36. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1906

und da1.u b•itrugen, der ueudeut.schen Dichtung des 19. Jahrhunderts den Boden zu ebnen. Die Länder, die im Mittelalter an der Spitz• der deutschen Literatur gestanden hatten, Schwaben und Österreich, traten auch in der Romantik an die erste Stelle. Heidelberg mit seinem geistvollen und fteißigen Dichterkreise, Stuttgart mit den ernsten und eifrigen Gelehrten und Dichtern und endlich Wien sind die wichtigsten Stätten jener änllerst fruchtbaren Literaturperiode. Diesem Wiener Kreise entstammten ancl, die drei Dichter, denen diese Zeilen gewidmet sind. Obwohl allo drei nicht in Wien geboren waren, erstarkte ihre dichterische Kraft doch erst auf dem Boden der Haupt- stadt. Daß man alle drei, trotz ihrer außerordenUichen Verschiedenheit Romantiker nennen kann, erklärt sich ebon ans dem vielgestaltigen Inhalt der Romantik. Mnll man doch alle diese Dichtor, die damals Österreich in den Vordergrund deutscher Literatur rückten, Romantiker nennen, und eine statUiche Reihe ist es, die von Raimund (1790), Grillparzer (1791) und Zedlitz (1791), über Ebert (1801), Lenau (1802), Bauernfeld (1802), Vogt (1803) und Seid! (1804) zu Stifter (1805), Halm (1806) und Grün {1806) führt und mit diesen abschließt. L Adalbert Stifter (1805-1868). Adalbert Stifter gehört zu jenon Dichtern, die man Heimatskönstler oder lloden- släudige nennt. Dieso BodensUi11digkeit, die liebevolle Beschäftigung mit der eigenen Heimat ist eine der ansgezeichnetetAm Begleiterscheinungen der deutschen Romantik. Es erscheint uns heute selbstverständlich, daß der Dichter nur ans seiner gewohnten Umgebung, ans sei nem Heimatsboden die Kraft zu dichterischen Schöpfungen gewinnen könne. Dio naturwissenschaftliche Annahme, daß eine Pflanze, ein Tier seine Eigen• heiten zu nicht geringem Teile seiner Lebensweise nnd seiner Umgebung verdankt, erscheint uns heute so einleuchtend, daß wir gerne geneigt sind, ihn auch auf die Dichtung und auf die Stoffwahl anzuwenden. So nahe uns heute diese Anschauung liegt, so wenig nahe lag sie den sogenannten Klassikern. Lessing und Schiller umfingen mit ihren deutschen Gedanken allo möglichen ausländischen , spanischen, englischen, italienischen, französischen und rnssischen Gestalten und erst Goethe fand den Mut; uns Deutsche 1.u schildern, wobei er es in seinen Roman{'n vermied, in den Orta- bezeicbnongeo allzugenau zu sein. Erst die Romantik hat das doutsche Volksbewoßtsein ,.u neuem Loben erweckt. Ehe die Romantik mit ihrem jauchzenden Suchen nach altdeutscher Dichtung und Weise das deutsche Volkstum entdeckt und ans seinem Dornröschenschlaf erweckt hatte, war es ja gleichgültig, wo eine Dichtung spiulte; denn die Herrscher und Höflinge sahen einander ja überall ziemlich gleich, das Volk aber hatte ja so keinen Platz auf der dichterischen und auf der Welt-Bdhne. Es galt ja meist nur, irgend- welche an und für sich unbedeutende llenschen mit den Worten des Dichters auszu- statten und fesselnd zu machen. Von dem Augenblicke aber, da die Romantiker da., Volk entdeckt hatten , ging es nicht mehr an, alle Menschen gleich sprechen, gloich handeln zu lassen und in diesem Angenblic~e entstand die Heimatskunst. Von diosem Gesichtspunkte ans muß man die gesamte dichterische TAtigkeit unseres Adalbert Stifter betrachten. Wie frische Blumen wnchs sie aus dem heimischen Boden, gerade wie ans der roten Erde Immermanns Oberhofidylle und die Lieder der Droste- Hdl sholf, wie aus dem Schwcizerboden Gotthelf und Hebels Dichtungen, aus der Mark die krllftigeren KIAnge Willibald Alexi s ', aus dem Schwarzwald Anerbachs Bauerngeschichten, aus dem Türingerlande Ludwigs .Hoiterethei", aus dem Mecklen- burgischen die "Ollen Kamellen" Uouters. F.benso frisch nnd duftend wie dieser ga111.e Blütenstrauß sind auch die Feld- und Waldblnmon , die nns Stifuir hinterlassen hat . Jedem, der Adalbert Stifters Werke kennt, leuchtet das Auge, so oft davon die

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