euboea. Da diese Ehe bisher kinderlos blieb, soll das königliche Paar, sagt Hermes, vor dem delphischen Orakel seine Bitte vorbringen. Apollo wird seinen eigenen Sohn Xuthos schenken, den er als einen Sohn des Königs bezeichnen wird, damit auch Creusa ihn anerkennen möge. „Ion“ soll der Name des Jünglings sein, „on“ bedeutet: einer, der sich nähert. Der den Rat des Orakels einholende König soll nämlich denjenigen als seinen Sohn betrachten, dem er beim Verlassen des Heiligtumes zuerst begegnen würde. Dann verschwindet Hermes und Ion, die Hauptperson des Stückes wird nun als Tempel¬ wart vorgeführt; er ist schlicht, fromm, dankbar, besonders gegen Apollo, pflichttreu, mit seinem Loos zufrieden. Hierauf kommt der Chor der athenischen Frauen, sie bewundern die Pracht des Tempels ihnen folgt Creusa. Als sie von Ion vernimmt, daß er der Eltern beraubt, ohne Hoffnung sie je wiederzufinden, erzählt sie ihm ihr eigenes Mißgeschick, stellt es jedoch so dar, als ob es einer unglücklichen Freundin widerfahren. Bei der Ankunft des Xuthos bittet sie den Jügling, ihrem Gatten gegenüber nichts von ihrer vertraulichen Mitteilung zu erwähnen. Der Weisung des Orakels folgend, begrüßt Xuthos den Sohn Apollos als seinen eigenen und nennt ihn „Ion“. Vor allem jedoch wünscht der König, Ion möge in der Angelegenheit Schweigen bewahren, um sich nicht mit Creusa zu entzweien. Diese erfährt es aber durch den Chor und versucht den Jüngling zu vergiften. Ihr Anschlag wird entdeckt und Ion verfolgt sie bis zum Altar des Apollo. Pythia legt sich nun ins Mittel, sucht den Jüngling zu beruhigen, bittet ihn, nach seiner Mutter zu forschen und übergibt ihm als Erkennungszeichen einen

10 Korb, worin Ion als Findling gelegen, sowie die Gewänder, die sie sorgfältig aufbewahrt hatte Creusa erkennt die Sachen wieder, und die Lösung der Verwicklung ist gegeben. Zuerst ist Ion ein schlichtes Naturkind, das sich glücklich schätzt, seinem Gott zu dienen; er scheint keine Leidenschaften zu konnen oder einer Erregung fähig zu sein, außer es wollte jemand Apollos Ehre oder seine eigene Würde angreifen; als er jedoch seinem Vater zuliebe in die Welt hinaustritt, zeigt er trotz seines jugend¬ lichen Alters Energie und Mut. Creusa tritt auf voll Trauer, Mutterliebe und Sehn¬ sucht, doch ist sie zugleich darauf bedacht, daß niemand ihrer Ehre und königlichen Würde nahetrete. Vergleich des „lon mit Whiteheads Drama: Creusa, Queen of Athens. William Whitehead (1715—1785), bearbeitete dieses Stück und ließ es 1754 unter dem Titel „Creusa, Queen of Athens“ erscheinen. Der Gang der Handlung in dieser Bearbeitung ist folgender I. Akt. Ilyssus, der hier die Rolle des Ion spielt, ist der Hüter des Tempels. Phorbas, ein alter Athener, tritt auf und verkündet das Herannahen des athenischen Königspaares; sie kommen, um sich bei Apollo einen Leibeserben zu erflehen. Der redselige Phorbas berichtet weiter im Gespräch mit Pythia, daß Creusa vor ihrer Verheiratung mit Xuthos in heimlicher Ehe mit dem Athener Nicander gelebt. Als ihr Vater Erechtens das Geheimnis erfuhr, verbannte er den jungen Mann aus Athen. Wenige Tage später, nachdem Nicander die Stadt verlassen hatte, wurden seine blutbefleckten Kleider aufgefunden und man hielt ihn seither für tot. Die unglückliche Creusa erlangte von ihrem Vater die Erlaubnis, Nicander ein Grabmal zu errichten. Selbst jetzt, nach ihrer Verheiratung mit