39. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1909

— 54 Und wie viele Künstler ihm, dem stets mit Freuden und vollen Händen Gebenden, ihre Aasbildung und Förderung verdanken, das entzieht sich unserer Kenntnis. So hat Österreichs Kunstlebeu in seiner Zeit fürw ahr ein augustisch Zeitalter erlebt und tausende von kunstsinnigen Händen regen sich in allen Teilen des Reiches und schaffen Wunderwerke, die — das ist ein hohes Lob, das dem Fortschritte Österreichs gezollt wird — nicht bloß gerne besichtigt, sondern auch von jenen, die infolge ihrer Stellung und der Glücksgüter, die sie besitzen, dazu berufen sind, auch gerne gekauft werden. — Denn der Kunstsinn ist bereits in die tieferen Schichten der Bevölkerung herabgestiegen, so daß heute allseits größeres Gewicht auf die ästhetische Durchbildung des Alltagsleben und dadurch ein Streben nach künstlerischen, wohlgefälligen Formen der Gebrauchsgegenstände an Stelle des nur auf das Praktische gerichteten Sinnes getreten ist. So ist Wien und eine Reihe von aufstrebenden Provinzstädten zum Sitze einer regen kunstgewerblichen Tätigkeit geworden. Die geistige Zentrale wurde auch hier wieder durch den Kaiser im Kunstgewerbe-Museum in Wien geschaffen. Durch die Gründung der technischen Hochschulen und durch die finanzielle und mo ­ ralische Unterstützung des üntemehmungssinnes in der Bevölkerung wurde Österreich schließ ­ lich auch auf den Gebieten der Landwirtschaft, des Handels, der Industrie und des Verkehrs ­ wesens auf eine hoheStufc der Vollendung gebracht. Viele Tausende von Kilometern durchziehen die Schienenstränge, durchlaufen Telegraphen- und Telephondrähte das ganze Reich. An allen Ecken und Enden surren die Webstühle, sausen die Maschinen und der grandiose, harmonische Akkord der Arbeit findet in allen Teilen des Staates begeisterten Widerhall. — Dieses Zusammenwirken aller Kräfte kommt aber nicht nur der Industrie sondern auch der Landwirtschaft zugute, indem der Verdienst des Riesenbeeres der arbeitenden Klasse wieder zum guten Teil in die Taschen des Bauern fließt. Hier sei auch gleich noch eines großen, modernen Gesetzwerkes gedacht, der in steter fortschreitender Ausgestaltung begriffenen sozialen Gesetzgebung, die alle die weiten Kreise der von der Hände Arbeit Lebenden liebevoll umfaßt; dabei ist noch nicht gedacht und kann nicht völlig gewürdigt werden, die ganz außerordentliche Mildtätigkeit, die unser Kaiser in aller Stille und in so ausgiebigem Maße betätigt, daß von Privatspenden des ­ selben die Zeitungen fast täglich zu berichten wissen, Überblicken wir noch einmal die Erfolge, die das Reich in den 60 Jahren der Regierung unseres Kaisers erzielte, so muß einen jeden gerechte Bewunderung über die auf allen Gebieten erfolgte durchgreifende Wandlung erfassen. Wenn unser Monarch daher das beglückende Gefühl des Erfolges in reichstem Maße Senoß, so war dies sicher wohlverdient. Und die Liebe seiner Völker, verbunden mit em Bewußtein, stets und überall das Beste gewollt zu haben, muß ihm über die mannig ­ fachen Schicksalsschläge, die ihn und sein Haus getroffen haben, hinübcrhelfen. Ein ganz ungewöhnliches Maß von Leiden ward ihm zugeteilt, und wenn einst seine Geschichte geschrieben wird, so wird der Historiker an diesem Moment, und wie er alle Prüfungen getragen hat, nicht achtlos vorübergehen dürfen. Eine starke Stütze blieb ihm in allen Tagen bitterster Seelenpein, und die hielt er sich treu und gewissenhaft: die Arbeit, die strengste Pflichterfüllung. Ich glaube meine kurze Betrachtung nicht besser schließen zu können, als wenn ich ihnen dieses erhabene Beispiel einer Berufsauffassung vor Augen stelle. Dieses treue Festhalten an den als gut erkannten Prinzipien, dieses unentwegte Fortschreiten auf der Bahn seiner Lebensarbeit bringt den Mann auf jene seligen Höhen der Selbstachtung und des inneren Friedens, zu denen auch die schwersten Sturmwellen des Alltags nicht empor ­ branden können. — In diesem Sinne werde auch ihnen, liebe studierende Freunde, der heutige Festtag ein Markstein in ihrem Leben! Der Festrede folgten wieder einige Deklamationen. Es brachte der Schüler der V. Klasse Franz Muckenbuber das Gedicht „Der Vater seines Volkes “ von Ebhard, der Schüler der VI. Klasse Karl Migschitz „Franz Josef “ von Schneider - Arco und der Schüler der VII. Klasse Josef Smykal „Heil Habsburg “ von Oberdorf zum Vortrage. Hierauf erklang der Chor „Oesterreich mein Vaterland “ von Fiby. Da der Gesangslehrer der Anstalt anderweitig verpflichtet war, so dirigierte und begleitete die Chöre der Abiturient Werner Rolleder. Sodann ergriff der Direktor das Wort zu folgender Ansprache : Hochverehrte Kollegen! Meine lieben Schüler! Als der 60. Jahrestag, an welchem unser allergnädigster Kaiser den Thron seiner ruhmreichen Ahnen bestieg, herannahte, gingen alle Völker und Länder Oesterreichs mit rühmenswertem Wetteifer daran, dieses in der vaterländischen Geschichte einzig dastehende patriotisch-dynastische Fest durch Werke der Nächstenliebe zu verherrlichen.

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