41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

9 — Von seiner Reise zurückgekehrt, befand sich Banernfeld in einem Stadium geisti¬ ger Schluffheit, die ihn zu keiner Arbeit kommen ließ und als er sich aus diesem Znstande befreite, nahm ihm das politische Treiben gefangen. Die politischen Ver¬ hältnisse Frankreichs, welche ihn schon seit der Julirevolution des Jahres 1830 beschäftigten, zogen seine Aufmerksamkeit in erhöhtem Malle auf sich, er beschäftigte sich mit der französischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der Zeit Ludwigs XV. und XVI. und schöpfte daraus Stoffe für politische Lustspiele. Nachdem auch diese Periode vergangen war, wundte er sich wieder rein literarischer Tätigkeit zu und verfolgte aufmerksam die zeitgenössische Literatur. Von älteren Franzosel hat Banernfeld, wie aus gelegentlichen Urteilen und Außerungen und auch aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, Racine, Corneille, Molière, Goldoni, Marivaux, Destonches, Voltaire, Roussean gekannt, von neueren und neuesten Beaumarchais, Leclereq, Dela¬ vigne. Scribe, Dumas fils, Balzac, Pr. Mérimée, G. Sand, Feuillet, Charles Bernard und V. Ingo; im Jahre 1866 verzeichnet Bauernfeld als von ihm gelesene Werke französischer Autoren: „Le lion amoureur“ von Ponsard, „Les travailleurs de lu mer“ von V. Uugo, „Les amours de Paris“ von Paul Féval, „Scènes de la vie pricée“ von Balzac und „Die französische Revolution“ des Engländers Carlyle. Auch während seines Sommeraufenthaltes in Ischl las er eine Menge französischer Romane In den fünfziger Jahren machte sich Bauernfeld wieder an Ubersetzungen eigener Sachen. Eine kleine Festkomödie, welche wahrscheinlich für ein Fest in der Lud¬ lams(-Gnomen)-Höhle bestimmt war, übersetzte er unter dem Titel „Le Paradis“ ins Französische und bearbeitete im Jahre 1855 sein Stück „Unter der Regent¬ schaft“ französisch, eine Arbeit, die ihm leicht von der Hand ging (Bfld., Tgb., 30. Norember 1855). II. Kupitel. Bauernfelds Urteile über die Franzosen. So wie Bauernfeld in seiner Lektüre sich nicht bloß auf das Literarische be¬ schränkte, sondern auch eifrig Historisches, Politisches, Nationalökonomisches und Naturwissenschaftliches las, so galt sein Interesse nicht allein dem politischen Lehen, sondern er verfolgte aufmerksam auch die Entwicklung des gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Lehens. Als er sich im Jahre 1826 mit der Tragölie „Alkiblades“ abquälte, war es seine Absicht, in den Atheniensern die Franzosen zu schildern, da es in Paris beilänfig so toll zugehe, wie damals in Athen (Bfld., Tgb., November 1825) Er erwähnt, daß Paris und Athen von großen Schriftstellern vielleicht nicht mit Un¬ recht als Beispiele angeführt werden und daß er sich in seinem bescheidenen Wirkungs¬ kreise eine ähnliche Forderung gestellt habe, „gar zu gerne bei seinem gelichten Wien den Wetteifer zu erregen, sich jene beiden Musterstädte der alten und neuen Welt an politischer Bildung und Vaterlandsliebe, sowie an edlem Ausdruck und Geselnack zum Vorbilde zu nehmen, vielleicht wäre das zugleich ein Weg, ihnen an wahrer Freiheit und geistiger Unabhängigkeit näher zu kommen“ (Bfld., des. Aufs., S. 61). Wie gruße Verbreitung auch ansländische Literaturen in Deutschland ge¬ wonnen hatten, wie stark der Einfluß, besonders der französischen gewesen war, so hatten sich doch jene Välker vor der deutschen Literatur abgeschlossen und erst im 19. Jahr¬ hundert begann man in Frankreich deutsche Geisteswerke zu übersetzen, deutsche Literatur sich anzueignen und über diesen Einlluß der dentschen Literatur, insbeson¬ ders auf die neueste französische, erhoffte Bauernfeld von einer eingehenden Unter¬ suichung merkwürdige Aufschlüsse, welche die wichtigsten Betrachtungen veranlassen würden (Bfld., Ges. Aufs., S. 138). An der dramatischen Tätigkeit der Franzosen schätzte er die Fähigkeit für das praktische Bedürfnis des Thraters zu schaffen, ferner, daß die gesumte französische dramatische Produktion für die lebendige Auschauung, für das wirkliche Bühnenleben 2

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