Xuthos, sagt Phorbas, bringe sie Toten¬ opfer dar. Creusas Gatte hat sich beim Volke verhaft gemacht. Beim Eintreten des Ilysus schließt Phorbas seinen Bericht. Pythia beauftragt den Jüngling, die Königin gebührend zu begrüssen, sich dann zu seinem Ziehvater, dem weisen Aletes zu begeben, um ihm aufzutragen, er möge sich bei Pythia einfinden. Auf Bitten der Königin erzählt ihr Ilyssus seine Lebensgeschichte; vor 18 Jahren sei er auf der Schwelle des Tempels gefunden worden; zu großem Dank sei er Aletes verpflichtet, der ihn erzogen habe. Creusa findet an dem Jüngling solches Gefallen, daß sie ihn nach Athen mitzunehmen beschließt; sie findet sehr große Ähnlichkeit zwischen ihm und Nicander. Phorbas soll sich bei Aletes erkundigen. II. Akt. Ilyssus teilt seinem Erzieher den Plan der Königin mit und erlangt dessen Zustimmung. Er prophezeit dem Jüngling, daß er innerhalb weniger Stunden bezüglich seiner Eltern Gewißheit haben werde. In geheimer Unterredung erteilt Aletes Pythia den Rat, den Fragenden Ilyssus als Sohn zu bezeichnen. Zu seinen Gunsten spreche seine unaufgeklärte Abstammung, seine Erziehung und sein sanftes Wesen; die Königin habe ihm ihre Huld gezeigt, auch der König werde ihm seine Gunst nicht verweigern. Nach Aletes Rat soll Pythin folgendes Orakel künden: Eine Jünglings Achtung trägt die Schuld A banished youth is the cause of Athens am Gram Athens. grief. Ein andrer muß an seine Stelle treten; For him Athens must get a second youth; Dem fremden Jüngling, der meinen Dienst Put the crown on the young unknown versieht, who is Den meinen Sohn ich nenne, reichet die Performing my service and whom I Krone! call my son! Inzwischen hat Phorbas das falsche Gerücht vernommen, daß der auserwählte Jüngling älischer Abkunft sei. Die Königin, enttäuscht darüber, in ihm nicht den Sohn des Nicander wiederzufinden, willigt in Phorbas Plan, Ilyssus aus dem Wege zu räumen.

11 III. Akt. Creusa beschuldigt den König des geheimen Einverständnisses mit Pythia bei dem Betrug. Beim Festmahl soll Phorbas mit Hilfe eines Sklaven den Trunk vergiften, den der König Ilyssus darbieten soll. IV. Akt. Aletes gibt sich der Königin als Nicander zu erkennen. Das Gerücht, daß er und sein Sohn ermordet worden seien, hätte er selbst verbreitet, um Creusa vor Schmach zu bewahren. Ion, sagt sie, laute der Name ihres Sohnes, Ion sei also dieselbe Person wie Ilyssus. Die Königin stirbt an dem für Ilyssus - Ion bestimmten Gifttrunk. V. Akt. Phorbas unternimmt einen Mordanschlag gegen das Leben des Königs und des Sohnes. Nicander, der ihm zur Hilfe eilt, rettet Ion, wird aber selbst tötlich verwundet. Um das Stück der englischen Bühne anzupassen, änderte Whitehead den Aufbau des Euripideischen Dramas. Bei der Zeichnung der Charaktere wurden keine wesent¬ lichen Änderungen vorgenommen. Nur Hyssus wurde zu weit in den Hintergrund gedrängt. Die Gestalt des Nicander ist des Dichters freie Erfindung, doch wirkt sie nicht vorteilhaft, da sie nur dazu beiträgt, die Verwicklung noch gekünstelter erscheinen zu lassen als im Vorbild. In der Rolle des weisen Erziehers und väterlichen Freundes zeigt er Ähnlichkeit mit Medon, wobei sich jedoch Talfourd, im Gegensätze zu Whitehead, von aller Lehrhaftigkeit fernhält. Im allgemeinen erscheint die Klarheit des Vorbildes getrübt und Whiteheads Stück darf als ein Erzeugnis der pseudoklassischen Richtung angesehen werden. Trotz