30. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1900

Anleitung zu den chemisch=praktischen Arbeiten im zweiten Curse. Von Ferdinand Kende. Seit dem Schuljahre 1894/95 besteht eine neue Verordnung für die chemischpraktischen Arbeiten, da die bei Befolgung der früheren Vorschrift (vom Jahre 1879) „gemachten Wahrnehmungen das Bedürfnis nach Aufstellung von leitenden Gesichtspunkten in Bezug auf den Betrieb dieses Unterrichtes hervorgerufen haben.“ Der im ersten Curse abzuhandelnde Lehrstoff beginnt mit Lösungs- und Ausscheidungsversuchen bei verschiedenen Lösungsmitteln, mit Versuchen über Bildung von einfachen Verbindungen, Oxydations- und Reductionserscheinungen, woran sich die einfache anorganische Analyse auf nassem und trockenem Wege anschließt. Die Durchführung der Vorschrift für den ersten Curs wird besonders dadurch erleichtert, dass die ersten Versuche sich mit den einleitenden Capiteln des Lehrstoffs der Chemie in der vierten Classe decken und für die einfache anorganische Analyse eine beträchtliche Anzahl von Anleitungen besteht. Anders dagegen ist es mit den Arbeiten im zweiten Curse. Waren früher Gemische von unorganischen Verbindungen das Untersuchungsmaterial, so sollen der neuen Vorschrift gemäß die Prakticanten sich mit Maßanalyse, einfacher organischer Analyse und Farbenchemie beschäftigen. Es ist erfreulich, dass von dem früheren Lehrstoffe Abstand genommen wurde; denn der Fachmann weiß, wie schwer es einerseits für den Lehrer ist, die Trennung nach Gruppen und Isolierung der Gruppenbestandtheile dem Schüler theoretisch erklärlich zu machen, wie schwer es andererseits für den Schüler ist, bei der geringen zur Verfügung stehenden Zeit den Stoff in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Ein weiterer Übelstand bestand darin, dass eine Analyse oft auf mehrere Unterrichtsstunden, die zeitlich durch mehrere Wochen getrennt waren, ausgedehnt wurde, der Schüler demnach beim besten Willen und auch bei Benützung von verschiedenen, das Gedächtnis unterstützenden Hilfsmitteln den Zusammenhang verlieren musste und schließlich aufzubewahrende Niederschläge sich oft veränderten und dann dem Gange der Analyse nicht mehr entsprachen oder wenigstens Schwierigkeiten bereiteten. Die neue Verordnung ist auch darum mit Freude zu begrüssen, weil sie den Zweck der chemisch=praktischen Arbeiten deutlich hervorhebt. Es ist nicht die Aufgabe der Realschule, Chemiker auszubilden, die gleich nach Absolvierung derselben in die Lage kommen können, im Laboratorium analytisch zu arbeiten. Vielmehr ist

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