30. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1900

es nothwendig, dass der Schüler das in der theoretischen Chemie Gelernte befestige ; dass dies aber durch Selbstbethätigung im Anschluss an diese am besten möglich ist, erscheint klar. Besonders die Vorschriften für den zweiten Curs schließen sich eng an die für den theoretischen Unterricht geltenden Instructionen Die Arbeiten im Laboratorium, denen leider zu wenig Bedeutung beigelegt wird, sind auch darum von grossem Wert, weil hier der Schüler beobachten und naturwissenschaftlich denken lernt. Wird er auch bei Experimenten in der Chemie und in der Physik zum Denken angeregt, und muss er selbst den Verlauf und die Erklärung einer Erscheinung mit Worten geben können, so reicht dies doch nicht an den Unterrichtserfolg heran, den vom Schüler selbst ausgeführte Experimente mit sich bringen. Denn wenn der Lehrer ein Experiment vorführt, so weiß der Schüler nichts oder nur sehr wenig von den vielen Bedingungen, die genau eingehalten werden müssen, soll das Experiment gelingen. Erst wenn der Schüler selbst Hand anlegt, erfährt er, wie schwer oft die Durchführung eines leicht erscheinenden Versuches ist. Weiters wird der Schüler gezwungen, die Erscheinung, die er sich vor Augen führt, genau zu beobachten und das Resultat der Beobachtung in kurzen Worten niederzuschreiben Er erhält dabei auch die Anleitung, nur das Wichtige und Charakteristische herauszugreifen und zu verwerten. Die neue Verordnung bot mir auch den Anlass, die Anleitung zu den chemischpraktischen Arbeiten im zweiten Curse zu verfassen. Ich zögerte damit lange, wartete immer, dass Berufenere, erfahrenere Fachcollegen, einen Lehrgang veröffentlichen. Erst als ich mit meinen Vorarbeiten ziemlich zu Ende war, erschien ein Leitfaden (von Haselbach). Obwohl ich den Standpunkt, den ich einnehme, genügend präcisiert zu haben glaube, will ich noch einige Bemerkungen zu den einzelnen Capiteln machen. Beim Capitel „Maßanalyse dürfte es vielleicht auffallen, dass ich Oxydationsund Fällungsmethoden (mit den Beispielen: Eisenbestimmung mittels Permanganat und Chlorbestimmung mittels Silbernitrat) aufgenommen habe. Obwohl von diesen Methoden in der Verordnung nicht die Rede ist, halte ich ihre Besprechung und Durchführung für angemessen, schon aus dem Grunde, damit der Schüler einsehen lerne, dass es nicht gerade Säuren und Basen sein müssen, die aufeinander einwirken. Die Berechnung der Analysen dürfte logisch und einfach sein. In der „organischen Analyse“ erscheint die Reihenfolge der zur Untersuchung gelangenden Verbindungen etwas abweichend von der in der Vorschrift gegebenen. Entschuldigt wird dies dadurch, dass für die Anordnung der Körper die Reihenfolge in der theoretischen Chemie maßgebend war, um an diese möglichst anzuschließen. Von den vielen Reactionen auf die einzelnen Körper wurden nur solche aufgenommen, die der Schüler auf Grund des früher Gelernten verstehen kann, und es wird zur Erlangung des Verständnisses nicht wenig beitragen, dass Reactionsgleichungen aufgestellt wurden oder die Aufstellung solcher vom Schüler verlangt wird. Weil jedoch bei einigen Verbindungen solche dem Wissen des Schülers angepasste Reactionen nicht genügen, mussten auch wenige andere aufgenommen werden, deren Erklärung besonders gegeben wurde. Dass da vorgegriffen oder über das Maß des in der sechsten Classe durchzunehmenden Lehrstoffes hinausgegangen wurde, sei zugegeben. Doch sind solche Reactionen — ich erwähne die Xanthogensäure- und Kakodylreaction —ungemein wichtig, oft geradezu unerlässlich und vielfach auch von theoretischem und historischem Interesse. Viele Reactionen, die dem Fachmann wohl bekannt sind und ihm rasch Aufschluss geben, werden vermisst werden. Es sind dies die vielen Farbenreactionen, die mit Absicht weggelassen wurden, da deren Chemismus dem Schüler nicht erklärt werden kann. Nur bei den Phenolen wurden Reactionen, die sich durch auffallende Färbungen zu erkennen geben, gebracht, da über diese Körper sonst fast nichts zu sagen gewesen wäre. Der Wegfall der Cyanverbindungen erklärt sich daraus, dass

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