der großen Verschiedenheiten, die zwischen dem antiken Drama und seiner englischen Fassung einerseits und Talfourds Tragödie andrerseits in Bezug auf Inhalt und Aufbau bestehen, läßt sich doch eine gewisse Verwandtschaft nicht verkennen, da alle drei Stücke Schicksalsdramen sind. In diesen wirkt das Schicksal als personifizierte Macht, die den Gang der Ereignisse vorherbestimmt, und der eigent¬ liche Antrieb zur Handlung ist. Hiehergehörende Motive sind daher Fluch und Segen, die schwer auf ganzen Generationen lasten und sich schließlich erfüllen, soviel auch die beteiligten Personen dagegen getan haben. Die Schicksalsmächte bestimmen die Handlungen, die anstatt das Ergebnis einer Charakterentwicklung zu sein, zu bloßen Situationen werden, in denen sich die auftretenden Personen bewähren. Ein die drei Stücke vergleichender Aufsatz war in The Gentleman’s Magazine (wol. V. p. 505 f. erschienen, wo behauptet wird, die in Frage stehenden Stücke seien in Bezug auf Charakterzeichnung und Aufbau gänzlich verschieden voneinander. Dieses Urteil kann wohl nur in Bezug auf Talfourds Ion zurecht bestehen, während durch die Inhalts¬ angaben gezeigt wurde, daß Whiteheads Tragödie dem antiken „Ion“ nahe verwandt ist. Talfourds „Ion“ und Whiteheads Stück stehen in gewisser Beziehung zur Schauerromantik, wenn man die Schicksalstragödie als eine besondere Gruppe dieser Literaturperiode, deren Ausläufer sich bis in die Dreißigerjahre des vorigen Jahr¬ hunderts und noch weiter herauf verfolgen lassen, betrachten will. In ihrer „Geschichte der englischen Romantik“ (I, Halle 1911) hat Helene Richter die hervorstechendsten Motive dieser um die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden literarischen Erscheinung in folgender Weise zusammengefaßt: 1. Geheimnisvolle Geburt. Eine Hauptperson wächst unter fremdem Namen heran und wird schließlich wieder in die ihr gebührende Stellung eingesetzt. 2. Totgeglaubte oder als tot vorgeschützte Personen. — 3 Ermordung naher Verwandter, 4. Geheimnisvolle Freunde spielen eine große Rolle. — 5. Scheintote kommen vor. — 6. Als Jünglinge verkleidete Frauen erscheinen in mehreren Romanen und Dramen. — 7. Geständnis eigener Liebe in Form einer Erzählung in dritter Person kehrt öfter wieder. — 8. Vom Teufel versucht und geholt werden die Hauptpersonen mehrerer Stücke. — 9. Die Inquisition wird mit Vorliebe hereingezogen. 10. Ein bedeutungsvolles spukhaftes Objekt greift als wichtiger Faktor in die Handlung ein. 11. das dunkle, mittelalterliche Schloß mit verworrenen unterirdischen Gängen,

— 12 - verborgenen Türen, ist fast allen Schauerromanen eigen und gibt für viele den Namen und die Milienstimmung. Es bringt Einheit in die vielfach verworrene Handlung und wird gewissermaßen zu einem ihrer Hauptträger. — 12. Eine alte Handschrift dient gewöhnlich zur Einleitung. Auf Talfourds Tragödie finden die unter Punkt 1 —3 angeführten Merkmale Anwendung. Ion, die Hauptperson des Stückes, wächst zum Jüngling heran, bis er scheinbar durch einen Zufall als Königssohn erkannt wird. Bei Adrastus Geburt war ein geheimnisvoller Fluch vernommen worden. Erst kurz vor seinem Ende erfährt er, daß Ion sein totgeglaubter Sohn sei. Das Motiv der Ermordung naher Verwandter oder wenigstens solcher Mordanschläge ist wiederholt verwendet. Gegen Adrastus hegt man, allerdings unbegründeterweise, Verdacht, daß er seinen Bruder aus dem Weg