36. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1906
Bemerkungen. Diesen Worten, denen viel Lob nicht gegenöberateht, muß man aber doch einen Umstand entgegenhalten, der zu Betrachtungen anregt. Das ist der große und z..-eifellose Erfolg des Stückes, das bi• heute noch von unfehlbarer Wirkung ist. Ein Stück, das aogenscheinlich seicht und schlecht ist, und dennoch die Bühne nicht nur erobert, sondern auch festhält, muß geheime Von.üge besitie11, diB dem Zuhörer offenbarer werden als dem gelehrten Kritiker. Daß mit der Verherrlichung der romanti•chen Liebe die weibliche Zuhörerschaft gewonnen wurde, ist gewiß, Pbenso sicher ist es, wie Pröl8 ngt, daß die Hauptdarsteller nie versagende Rollen haben. Aber daa genügt nicht. Es liegt noch etwas in diesem Stöcke, daa auch den ernster Denkenden immer wieder zu dem Stöcke hintwingt; das ist die wirksame Gegen- überstellung zweier Kulturstufen, zweier Gesell•chat\skroi&e, ein Mot.iv, das noch in neuester Zeit Stücken wie „Im weißen Röss1,I" and „Alt-Heidelberg" zo ungeahnten Bühnenerfolgen verbolfon hat. Wie in diesen Stücken Berliner und Salr.kammergot- bauern, oder Höflinge und freio Burschen nebeneinandergestellt und dnrcb romantische Liebespaare verE"inigt werden, so bior wilde Gallier und Griechen. ~ieht die ziemlich belanglose J.iobesgeschicbte zwischen dem Tektosagen nnd der Griechin bildet den Kern des Stückes; daß der Dichwr über die Äußerlichkeiten der Kultur anf das rein Menschliche hinauskommt, machl uns dioses Drama liRb und wort. Von HomerR Nausikaa und Ulysses bis zum Karl Heinz und der KAthie hcranf hat diesos unsterb- liche Motiv, in einem kultureH geschiedenen Li"'bespaar das rein lleuschliche zu betonen, den Erfolg für sieb gehabt. llem1ann und Dorotbea geböron hi eher, Fouques Undine, Edrita und I.eon in • Web' dem, der lügt•, Libu•sa und Primislaus, Medea und Jason, Agnes Bernauer, Rantendelein und viele andore In allen diesen Geslalten ist das bloß Menschliche betont. Nur freilich ist bei Halm das Getändel des Liebes- paares gar zu sd81icb; die Herbheit fehlt, die dieser Angleichung folgen muß, das schmerzliche Verzichten, das doch jeder fühlen mnß, der seine Vergangenheit verleugnet lngomar gibt sieb gar zu willig gefangen und wird gar so leicht bdrgerlicb und ,iltsam. Wie bat das Grillparzer anders gemacht! Aber was half das? Da.a Wiener Publikum lachte doch Grillparzers "Web' dem, der lügt•, aus und jnbelto vier Jahre spiiter Halms Drama zu. Heute ist es freilich anders. Noch einen dritten, sehr bedeutenden Erfolg hatte Halm im Jahre 1854 mit seinem „Fechter von Ravenna11:. Kann man den „Sohn der Wildnis" noch einiger- mallen gelten lassen, so gibt der ,Fechter• zu noch größeren Bedenken Anlaß. Der ,Fechter• beruht anf Quellen, über die eine von Halm 1866 öffentlich abgegebene f:rkliirung Auskunl\ gibt. Er sagt darin, daß er den Stoff ans GötUings Aufsatz „ Thusnelda, Arminius Gemahlin, und ihr Sohn Thamelikus" eulnommen habe, der selbst wieder auf Tacitus und Seneka fußt . Diese Erklärung gab Halm ab, weil der Scbal- 111eister Franz ßacherl ans P(afl'enhofen den Dichter beschuldigt hatte, daß er sein Drama • Die Cherusker in Rom" besloblon hätte. Diese Angelegenheit, die damals riel Staub aufwirbelte, mag hier nur nebenbei erwähnt sein. H•lm bat di e obenbezeicbnete Quolle ziemlich genau benütit. Der erste Aufzog führt uns unter die Gladiatoren, unter denen auch Thnmelikus, des Cbernskerfürsten Ar10inins Sohn , lebt. Er isl mit Leib und Seele Gladiator und fübll nicht die Schmach, die darin liegt, daß er, der Abkömmling des großen Hefreiers, den R,;mern nun zur Unt•rbaltung dient. Umsomehr wird diese Schmach von der gefangenon Thusnelda empfunden und sio fällt in Ohnmacht, ol s sie ihren Sohn als Fechter sieht. In kräftiger Steigerung werden wir non an den Hof Caligulas geführt, der, um seine orschlafll.en Nerven neu auftupeitscben, auf dm Rat der C1sonia besclifü•0i, 1'humelikus vor sein t>r M utter Augen im Zirkus kl\mpfon und ,·rrb1oten zu lassen. Thomclikns, dem seine Fecbtercitclkeit üb(•r seinen nationalen Stoli geht, willigt gl..'rne ein, als F~chter im Zirkus aufr.utreten und weist Thnsneldas Einmischnn~ in d1•r großun Hi>be- ?Unktszcne entschieden zurück. Thosnelda sticht ihren Sohn nieder. Auch dieses Stück ist hoftig angegriffen nnd bekämpft worden, hat ahn dennoch
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