41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911
Bauernfelds Verbältnis Zur französischen Lustspiel-Literatur. Von Hnton Neumann. W.. I. Abschnitt. I. Kapitel. Kurzer Abriss der französischen Lustspiel-Literatur von Molière bis Sardou. Seit jeher hat die französische Literatur auf die deutsche einen starken Einfluß ausgeüht, der zu verschiedenen Zeiten verschieden ist, sich aber stets erhalten hat und nachdem der Einfluß der tragischen Dichtung gründlich gebrochen worden war, sich noch stärker in der Unterhaltungs- und Lustspiel-Literatur zeigte, derart, daß in der ganzen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die dentsche Lustspiel-Literatur sich größtenteils im Fahrwasser der Franzosen bewegte. In Moliere hatte das französische Lustspiel eine Höhe erklommen, welche es seither nicht wieder erreicht hat. Durch Übernahme und Aus¬ gestaltung der italienischen Commedia dell Arte erhob er es zu einem lebensvollen Bilde seiner Zeit: in der Sittenkomödie durch die Schilderung ganzer Gesellschaftsklassen und Darstellung des damaligen modernen geistigen und gesellschaftlichen Lebens und bot in der Charakterkomödie vollendete Muster bedentsamer, zu allen Zeiten vorkommender Cha¬ raktere. Durch seine Stücke erhalten wir ein prachtvolles Bild des Lebens seiner Zeit, ein Bild. welches die ganze französische Gesellschaft in ihren Abstufungen erkennen läßt. Der hohe Adel. der Klerus, der wohlhabende Bügerstand und der kleine bourgeols treten mis mit all ihren Schwächen und Vorzügen entgegen; über allen thront die Majestät des Königs, die der Zeit, der Kunst und Literatur ihren Stempel aufdrückt und Glück und Segen verbreitet. Die Nachfolger Molières vermochten nicht, das Lustspiel auf dieser Höln¬ zu erhalten, trotzdem aber führten sie es auf dem von ihm eingeschlagenen und vorge¬ zeiehneten Wege einen Schritt nach vorwärts: die Charakterkomödie Molieres, in welcher der Charakter des Helden von vornherein bestimmt ist, durch das ganze Stück unveränder hindurchgcht und dadurch zum starren Typus wird, wird erweitert zu jener Komödie, in welcher der Charakter erst gestaltet. durch die Ereignisse beeinflußt wird und eine Wand¬ lung zum Besseren durchmacht. Mit dem Niedergange des Glanzes des königlichen Hofes geht im 18. Jahrhundert eine große Wandlung ver; der Adel sinkt immer tiefer, das Bürgertum streht empor und das Lustspiel, das der lebenstreuen Schilderung am zu¬ gänglichsten ist, spiegelt diese Deppelrichtung wieder: einerseits Schilderung des Nieder¬ ganges und des leichtfertigen Lebens der vornehmen Gesellschaft, andererseits der Kämpfe 1*
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