41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

13 und verwendete ihn nur mehr in Einaktern, zu denen er ihm zu passen schien. In einigen Stücken verwendet er den fünffüßigen Jambus, in den meisten die Prosa. Sehr häufig finden sich in seinen Stücken zwei parallele Handlungen derartig mit ein¬ ander verflochten, dab sie gleiche Fortschritte machen und zusammen zur befriedigenden Lösung führen („Leichtsinn aus Liebe“, „Bürgerlich und Romantisch“ und v. a.) Erzählungen vergangener Hanllungen und Ereignisse werden an geeigneter Stelle gebracht, erwecken an und für sich Interesse, wollen den, dem sie erzählt werden, über den Charakter eines Dritten aufklären (Dubois im „Selbstquäler“), oder sie dienen zur Selbstcharakteristik oder Selbstanklage (Baron Hohenberg in „Krisen“) so billlen sie ein treibendes Moment der Handlung und tragen zur Glaubwürdigkeit der Lösung bei Die meisten von Bauernfelds Stücken weisen einen knappen Dialog auf, der die Handlung in kurzen Szenen fortspinnt und nur selten in Uberhäufungen ausartet; seine Personen plandern leicht und angenehm und wenn auch die Handlung sehr oft mangelhaft und dürftig ist, so entschädligen seine Stücke durch die Fülle von geist¬ reichen Gedanken und edlen Empfindungen, durch den sprudelnden Witz und die heitere Laune. Die Szenen wechseln oft und schnell mit einander ab, Gesellschafts¬ szeuen mit Einzelszenen; die Monologe sind nicht zu lang und zwischen wichtige Szeuen werden kleinere zur Erholung eingeschaltet. Das Auftreten der Personen wird vorbereitet, obzwar da öfter auch der bloße Zufall mitspielt; dann wird das Zusammen¬ treffen durch Jugendfreundschaft, gemeinsame Universitätsstudien motiviert. Bauernfeld weicht nicht dem Konflikt aus, er führt die Handlung bis zur Katastrophe durch, wobei er nach innerer Lösung trachtet und sie manchmal an einen konkreten Gegen¬ stand knüpft („Das Tagebuch*). Seine Sprache ist meist rein und edel, er palit sie dem Stande und der Bildung der Personen an und verschmäht auch Provinzialismen und volkstümliche Ausdrücke nicht; er streut mitunter französische Phrasen ein und verwendet sie in geschickter Weise zur Charakteristik. Er bemüht sich, den Franzoser darin gleich zu kommen, beim modernen Leben in die Lehre zu gehen, das Gelernte für das praktische Bedürfnis des Theaters umzuschaffen, die dramatische Produktion für die lebendige Auschauung, für das wirkliche Bühnenleben zu berechnen und aus¬ zuführen. Diesem Ziele strebte er zu und hoffte, dadurch dem überwiegenden Einflull der Franzosen auf der deutschen Bühne entgegenzuarbeiten. II. Kapitel. Einfluß der Stoffe. Man hat Bauernfeld oft vorgeworfen, das alle seine Stücke mehr oder weniger die Wiener Lokalfarbe zur Schau tragen, bloß Wiener Sitte und Gesellschaft schildern. Auch darin liegt eine Ahnlichkeit zwischen ihm und den Franzosen; so wie für diese Paris der politische, Iiterarische und wirtschastliche Mittelpunkt Frankreichs ist, dort sich das gesamte öffentliche Leben Frankreichs und seine Geschicke abspiegeln, so war auch für Bauernfeld, den Österreicher und Wiener von altem Schrot und Korn, Wien das geistige und politische Zeutrum Österreichs; nic aber verlor er den weiteren Blick und hatte stets in der Schilderung dieses Milieus und seiner Sitten das deutsche Gesamtvaterland im Auge. So dentlich auch seinen Stücken die Wiener Lokalfarbe anfgeprägt ist, so spiegeln sie uns dech das Bild der fortschreitenden Entwicklung der Zeit, die Anderung in den Auschauungen der Gesellschaft, die neuen Bestrebungen auf politischem und sozialem Gebiete getreulich wieder und damit auch die parallele Entwicklung in ganz Österreich und jenseits der schwarzgelben Pfähle, eine Ent¬ wieklung, welche erst jetzt in Dentschland erstarkte und ihre Früchte im öffentlichen Leben und in der Literatur trich, die in Frankreich sehen vor längerer Zeit um sich gegriffen und im Leben und in der Literatur ihre typischen Formen und Figuren gezeitigt hatte

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