41. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1911

— 10 berechuet und demgemäß ausgeführt sei. „Nicht nur Seribe, der Schilderer modernen Lebens“, schreibt Bauernfeld, „sondern auch der phantastische V. Hugo, der monströse Alex. Dumas würden lachen, wenn man ihnen zumutete, Dramen für den einsamen Leser zu schreiben. Haben doch sogar George Sand und Balzac ihre verfehlten Pro¬ dukte auf die Bretter gebracht und sich für die erlittene chute nicht etwa dadurch gerächt, dal sie weiter für das Auge und für poetische Gemüter schrieben, sondern sie waren klüger und schrieben gar nicht, weil ihnen der beste Kritiker, das Publikum, genugsam bewiesen hatte, daß ihnen das dramatische Talent fehle. Bei dieser prak¬ tischen Richtung der Franzosen darf es uns kein Wunder nehmen, daß das deutsche Repertoire durch eine Reihe von Jahren eine wahre Musterkarte aller neuen fran¬ zösischen Erzeugnisse aufwies, während unsere einheimischen Dramatiker, die sich über den sinkenden Geschmack und über ihr Verkanntsein bitter beklagten, schmollend und grollend im Winkel sallen. Dem trat Raupach entgegen und verllinderte durch seine Stücke, daß die deutsche Bühne damals in den französischen Ubersetzungen nicht geradezu auf- und unterging“ (Bfld., Ges. Aufs., S. 189). Gutzkow und Laube setzten diesen Kampf fort, indem sie sich der Waffen des Geguers bedienten, das heißt, indemn sie den Franzosen ihre nicht zu verachtenden Kunstgriffe ablauschten und auf der deutschen Bühne mit Erfolg anwandten. Friedrich Halm habe denselben Weg eingeschlagen, doch habe er mehr die französischen Effekte als deutsche Art und deutsches Wesen auf die Bühne verpflanzt (Bfld., Ges. Aufs, S. 193). Viel reicher aber als die Franzosen sind die Deutschen durch den Besitz eines Lessing, Goethe, Schiller, durch die eine Gesundung und Regeneration des Theaters möglich ist, während die Franzosen auf nichts Ahnliches sich stützen können. Claretie halte zwar fast alle neuen französischen Dramatiker und ihre Werke ziemlich hoch, „Gehören aber“ fragt Bauernfeld, „Lu baronne, La comtesse de Somerive, Les deur orphelins, Le Sphinx, L’ Etrangère usw. wirklich zu dieser theatralischen ecclesia militans, welche Wahrheit und Schönheit zu predigen berufen ist? Ich mächte“ fährt er fort, „sehr bezweifeln, daß derlei Sensationsdramen imstande sind, eine Re¬ gencration des Theaters herbeizuführen.“ (Ges. Aufs. S 235. Obzwar Bauernfeld selbst mit literarischen und politischen Polemiken auf dem Theater auftrat, gehörte doch seiner Uberzeugung nach eigentliche Polemik nicht auf die Bühne, wo sie sich auch trotz alles Zujauchzens der Menge nicht erhalten könne. „Wenn man sich nun gar darauf beschränkt“ urteilt er, „gewisse Paragraphen des Code Français und sei es mit noch soviel Geist, dramatisch zu bearbeiten, so erliält man lauter Dramen von ähnlicher Farbe, die einander ablösen und deren vorletztes dem letzten weichen muß, um nach Jahr und Tag dem nächsten neuen Platz zu machen — vermutlich wieder nur auf ein Jahr. Das moderne Theater, welches Neuig¬ keiten verlaugt und seiner Natur und Einrichtung nach verlangen mull, setzt sich nun freilich auch auf diesem Wege fort, allein das Repertoire gewinnt dabei nur selten einen dauernden Besitz. Zwar auch Moliere und Beaumarchais haben pole¬ misiert und im Tartuffe und Figaro ihre Zeit abgespiegelt, aber dabei ins Ganze und Volle und so auch ins rein Meuschliche gegriffen. Daraus wurden lebendige und bleibende dramatische Gestalten. Ein parteiischer Rabagas ist nur für die Stunde und schwindet mit ihr. Bei alledem wird man zugeben müssen, daß die modernen französischen Bühnenschriftsteller von Scribe bis Dumas mit ebensoviel Geschick als Kühnheit in das soziale Leben zu greifen verstehen“ (Bfld., Ges. Aufs., S. 240). Als Bauernfeld im Jahre 1833 das Théätre de Clara Gazul von Pr. Mérimée las, war er davon hell entzückt und glaubte, in dieser Weise könnte ein freieres Theater gestaltet werden, trotzdem die Stücke nur Skizzen wären (Bfld., Tgb. No¬ vember 1833). Trotz dieses Entzückens aber hatten Sie auf sein Schaffen weiterhin keinen Einfluß, denn sein Talent bewegte sich in anderer Richtung und 10 Jahre später bezeichnete er dieses „Thedtre“ als das vielleicht rinzige, das nicht für die lebendige Auschanung, für das wirkliche Bühnenleben berechnet sei (Bfld, Ges. Aufs.,

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