geräumt. Adrastus Vater schickt gegen seinen Enkel Henkersknechte aus. Ion erhebt den Dolch gegen seinen Vater, dieselbe Mordwaffe (vgl. Punkt 10 der vor¬ stehenden Aufzählung) richtet Ion gegen sich, um den Schicksalsspruch zu erfüllen. Auch das Milieu, der mit Adrastus Burg durch einen geheimen Gang verbundene Tempel, ist der Schauerromantik eigen. In Whiteheads Stück kehren die nämlichen Wendungen (13) wieder, neu ist das Motiv des geheimnisvollen (väterlichen) Freundes (Nicander). Die enge Verwandt¬ schaft, ja Identität der in den beiden englischen Tragödien vorkommenden Motive erklärt sich aus dem gemeinsamen Vorbild, der antiken Tragödie, deren Merkmale die neuere, antikisierende Schicksalstragödie trägt. Während aber Whitehead diese Motive in der banalsten Weise ausnützt, darf Talfourds „Ion“ als ein glücklicher Versuch bezeichnet werden, das altklassische Trauerspiel zu neuem Leben zu erwecken. Auch weiß Talfourd das lokale Kolorit lebenswahr wiederzugeben, obwohl er die Gegenden nie gesehen. Daß sich sein Stück keines dauernden Erfolges erfreute, findet wohl darin seine Erklärung, daß die politische Seite des Dramas, welche stark betont ist — der Verzicht eines absolutistischen Alleinherrschers, worauf Ions Selbst¬ opferung hinausgeht — in weiteren Kreisen eines seit langem verfassungsrechtlich regierten Volkes keine besondere Anziehung ausüben konnte. Andrerseits ist Ion viel zu stark von romantischem Geist durchdrungen, und leidet an einer Ueberfülle figür¬ licher Ausdrucksweise, um den Forderungen eines kritischen Zuhörer- oder Leserkreises nach antiker Einfachheit der Form und des Aufbaues zu genügen. Immerhin ist Talfourd ein Klassiker unter den Dramatikern der Romantik zu nennen. „Ion“ erscheint als Reaktion gegen die eigentlichen Dramen der Schauerromantik, die mit Walter Scotts Drama „The House of Aspen“, 1830 veröffentlicht, und „Auchindrane“ (1829 verfaßt) wieder aufleben; ihre Schwäche liegt in der Verwendung des Gespenstischen (vgl. A. Petri. Über Walter Scotts Dramen, Progr. Schmölln 1910/11). II. The Athenian Captive. Die fünfaktige Tragödie „Der athenische Gefangene ist dem Lord Oberrichter Thomas Denman gewidmet. In der Vorrede führt der Verfasser aus, wie er durch den Erfolg des „Ion“ sowie durch Macreadys Zureden ermutigt, dem er auch den ersten Entwurf des Stückes vorgelegt hatte, dieses während der Weihnachtsferien (1837) geschrieben habe. Die Aufführung im Covent Garden-Theatre war infolge eines ungünstigen Zufalls im letzten Augenblick abgesagt worden, das Stück erschien inzwischen im Druck und wurde bald darauf im Haymarket-Theatre gegeben. Durch die frühere Veröffentlichung des Textes war wohl das Interesse für die Uraufführung geschwächt worden, doch hatte das Stück dank der Bemühungen der Darsteller einen Achtungserfolg. Der Schauplatz der Handlung ist Korinth und seine unmittelbare Umgebung. Die Ereignisse umfassen zwei Tage.

