40. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1910

34 Eintritte der Vegetationsruhe in innigem Zusammenhange. Sie nimmt pro 100 m um 11 Tage ab; die Vegetationsperiode fängt spät an, zu einer Zeit, wo die Tage schon lang sind, so daß zur Zeit der Schneeschmelze die Lufttemperatur schon so hoch ist, daß die Pflanzen unmittelbar nach der Schneeschmelze treiben und blühen. Die Schneeschmelze verzögert sich nach oben um 7•8 Tage pro 100 m, das Einschneien nach unten nur um 38 Tage pro 100 m, womit ein langsames Aufsteigen des Frühlings und ein rasches Herabsinken des Herbstes verbunden ist. 5. Vermöge der niederen Temperatur wirkt das Gebirge kondensierend auf den Wasserdampf der Luft und ist dementsprechend regenreich. (Tabelle !) Der absolute Feuchtigkeitsgehalt der Luft nimmt infolge der niederen Temperaturen nach oben zu sehr rasch ab. Die Alpenluft verdankt ihre große Reinheit dem geringen Gehalt an Wasserdampf. Die relative Feuchtigkeit hingegen ist sehr schwankend. Im Sommer, zur Zeit der Vegetationshöhe, sind die Bergspitzen oft Tage lang im Nebel gehüllt. Wenn aber heiteres Wetter ist, stellt sich alsbald große Trockenheit ein, da infolge der Luftverdünnung, der starken Insolation, der zeitweise eintretenden Trockenheit der Luft und der Winde die Verdunstung sehr gefördert wird, wie es jedem Bergwanderer bekannt ist, daß in den Höhen der Schweiß rasch verdunstet, die Haut trocken und spröde und das Durstgefühl gesteigert wird. Die Trockenheitsgefahr ist daher für die Alpenflora groß, wenn nicht leicht zugängliches Bodenwasser da ist. 6. Die Schneebedeckung dauert lange und ist hoch; (Tabelle !) unmittelbar über der Schneegrenze fallen 40—70 % und in größeren Höhen noch mehr aller Nieder¬ schläge des Jahres als Schnee zu Boden. Die Wirkung dieser langen und hohen Schneedecke ist eine mannigfaltige. Sie schützt die Pflanzen vor Kälte, besonders vor Spätfrösten, sowie vor der austrocknenden Wirkung der Winterstürme und vor vorzeitigen Erwachen aus der Winterruhe. Sie bietet einen bis in den Sommer hinein ausreichenden Wasservorrat und übt durch den nach der Schneeschmelze zurückbleibenden, an organischen Stoffen reichen Staub eine düngende Wirkung aus Dagegen schädigt sie hochgewachsene Pflanzen durch Schneedruck. 7. Auch durch die Luftbewegung wird die Vegetation wesentlich beeinflußt. Die Windgeschwindigkeit nimmt mit der Höhe zu, so daß die mechanische Wirkung des Windes in großen Höhen eine bedeutende ist; auch wird die Verdunstungskraft der Atmosphäre durch den Wind sehr gesteigert. Die beigegebenen Tabellen sind nach den Jahrbüchern und den Wochenberichten über Schneebeobachtungen des k. k. hydrographischen Zentralbureaus in Wien zusammengestellt und geben uns einen Überblick über die jährlichen Niederschlags¬ mengen, die mittleren Jahrestemperaturen, die Zahl der Frost- und Eistage und die Schneeverhältnisse in einigen Orten des Gebietes an. Diesen angegebenen klimatischen Bedingungen müssen die Alpenpflanzen ihrem äußeren Baue sowie ihrer inneren Struktur nach angepaßt sein, um die Bedürfnisse ihres Haushaltes bestreiten und ihre Lebensverrichtungen besorgen zu können. Sie zeigen folgende mit dem Klima der Alpenregion in Zusammenhang zu bringende Eigenschaften und Lebenserscheinungen: 1. Einen niederen, gedrungenen Wuchs durch Verkürzung der Internodien, wahrscheinlich hervorgerufen durch die wachstumshemmende Wirkung des intensiven Höhenlichtes, welches in seiner Wirkung noch durch die kalten Nächte unterstützt wird. Derselbe ist vorteilhaft: a) Gegen den Schneedruck, b) gegen die Windwirkung, c) zur Ausnützung des Schneeschutzes gegen Frost und vorzeitiges Treiben, d) zur Ausnützung der Bodenwärme und der größeren Feuchtigkeit der tieferen Luftschichten Als besonders häufige Wuchsformen sind zu nennen: a) Die Spaliersträucher (Dryas, Loiseleuria, Salix refusa, S. serpillifolia, S. reticulata). Sie besitzen ein mächtig entwickeltes Wurzelsystem und ein reich verzweigtes, am Boden horizontal ausge¬ breitetes Astwerk. b) Die Polsterpflanzen (Silene acaulis, Alsine sedoides, A. artioides, Saifraga moschata, S. caesia). Die Achsen derselben sind dicht an¬

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