41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

17 Molière bewirbt sich der auf die reiche Mitgift lüsterne Trissotin um Henriette und wird darin von deren Mutter Philaminte unterstützt, welche durch diese Verbindung die ungebildete Henriette für die Gelehrsamkeit zu retten und für sich Ehre und Berühmtheit zu gewinnen hofft, während der Vater die Werbung Clitandres fördert; bei Bauernfeld unterstützt Lampe die Werbung Dr. Wendemanns um Emilie, weil er hofft, durch diese Verbindung sein Haus zum literarischen Mittelpunkte der Stadt zu machen. Durch untergeschobene Briefe werden in den Femmes savanfes die Geldgier und die unlanteren Absichten Trissotins enthällt, die Vereinigung der Liebenden herbei¬ geführt und das Stück schließt ohne die Aussicht auf die Bekehrung der von der Gelehrsamkeit Besessenen; auch bei Bauernfeld kommen eine Briefintrige vor, die schließliche Entlarvung des frechen Verläumders Morgenroth und die Aufdeckung der Betrügerei und der Geldspekulationen des Dr. Wendemann; jedes Mißverständnis zwischen den Liebenden wird behoben und Lampe und Emilie von ihrer literarischen Verblendung geheilt. Die ursprüngliche Absicht des Dichters verrät sich in einigen Ausfällen gegen das junge Deutschland und die Geisterseherei Justinus Kerners. Lampe, der reich¬ gewordene Materialienhändler, leistet sich wie Philaminte einen literarischen Salon und redigiert ein Journal, dessen Kosten er bestreitet und dessen Erträgnis Wende¬ mann einstreicht. Die drei gelehrten Frauen bei Molière werden durch eine, Emilie ersetzt, welche ihr Vorbild, Armande, noch dadurch übertrifft, dall sie selbst dichtet und Novellen, „Bilder ihrer innern Welt“ schreibt. Bauernfeld hat aber nicht unter¬ lassen, Emilie sympathischer zu zeichnen als dies Molière mit Armande getan; sie kämpft mit sich selbst. Dankbarkeit gegen ihren Lehrer und vermeintlichen Wohltäter Dr. Wendemann, herzliche Liebe zu ihrem Bräutigam Mansfeld stürmen auf sie ein und die bange Frage, ob sie auf dem von Mansfeld getadelten Wege nicht auf einen Irrwege sei, läßt sie nicht zur Ruhe kommen. Wie Henriette zu Armande, so steht Luise, das ungebildete, hausbackene Mädchen, welches nur für Küche und Keller Interesse hat, zu Emilien im Gegensatz; aber nicht feindselig als Rivalinnen um die Liebe eines Mannes stehen sie einander gegenüber, sondern sind einander in inniger, schwesterlicher Neigung zugetan. Wie bei Molière Clitandre, so ist bei Bauernfeld Mansfeld der Dolmetsch der Gefühle und Anschauungen des Dichters, welche er in kräftiger Weise vorbringt, welcher der herrschenden literarischen Modeströmung derbe Wahrheiten sagt, wobei es auch hier zu mehr oder minder heftigen Zusammenstöllen kommt und er in der schlagfertigen Luise eine kräftige Unterstützung findet. Vadius und Trissotin kehren in Dr. Wendemann und dem Dichter Morgenroth ebenfalls wieder, doch ist ihr Verhältnis entsprechend dem wirklichen ein anderes als bei Molière. Dieser legt das Hauptgewicht auf die Zeichnung der „gelehrten Frauen“ Bauernfeld auf die Zeichnung des Treibens Saphirs und Bäuerles. Die Figur Wende¬ manns ist weniger herausgearbeitet als die Morgenroths, wie überhaupt Bäuerle weniger Angriffspunkte bot als Saphir. Dr. Wendemann gibt wie Bäuerle ein Journal heraus und findet in Morgenroth - Saphir einen würdigen Mitarbeiter. Vadius und Trissotin entzweien sich und drohen, einander in Schriften und Büchern zu bekämpfen Morgenroth und Dr. Wendemann vereinigen sich, um das Publikum besser übers Ohr hauen zu können; die Prinzipien ihrer „Bildungsarbeit“ werden in einer stark paro¬ distischen Szene, welche sich durch den in Knittelversen geschriebenen Teil auch äußerlich von den andern abheht, aufgedeckt; die Redaktionstätigkeit Wendemanns wird näher beleuchtet, welcher darauf ausgeht, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, ihnen zu schmeicheln, um Vorteile für sich zu gewinnen. Die volle Schale seines Zornes aber ergießt Bauernfeld über Saphir und zeichnet bis ins Detail sein schamloses Treiben, seinen menschlichen und literarischen Charakter. Der Name und die Morgenroth geläufige Wortstellung, das Verb geht gewöhnlich dem Subjekte voraus, zeigen die jüdische Abstammung Saphirs, ohne daß sich aber sonst eine antisemitische Tendenz geltend machen würde. Die Gesinnungslosigkeit und Frivolität Saphirs doku¬ 3

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