41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

— 15 das Anwachsen der Industrie und die Folgen dieser Entwicklung im wirtschaftlichen Leben boten ihm aktuelle Stoffe. Ein beliebtes Thema der Franzosen war die Schilderung des Verhältnisses zwischen dem gereiften Manne, der seine Jugend in Leidenschaften durchtollt hat und alle Lebenserfahrungen hinter sich zu haben glaubt, welcher sich nurmehr nach Rube sehnt und dem jungen, unerfahrenen Mädchen, das ihm trotz des großen Altersunter¬ schiedes seine Liebe schenkt, ihn dadurch von der Skepsis und der Resignation befreit und Gefühle, welche er abgestorben wähnte, zu neuer Blüte erweckt. Mit diesem Verhältnis beschäftigt sich auch Bauernfeld in „Bürgerlich und Romantisch“, macht es zum Mittelpunkte für die „Krisen“ und zum treibenden Moment in „Moderne Jugend“; überhaupt steht in den meisten und besten Stücken Bauernfelds („Das Tagebuch“, „Der Selbstquäler“, Fata Morgana“, „Aus der Gesellschaft“ u. a.) die Person des gereiften, zu festen Grundsätzen gelangten Mannes im Mittelpunkte der Handlung. Doch mehr als das Vorbild der Franzosen mögen für dieses jahrzehntelang anhaltende Interesse seine persönlichen Erfahrungen von Wichtigkeit sein; in seinem Bekanntenkreise hatte er vielfach Gelegenheit zu beobachten, daß die Verbindung eines älteren Mannes mit einem jungen Mädchen eine glückliche Ehe begründete; sein bester Freund Moritz von Schwind führte ein glückliches Leben mit seiner bei weitem jüngeren Frau und dasselbe fand er in der Familie der Frau von Wertheimstein, in deren Hanse er bis zu seinem Tode ein auf längere Zeit stets gern gesehener Gast war. Die Frage, „was ist imstande, einen alten Mann noch einmal jung fühlen zu lassen, in ihm die jugendlich-elastischen geistigen Kräfte zu wecken?“ beantwortete Bauernfeld in seinen Stücken mit „Die Liebe“; auch in seinem Leben ward sie gestellt, aber anders beantwortet; als Fünfundsechzigjähriger erlebte er nach jahre¬ langen Mißerfolgen einen solchen Nachfrühling seiner Schaffenskraft und niemand war darüber erstaunter als er; was bei anderen die Liebe, das hatte bei ihm die Poesie vollbracht. IV. Abschnitt. I. Kapitel. Der literarische Salon. Die Anfänge der Bauernfeldschen Poesie stehen ganz unter dem Banne der Romantik. Doch bald konnte er dieser Richtung und auch dem allmählich auf Abwege geratenden jungen Deutschland nicht mehr folgen und nachdem sein „Fortunat“ im Jahre 1835 teils infolge des Unverstandes des Publikums, teils durch die Machina¬ tionen der Saphirclique einen uiverdienten Durchfall erlitten hatte, brach er end¬ gültig mit der Romantik; die Ermunterung der Freunde und der Wunsch, die erlit¬ teue Scharte auszuwetzen, ließen seinen Mut nicht sinken und er machte sich rasch an ein neues Stück, das ihn von einer anderen Seite zeigt. „Bürgerlich und Romantisch“, im April 1835 begonnen, ward rasch beendet, schon im September aufgeführt und erzielte einen durchschlagenden Erfolg. Neben der Absicht des Stückes, zwischen den beiden Extremen, bürgerlich —romantisch, zu vermitteln und den gol¬ denen Mittelweg einzuschlagen, finden auch jene Gedanken Ausdruck, die ihn die nächste Zeit über so stark beschäftigten: seine Abneigung gegen die Romantiker und das junge Deutschland, gegen die einige Hiebe geführt werden und seine Gegner¬ schaft mit Saphir, welche scit der Aufführung des „Fortunat“ in offene Feind¬ schaft ansgebrochen war; der Lohnlakai Unruh trägt deutlich die literarischen Züge Saphirs. Noch während der Proben zu „Bürgerlich und Romantisch“ hatte Bauernfeld ein neues Stück begonnen, betitelt „Die neue Bildung“, das er in der Zeit vom Oktober bis Dezember 1835 bis zum 3 Akte fleißig weiter förderte; da aber stockte die Arbeit, der 3. Akt wellte nicht werden, äufiere Umstände waren die Ursache

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2