— 13 — I. Akt. Die Eröffnungsszene, die den ganzen ersten Akt ausfüllt, spielt in einer Säulenhalle der Burg von Korinth, den Hintergrund bildet das Meer. Der altersschwache König Creon, der einen Rachekrieg gegen die übermütigen Athener unternommen hat, erwartet die Rückkehr seines Heeres. Sein Augur Iphitus, Priester im Tempel des rächenden Jupiter, hält Vogelschau und verheißt dem König Triumph. Creon verhält sich aber ziemlich teilnahmslos, da er in Gedanken an sein bevor¬ stehendes Ende versunken ist. Eher noch vermag ihn die Liebe zu seiner Tochter Creusa an das irdische Leben zu fesseln; sie ist der Trost seines Alters. Creusa berichtet, daß sie soeben den Göttern ein Bittopfer gebracht, damit ihr Zwillingsbruder Hyllus heil aus der Schlacht wiederkehre. Nach einem Streit mit seiner Stiefmutter Ismene, die eine spöttische Bemerkung über ihre Vaterstadt Athen gehört zu haben glaubte, war Hyllus ohne Wissen seines Vaters im Morgengrauen mit den Truppen fortgezogen. Iphitus soll die Königin rufen, damit sie Rede stehe. Unverrichteter Dinge kehrt er zurück: vor Minervas Standbild fand er sie kniend, in stummem Flehen. Einen Augenblick zuckte es wie verhaltener Groll über ihr Antlitz, doch sogleich nahmen ihre Züge den starren, Minervas Bild gleichenden Ausdruck wieder an. Hyllus, leicht¬ verwundet, tritt, von seiner Schwester gestützt, vor seinen Vater und bittet um Vergebung, daß er sich ohne Erlaubnis am Kampfe beteiligt habe. Der eintretenden Ismene wirft der König vor, daß sie an Hyllus Verwundung Schuld trage, doch dieser gibt zu, daß seine Stiefmutter im Recht war, und erzählt, wie er im Zwei¬ kampf mit Thoas, einem edlen Athener, verwundet und begnadigt, dieser selbst aber von den Korinthern gefangen genommen wurde. Thoas, der nun auftritt, findet in Hyllus und Creusa, die einen tiefen Eindruck auf den Gefangenen gemacht hat, eifrige Fürsprecher gegenüber Creon, und als ihn dieser vor die Wahl lebenslänglicher Sklaverei oder augenblicklichen Todes stellt, entscheidet sich Thoas für das letztere : auf Hyllus flehentliches Bitten läßt er sich endlich herbei, sein Leben als Geschenk aus Hyllus Hand zu empfangen und nennt erst jetzt seinen Namen. Ihm übergibt er Helm und Waffen mit Ausnahme eines Dolches, den er unter seinem Gewande verbergen darf. Um ihn über den Verlust seiner Freiheit zu trösten, malt ihm Hyllus in den schönsten Farben aus, wie sie ihr Freundschaftsbündnis pflegen wollen, Thoas soll ihm ein Führer und Vorbild edler Gesinnung sein. H. Akt. Lycus, der Sklavenaufseher, rühmt seinem Herrn gegenüber die Demut und Gelassenheit des gefangenen Atheners. Auf Wunsch des Königs soll Thoas durch Beteiligung an den Kampfspielen Korinths Sieg verherrlichen helfen. Noch während er sich dagegen sträubt, meldet ein Bote, daß Hyllus Rosse scheu geworden und einem Abgrund zugerast seien. Thoas stürzt hinaus und bringt das Gefährte noch rechtzeitig zum Stehen. Hyllus preist Thoas edlen Sinn, und Creusa gesteht ihrem Bruder, daß sie von Liebe zu dem Gefangenen ergriffen sei. Den beim Sieges¬ mahl Versammelten muß Thoas auf Ismenes Verlangen den Becher reichen. Als aber der König seinen Trinkspruch mit einem Fluch auf Athen beschließt, schleudert Thoas den Pokal zu Boden mit den Worten: Ruin to Athens! Who dares echo that? Athen muß fallen! Wer wagt dies zu wiederholen? Who first repeats it dies. The limbs Wer’s tut, der stirbt. Der Leib ist wohl are armed gestählt, With vigour from the gods that watch Dem Kraft verliehen die Himmlischen, above Getreu dem unsterblichen Spros. Träumt Their own immortal offspring. Do ye Ihr vielleicht, dream, Weil Zufall eine freche Stunde Euch ge¬ Because chance lends ye one insulting währt, hour, Daß Ihr ersticken dürft die hehre Flamme, That he can quench the purest flame the gods Die Götter mit des Himmels Glut ent¬ fachten? Have it from heaven's own fire?

