39. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1909

— 53 — die dir Taktik und Bewaffnung des Feindes gegeben batten, und reorganisierte das ganze Heer. Daß sich Österreich trotz allem ehrenvoll im Konzerte der Mächte bewegen konnte, zeigte der Umstand, daß Europa auf dem Berliner Kongresse vertrauensvoll dem Monarchen und seinen Heeren die Aufgabe der Befriedigung der Balkanvölker und der militärischen Besetzung Bosniens und der Herzegowina, sowie die Verwaltung dieser beiden Provinzen üliertrng. Wie mustergültig Oesterreich-Ungarn diese Aufgaben gelöst hat, das zeigt uns jener uns alle freudig bewegende Schritt unserer leitenden auswärtigen Politik, die aus dem 30 jährigen zielbewußten Vorgehen die selbstverständlichen Konsequenzen zog. Dies mag für den greisen Monarchen, der die Entwicklung dieser Frage von ihren Anfängen verfolgte, eine große Genugtuung gewesen sein, daß er die Billigung dieser Politik uei allen ernst zu nehmenden Staatsmännern fand. Noch obliegt es uns, jenes erhabenen Werkes zu gedenken, auf dem seit einem Menschenalter der Friede Europas beruht, des Dreibundes. Es zeigt von der großen Friedensliebe unseres Kaisers, daß er die ihm dnrgebotene Gelegenheit, seinen Völkern das herrlichste Geschenk, den gesicherten Frieden, zu geben, mit Freuden ergriff und Deutsch ­ lands Vorschlag, die beiden Reiche, die blutsverwandt durch soviele Jahrhunderte eins gewesen waren, enger durch die Bande treuester Freundschaft und Bundesgenossenschaft zusammenznschmieden, annahm. So verscheuchte er auch die Schatten, die da und dort noch das Verhältnis zu dem großen Deutschen Reiche trübten, und half im Vereine mit diesem und dem noch beigezogenen jungen Italien ein Bollwerk errichten, an dem bis zum heutigen Tage alle Versuche, den Frieden Europas zu stören, fruchtlos zerschellt sind. Das Bild wäre nicht vollständig, das ich von der Entwicklung Österreichs während der 641jährigen Regicrungsdauer unseres Monarchen entwerfen wollte, wenn wir nur die Rolle betrachten würden, die es als Großstaat im Reigen der anderen Mächte gespielt bat. Unendlich wichtiger erscheint mir die Leistung, die es in kultureller Hinsicht, stets gefor ­ dert von seinem höchsten Mäzen, dem Kaiser, aufzuweisen hat. — Es ist wahr: die Erde Europas ist in ungezählten Kriegen mit Blut gedüngt; aber die geistige Saat, die immer wieder dieser edlen Erde entsproß, sie zeigte sich der Opfer, die für sie gebracht wurden, würdig. Kaum waren die Donner der letzten Schlachten vergrollt, die Tränen des un ­ sagbaren Wehes getrocknet, da begann allerorten ein neues, edleres Ringen um die Palme der geistigen Siege. Daß nun Oesterreich in diesen Schlachten ehrenvoll bestand, ist wohl der schönste Rubmeskranz, der am heutigen Tage, welcher der blühenden Gegenwart und der Erinnerung geweiht ist, an den Stufen des Thrones niedergelegt werden kann. Durch die Neuordnung der Verfassung war Österreich ein moderner Rechtsstaat geworden. Nun wurden die Verwaltung und die Rechtspflege den Forderungen der neuesten Zeit entsprechend ausgestaltct. Der bedeutsamste Fortschritt auf geistigem Gebiete wurde aber durch die Reform des Schulwesens erzielt. Von den Volksschulen bis zu den höchsten geistigen Bildungs- anstalteii, den Universitäten, ist während der Regierung unseres Kaisers eine durchgreifende Neugestaltung vorgenommen worden. Die Universitäten und die Mittelschulen erfuhren bereits im Jahre 1849 durch den Grafen Leo Thun eine Neubelebung und daher rührte ein ungeahnter Aufschwung des geistigen Lebens in Österreich. Ein Strom allgemeiner Bildung und schöpferischer Regsamkeit ergoß sich seither über alle Teile des Reiches. — Und wie für die Koryphäen im Reiche der Geister, so sorgte der Kaiser auch für die Kleinen und für bescheidene Ansprüche auf die Teilnahme an den geistigen Gütern der Menschheit, indem er durch die Sanktion, die er unserem einzigartigem 'Volksschulgesetze gab, Österreich mit einem Federzuge zu jenem Kulturstaate machte, der, was Art, Zahl und Güte sowie Leistungsfähigkeit der Schulen anlangt, unerreicht dasteht. Hand in Hand damit ging auch seine Sorge um die Heranbildung eines tüchtigen der Zeit und ihren Forderungen gewachsenen Lclirerstundes in eigens hiezu geschaffenen Lehrerbildungs ­ anstalten. — In den mannigfachsten Fachschulen erhalten junge Leute, die sich gewerb ­ lichen Berufen widmen wollen, ihre allseitige Durchbildung. Und wie mancher, der später in seinem Berufe ein Künstler geworden ist, hat hier seine Befähigung entdeckt, geweckt und den Grundstein zu seiner späteren Größe gelegt. Nicht minder glanzvoll ist der Aufschwung, den die Künste während der Regierung unseres Kaisers nahmen Da war von allergrößter Bedeutung der Entschluß des Monarchen, an Stelle der alten StadtWestigung von Wien die prächtige Ringstraße, die schönste Straße* der Welt, treten zu lassen. Der Herrscher seiner betätigte sich an dem Wettbe ­ werbe, der nun um die Ausschmückung dieser Straße begann, indem er in der munifi- zentesten Weise und mit feinsinnigem Verständnisse für das schöne Bild die stimmungs ­ vollen Bauten der beiden Hofbühucn, der beiden Hofmnseen und der neuen Flügel der Burg erstehen ließ! Wie viele Kunstausstellungen hat nicht Kaiser Franz Josef eröffnet, wie viele Werke der Malerei und Plastik hat er nicht für seine Privatgallerie, sowie für die öffentlichen Sammlungen erworben!

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