41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

— 18 mentiert sich in den Grundsätzen Morgenroths: für sich nimmt er alle Freiheiten in Anspruch und entschuldigt sie mit einer großen Weltanschauung, welcher alles erlaubt sei. Er ist unter die Journalisten gegangen, uin „die Nation zu bilden, ihr die Leuchte der Wahrheit anzuzünden“; aber die Welt ist schlecht, sie weiß seinen Wert nicht zu schätzen und er muß von Stadt zu Stadt wandern, weil keine gesonnen ist, sich von ihm zum „literarischen und geselligen Mittelpunkte von Deutschland“ erheben zu lassen. Die Literatur ist ihm nur ein Mittel mehr, Geld zu erwerben; das gelingt ihm auch vorzüglich, denn er kennt die schwachen Seiten der großen Masse, ihre Instinkte, er weiß sie bei diesen zu packen und seinen Bestrebungen dienstbar zu machen. Durch seinen stets schlagfertigen Witz, die beißende Satire, Kontraste und Wortspiele, in denen seine Stärke liegt, weiß er sich aus den gewagtesten Situationen zu retten. „Wortspiele“, sagt Morgenroth, „heifen alles, sie gewinnen das P’ublikum.“ II. Kapitel. Der Selbstquäler. (Der Vater). Dem „Novellenbuch“ von Hans von Bülow ontnahm Bauernfeld zwei Novellen des Restif de la Bretonne zur Bearbeitung. Restif de la Bretonne (1734—1806) ein Schriftsteller mit lebhafter Einbildungskraft und scharfer Beobachtungsgabe, zeielmete die Sitten seiner Zeit, insbesondere die Lebensweise gewisser gewerblicher Stände, die heute schon zum größtenteil ausgestorben sind, bis ins häßlichste Detail. Zu seiner Ver¬ teidigung führt er an, er schildere die Sitten so wie sie sind und er könne keine reineren schildern, da das Jahrhundert ganz und gar verdorben sei. Tretzdem sein Stil oft unkorrekt und flach ist, findet er doch reizende Bilder, zu Herzen gehende Laute und führt eine energische Sprache. Die Ideen Rousseaus, dessen schriftstellerisches Talent er übrigens wenig schätzte, bewunderte er außerordentlich und erwarb sich den Bei¬ namen der „Rousseau der Gosse“. Ein Lieblingsthema Restifs, dem er viele seinen Erzählungen widmete, war das der Aille entretenue. Beide von Bauernfeld benützte Novellen stammen aus der Sammlung „Confemporaines“; die erste Novelle heißt „La Alle entrefenue“, in der deutschen Ubersetzung „Die unüberlegte Vorsicht“ und behandelt das Problom der Mesalliance. Der junge Aristokrat und die Putzmacherin, welche ihn die Liebe lehren sollte, verlieben sich aufrichtig in einander und bekommen Kinder; der vornehme Vater gibt schließlich den Bitten seines Sohnes nach und er¬ teilt seine Einwilligung zur Heirat. Bauernfeld mußte damals dieser sozialen Frage noch aus dem Wege gehen und konnte nicht daran denken, den Gang der Handlung und die Lösung Restifs beizubehalten; also entschloß er sich aus Rücksicht für das Burgtheaterpublikum ihn zu ändern und über das Schlüpfrige und sozial Bedenkliche leicht hinwegzugleiten. Immerhin erschien diese derart verwässerte Fabel noch viel zu frivol in jenen Tagen, da das Publikum von der scharfen, pikanten Kost eines Sarden und Dnmas fils noch keine Ahnung hatte (Bfld. Ges. Schr. B. IV. S. 241/242 Das Schreckgespenst der Mißheirat erscheint daher nur auf einen Augenblick, um durch ein Wort der Bügerlichen wieder verscheucht zu werden; auch in den „Zwei Familien“ (1838) vormochte sich Bauernfeld nicht zur Lösung der Frage zu erheben; erst 30 Jahre später, nachdem das Jahr 1848 vorübergerauscht war, gab er ihm kühnen Ansdruck und forderte durch den Mund des Fürsten Lübbenau die gesell¬ schaftliche Anerkennung der Mesalliance. Die zweite Novelle Restifs „Le bourru rainen par lamour“, in der Uher¬ setzung „Die beste Frau“, lieferte ihm den Stoff zu einer Charakterstndie; in der Novell ewird die durch die Liebe einer Fran erfolgte Besserung eines Murrkopfes erzählt; sofort nach Vollendung des „Vater“ machte er sich an diesen Stoff und verarbeitete ihn binnen 3 Wochen, vom 11. bis 29. März 1837, zu dem 2500 Verse zählenden Charaktergemälde „Die beste Fran“, dem er später den Titel „Der Selbstquäler“ gab. Er las das Stück bei Witthauer vor, wo es den Beifall Lenaus und Feuchterslebens

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