14 Diese Auflehnung soll Thoas mit dem Leben bezahlen. Ismene rät, den Verwegenen in einen Felsenkerker zu werfen, bis der König eine angemessene, qualvolle Todesart erdacht. Hyllus, der sich zugunsten seines Freundes einmischt, wird aus Korinth verbannt. Als Thoas abgeführt werden soll, gibt Ismene sich ihm in geheimer Unterredung als Athenerin zu erkennen; sie verabreden eine mitternächtige Zusammenkunft. In einem kurzen Monolog erklärt Ismene, daß nun die Stunde der Rache gekommen sei. Die Gründe dafür geben die Ereignisse des III. Aktes. Zunächst sucht Creusa, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt, indem sie die Gefahr einer Entdeckung nicht scheut, den Athener kurz vor Mitternacht in seinem Verließ auf und teilt ihm ihre Absicht mit, ihn zu befreien. Indem sie die Hoffnung auf ein Wiederschen ausspricht, läßt sie erkennen, daß ihr Herz in Liebe zu ihm ent¬ flammt sei; da erinnert sich Thoas an sein der Königin gegebenes Versprechen; Creusa warnt ihn vor der Zusammenkunft, die Königin sei gefühllos, sie scheine mit bösen Geistern zu verkehren, sagt Creusa, denn oft begebe sie sich in eine schwer zugängliche Grotte in der Nähe des Jupitertempels, aus welcher giftige, aschgraue Nebelschwaden hervorquellen. Dorthin könnte sie ihn führen; auch könnte sie ihn zu einer Mordtat anstiften. Er aber teilt ihre Befürchtungen keineswegs, sondern verläßt sich auf sein ehrliches Gewissen. Da kommt Kalchas mit seinen Leuten zum Felsenkerker, Creusa nimmt Abschied und gelangt unbemerkt durch einen anderen Ausgang ins Freie. In der Ahnenhalle trifft Ismene den ihr vom Schicksal bestimmten Rächer. Sie legt ihm zunächst die ihr widerfahrene Schmach dar, ohne jedoch ihren Urheber zu nennen. Sie nennt es Thoas Bestimmung, sie zu befreien und zu rächen. Während dieser sich zu jedem ehrenhaften Beistand bereiterklärt, mutet sie ihm zu, sich mit Creons Feinden, mit denen sie seit Jahren im geheimen Einverständnis gestanden, zu verbinden, des Nachts in den Palast zu dringen und sich der Person des Königs zu bemächtigen. Thoas kann jedoch diesem feigen Vorschlag nicht zustimmen. Auf die Frage der Königin, wer ihn, den einfachen Krieger, zu solch edler Denkungsart erzogen, erzählt Thoas seine Jugendgeschichte, aus der sie erkennt, daß er ihr Sohn sein müsse, sie läßt es jedoch diesen selbst noch nicht wissen. In Verzückung ruft sie aus: Dreadful powers! Ihr fürchterlichen Mächte Who on the precipice's side at eve Die ihr des Abends an des Abgrunds Rand Have bid gigantic shadows greyly pass Gigantsche graue Schatten vorbeiziehn ließt Before my mortal vision dismal dunkle forms Vor meinen ird'schen Blicken, Gestalten of a fate stricken race — I see him jetzt sehr Eines totgeweihten Stammes now, Whom ve led followers of your ghostly ich ihn, train Der eurem geisterhaften Zuge folgte, O nerve him for his office! stärkt ihn zu der Tat! Thoas kann sich der faszinierenden Wirkung ihrer Worte nicht mehr entziehen. er fühlt, daß „seine Seele verdorben“, daß er ihrem Geheiß folgen müsse. Endlich hören wir auch, von wem ihr einst Schmach und Unrecht widerfahren: als ihr vor Jahren ihr kleiner Sohn entrissen wurde, warf sie sich Creon zu Füßen und flehte um seinen Beistand. Dieser hatte sie jedoch hartherzig abgewiesen. Thoas schwört, die Athener zur Rache ermuntern zu wollen und entfernt sich dann auf Ismenens Rat durch ein Zimmer, von welchem er über eine Terrasse zur Burgmauer gelangen kann. Vorher mußte er schwören, jeden niederzustoßen, der sich ihm in jenem Zimmer in den Weg stellen würde. Während sie dem ein¬ tretenden Kalchas mitteilt, daß Thoas ihr Sohn sei, ertönt aus dem Nebenraume ein kurzes Stöhnen, der König ist durch Thoas Dolch gefallen. Kalchas muß sich nun der Stadttore versichern, Ismene will an Athenes Altar Ruhe suchen und den Ausgang abwarten.

