Die Verehrung für die vaterländische Dichtung Klopstocks, dessen Ruhm Herder verkündete, dessen Werke Schubart sammelte, hatte die jungen Leute, die damals in Göttingen weilten, zu gegenseitig anregender geistiger Thätigkeit vereinigt. Und wie verschiedenartig auch die Naturanlage und der Charakter dieser Musensöhne war, in der Verehrung für Klopstocks weihevolle Dichtung giengen sie alle auf und stimmten einmüthig zusammen. Dass gerade Göttingen damals auserwählt war, eine so hervorragende Pflegestätte literarischen Schaffens zu werden, dass von dieser verhältnismäßig kleinen Stadt Hannovers eine so große Förderung der deutschen Literatur ausgieng, hatte seine guten Gründe. Die unter Georg II. 1737 gegründete Universität Göttingen war damals die Fürstin unter den deutschen Hochschulen, eine weithin strahlende Leuchte in Norddeutschland. Mit königlicher Freigebigkeit von dem genannten Fürsten nach dem Vorbilde der Halle'schen Hochschule und doch als deren Nebenbuhlerin gestiftet und mit dem Grundsatze uneingeschränkter Lehrfreiheit ausgestattet, zog sie nicht bloß aus dem Norden und Süden des deutschen Vaterlandes, sondern auch aus dem fernen Auslande eine zahlreiche und lernbegierige Jugend heran. Fast gleich kräftig blühten hier neben der Theologie die exacten Wissenszweige, die medicinischen, juridischen, die philologisch-historischen Studien. Über zwanzig neue Disciplinen wurden dort im vorigen Jahrhundert in den Kreis der akademischen Lehrfächer eingebürgert, und keine Universität war zugleich literarisch so productiv, wie die Georgia Augusta Göttingens, diese ernste Stätte des Wissens. Schon 1739 bestand hier eine „Deutsche Gesellschaft“, deren Secretär eine Zeitlang Höltys Vater gewesen. Darin sollte auf die Verbesserung der Sprache gesehen, die Aufsätze der jungen Leute sollten geprüft und gebessert werden. Neben der deutschen Sprache sollte sie auch Tugend und Freundschaft pflegen und des patriotischen Hintergrundes nicht entbehren. Doch schon um die Mitte des 18 Jahrhunderts verfiel die Gesellschaft der starren Richtung Gottscheds. Man hatte längst das Gebiet der deutschen Literatur ausgedehnt, indem man nicht nur Sprache, Rhetorik und Poesie, sondern auch Länderkunde, Geschichte deutscher Alterthümer und deutsches Recht unter der Literatur begriff, während die wahre Poesie zur Nebensache wurde. Abgesehen von der Blüte Göttingens, besonders der rechts- und staatswissen¬ schaftlichen Facultät, abgesehen von dem geistig anregenden Verkehr, den die Gelehrten der Georgia Augusta ihren Schülern boten, die daher aus den vornehmsten Kreisen und in großer Anzahl in Göttingen zusammenströmten — es gab noch etwas Hervorragenderes, das dichterische Talente mit fast magischer Gewalt in die freundliche Leinestadt zog, und das war die ausgezeichnete und reichhaltige Bibliothek, welche die einzige vortreffliche Sammlung, englischer Bücher enthielt. War ja doch damals die Zeit, wo unsere Literatur und Wissenschaft mit jugendlichem Enthusiasmus nach England hinneigte. Und diese außerordentlich anregende, englische Literatur war in Göttingens Bibliothek fast vollständig vertreten. Ausschließlich aber besaß die Bibliothek ein Werk, das der Zielpunkt der Geister wurde: Woods „Versuch über das Originalgenie des Homer.“ Diese Schrift war es, welche den frühesten Anstoß zu der ganzen homerischen Frage gab und einen entscheidenden Einfluss auf die Ansichten über die deutsche Poesie und das darin waltende Genie hatte. So kamen denn eine Menge Übersetzer nach Göttingen, diesem vornehmsten Markte der englischen Literatur in Deutschland, woselbst der bedeutende Gewinn, der aus der Bibliothek floss, durch die Verbindungen der Universität und ihrer Curatoren mit England, dem eigentlichen Mutterlande der Göttinger Hochschule, noch wesentlich erhöht wurde. Freilich reiften nur langsam die Früchte am Baume geistiger Entwicklung. Dass gerade für die deutsche Dichtung von Göttingen aus etwas Bedeutendes
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