41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

— 14 Bauernfeld verfolgte eifrig die politische Bewegung in Frankreich, er studierte seine Geschichte und versuchte sich in der Brarbeitung einiger Stoffe aus derselben Besonders interessierte ihn die Zeit Ludwigs XV. und XVI., der Verfall des König tums und des Adels, das Emporkommen des Bürgertums und die Revolution. Er schrieb eine Oper „Ein Besuch in St. Cyr“ aus der Zeit Ludwigs XIV., ferner „Unter der Regentschaft“ und „Das Fräulein von Ségur“, das er unter dem Titel „Aus Versailles“ umarbeitete; er faßte den Plan zu einem Doppellustspiel „Vor und nach der Revolution“ mit der Szene in Paris und verfaßte ein kleines Schauspie „Ein neues Geschlecht“ eine Art bürgerlichen Vorspiels zur französischen Revolution. Der Gegensatz zwischen dem französischen und dem deutschen Charakter beschäftigte ihn äußerst lebhaft und er nahm ihn zum Vorwurf eines historischen Schauspieles aus dem dreilligjährigen Kriege, dem „Deutschen Krieger“, dem er ursprünglich den Titel „Deutsch und Französisch“ geben wollte. Nicht minder zahlreich als diese Anregungen aus dem öffentlichen Leben und der Geschichte Frankreichs, sind die aus der französischen Literatur geflossenen. Den festen, starren Charakter der Charakterkomödie, welche personifizierte Eigenschaften darstellt, die satirische Beleuchtung der Sitten seiner Zeit und ihrer gelehrten Mode¬ torheiten fand er bei Molière in klassischer Form ausgeprägt vor; er übernahm letztere („Der literarische Salon“) und machte, durch erstere angeregt, den weiteren Schritt zur Entwicklung des Charakters unter dem Einfluß der Ereignisse („Selbstquäler“ Der stutzerhafte, hirulose Marquis, welcher von seiner Frau gegängelt wird, wird eingeführt („Selbstquäler“, „Hitzköpfe“) und dient dem Dichter als Zielscheibe seines Spottes; entfernte Ahnlichkeit mit ihm haben die Wiener dandies („Moderne Jugend“) Der wohlhabende Bürgerstand erfreut sich Bauernfelds Sympathien, er zeichnet mit scharfer Satire zwar seine Torheiten, er weist ihm aber auch den Weg in die Höh¬ zur Befreiung von allem Kleinlichen und zeigt ihm das Mittel hiezu in der Poesie. Jeden Auswuchs auf literarischem Gebiete, jede („Bürgerlich und Romantisch“). Ueberspanntheit, welche zu törichter Mode führt, geißelt er mit scharfem Tadel und stellt die literarischen Charlataue und Parasiten schonungslos an den Pranger. Das deutsche Spiebbürgertum schildert er mit Humor und Gemüt, ohne seine Fehler zu übersehen, er schafft Meistergestalten dieses Typus (Zabern, Sittig, Lämmchen, Ba¬ bette) und kehrt immer wieder zu ihm zurück; es bietet ihm gleichzeitig den Hinter¬ grund, von welchem sich die Modernen wirkungsvoll abheben. Beeinflult durch das Proverbe dramatique baut er auch dieses Gebiet an durch Nachahmung Leciercg’s „Das Doppelfest“ „Frauenfreundschaft“) und („Das Beispiel“, „Die Zugvögel“ wendet von nun an seine Aufmerksamkeit auch dem bürgerlichen Familienleben zu, das er teils nach französischen Vorlagen, teils aus Eigenem schildert („Eine Uber¬ raschung“, „Im Alter“, „Zu Hause“) Das Streben des Bürgertums nach Gleichberechtigung mit dem Adel findet in Bauernfeld einen warmen Verteidiger; die Frage der Mesalliance, welche die Fran¬ zosen schon vor längerer Zeit aufgeworfen hatten, greift er als einer der ersten auf und sie beschäftigt ihn mehr als ein Menschenalter hindurch. Das in neue Bahnen gelenkte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben bot den Franzosen neue, interessante Stoffe; Bauernfeld tat es ihnen nach und schöpfte auch aus dieser Quelle; der Rückgang des Adels, der Verlust seiner überwiegenden finanziellen Macht, das Ansammeln des Geldes in den Händen einzelner Bürgerlicher, die neue Politik lieferten ihm den Stoff zu neuen, dankbaren Lustspielfiguren: zu jenen Adeligen, welche sich industriellen Unternehmungen und Finanzinstituten anschließen, denen ihr Name Glanz verleiht, zu solchen, die sich mit Politik befassen und sich zu Abgeord¬ neten wählen lassen; zu solchen Emporkömmlingen, denen zum vollkommenen Glück ein adeliger Schwiegersohn unentbehrlich ist, oder zu jenen, die sich schon mit einer bürgerlichen Exzellenz begnügen. Mit der Verfassung ziehen in seine Lustspiele auch Minister, Abgeorduete und Demokraten ein. Die Macht der Börse, des Geldes.

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