15 Am Saume eines Gehölzes, bei einem Wachtfeuer der Athener, stößt der von Gewissensqualen getriebene Thoas auf seinen Freund Pentheus, dem er bekennt, daß er keineswegs in gerechter Notwehr, sondern nur unter dem Zwange des Ismene geleisteten Eides die verhängnisvolle Tat vollbracht. Da ertönen Hilferufe aus dem nahen Wald: Thoas erkennt Hyllus Stimme und der Wunsch, dem Freund zu helfen, läßt ihn einen Augenblick seine Tat vergessen. Doch schon als Hyllus fragt, wie Thoas aus dem Verließ entkommen, wird es ihm zur Gewißheit, wenn er gemordet, wagt aber nicht den Namen auszusprechen, sondern drängt Hyllus zur Flucht. Er selbst hofft in der Schlacht den Tod zu finden. IV. Akt. Die erste Szene versetzt uns in den Urnenhain der korinthischen Königsfamilie. In stiller Trauer steht Creusa an der Urne ihres Vaters. Sie kann die Meinung ihres Bruders nicht teilen, daß Thoas sein Mörder sei und schreibt seine Selbstanklage der vorangegangenen Aufregung zu. Während Creusa einer Aussprache mit Ismene ausweicht, fordert Hyllus die Krieger ihres Gefolges vergeblich auf, mit ihm gegen die Athener zu ziehen, an deren Spitze Thoas steht; auf Befehl der Königin öffnen sich die Thore Korinths vor diesen, noch ehe der Kampf ent¬ schieden; doch kann sich Thoas nicht lange des Sieges freuen. Schon das Auftreten des Kalchas ruft in ihm die Erinnerung an den Mord wach, er reißt sich den Lorbeerkranz vom Haupt; ohne ein Wort der Weigerung, gewissermaßen fasziniert durch die Aufforderung der Königin, sich im Ahnensaal einzufinden, folgt er dem Herold. In der Unterredung erhebt Thoas heftige Vorwürfe gegen Ismene, als diese die Tat zu beschönigen sucht, nennt er sie eine böse Zauberin und will sie verfluchen, da gibt sie sich als seine Mutter zu erkennen und erzählt nochmals ihr Leid. Doch Thoas, der vergißt, daß Ismene aus Mutterliebe gehandelt hat und in ihr nur mehr die rachsüchtige Mordstifterin erblickt, weicht entsetzt von ihr zurück. Da meldet Iphitus, eine prophetische Stimme habe sich im Zeustempel aus einem alten, halb zerfallenen Altar vernehmen lassen und gefordert, von Ismene den Mörder Kreons zu erfragen, dessen Name sie vor dem Altar nennen müsse. Daraufhin hatten Athener und Korinther Frieden geschlossen und eine Untersuchung des Mordes verlangt. Inzwischen ist der Verdacht auf Hyllus gefallen, da man ihn am Morgen nach der Mordtat im Gemach des Opfers gefunden. Der um das Leben ihres Bruders flehenden Creusa verspricht Thoas, bei der Untersuchung das Wort für ihn zu ergreifen; bevor Hyllus ein Leid geschehe, werde es eher sein eigenes Leben kosten. In ohnmächtiger Ver¬ zweiflung bricht Creusa zusammen, als sie zu erkennen glaubt, daß Thoas, dem Mordwahn unrettbar verfallen, ihren Herzensbund nur noch als eine Erinnerung an längst entschwundenes Glück betrachtet. V. Akt. Vor der Versammlung im Tempel wiederholt Iphitus die an die Königin ergangene Aufforderung: in großer Erregung weist sie auf Hyllus und fällt besinnungslos zu Boden. Auch nachdem sie sich wieder erholt hat, hält sie die ihren Sohn entlastende Lüge aufrecht und sucht diesen zu gemeinsamer Flucht zu bereden. Da er nicht einwilligt, stürzt sie davon, um in der mit todbringenden Dämpfen erfüllten Grotte ihr Leben zu enden. Während Iphitus ein zweitenmal die Entscheidung der Götter anruft und man gespannt auf ein Zeichen lauscht, ersticht sich Thoas mit demselben Dolch, der schon einmal als Mordwaffe gegen Creon gedient und stirbt, nachdem er Hyllus als nunmehrigen Herrscher begrüßt und um Verzeihung gebeten hat. Ursprünglich war der Gang der Handlung im V. Akt folgender: Nachdem Ismene fort ist, bemüht sich Thoas vergeblich, die Korinther von der Unschuld des Hyllus zu überzeugen; erst durch die drohende Haltung des Siegers werden sie zur Nachgiebigkeit gezwungen und Thoas wird von Iphitus das Recht der Entscheidung überlassen. In geheimer Unterredung bittet Thoas seinen Freund, ihn zu töten, so Creons Tod zu sühnen und dadurch, daß er den Spruch Ismenes an sich vollstrecken lasse, nicht vom neuen den Zorn der Götter heraufzubeschwören. Am

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