30 Göttinger hervorgiengen. Besonders wird das nationale Element hervorgekehrt, und es wird diesem Streben gegenüber die Abneigung der Bündler gegen die französische Literatur begreiflich. Dass in dieser Beziehung der Bund vieles mit der Richtung von Goethes Stra߬ burger Kreis gemeinsam hat, ist unschwer einzusehen. Man stieg hinab in den Schacht der alten Sprache und alten Literatur, man brachte den Minnesang wieder zu Ehren und sammelte sogar für ein deutsches Wörterbuch. Mit Goethes Darmstädter Kreis ist den Göttingern die Sentimentalität eigen denn Grab und Tod, Thränen und Seufzer gehören auch bei ihnen zum unerlässlichen Apparat ihrer Lyrik, der übrigens ein strengchristliches Element zugrunde liegt, das ihnen Klopstock als nothwendige Bedingung eingehaucht hatte. Wie die Stürmer und Dränger, so sind auch die Göttinger von großem Ehrgeize erfüllt. Und darum genügen ihnen die lyrischen Gedichte allein nicht Auch durch epische und dramatische Stoffe wollen sie ihres Namens Gedächtnis verlängern. Wie in Bezug auf Stoff und Auffassungsweise, so wurde auch rücksichtlich der FormKlopstock nachgeahmt, und wenn auch der Reim von den jungen Dichtern nicht verworfen wurde, so bildeten sie doch ihre Gedichte mit Vorliebe in den griechischen Strophenformen. Wichtiger und folgenreicher aber als der Klopstock-Enthusiasmus war für die Göttinger Dichter die Neigung zu griechischen Studien, die in Voß und Stolberg ihre Hauptvertreter fand. Und wie hoch schlug besonders Voß den Wert der classischen Werke der Griechen an! Ihm erschien die Antike, für welche er seine Bundesfreunde zu begeistern verstand, nicht als etwas Vergangenes, sondern als etwas Gegenwärtiges, nicht als todtes, sondern als lebendiges Material. Er sah die Griechen als die einzigen Lehrer der Poesie an und nahte sich den Schöpfungen der griechischen Dichtungen mit nachfühlender Begeisterung, mit nachschaffender Gestaltungskraft. Und wahrhaftig, in Voß war unter einer ganzen Reihe von Mitstrebenden der Mann erschienen, der die versunkene griechische Welt wieder erstehen machte und die griechischen Dichter zu den staunenden Deutschen in ihrer Sprache reden ließ. Von diesem geistigen Hauch sind auch theilweise die früheren, in einem viel höheren Maße aber die späteren Dichtungen der Göttinger erfüllt, deren Streben übrigens auch darauf gerichtet war, einen möglichst volksthümlichen Ton in der Dichtung anzuschlagen. Allerdings ist im ganzen zwischen den Originalgenies und den Göttingern ein bedeutender Unterschied. Denn wenn auch der übersprudelnde Geist einer übermüthigen Jugend beiden eine ähnliche Färbung gibt, wenn auch beide Dichtergilden in ihrer Opposition gegen Wieland und in der Verachtung Voltaires übereinstimmen, so war die Verschiedenheit im Wesen und Charakter doch noch groß. Während nämlich die Göttinger Wieland deshalb hassten, weil sie in ihm einen Sitten verderber und in seinem Anschlusse an die Franzosen einen Verrath am deutschen Vaterlande erblickten, war er den Originalgenies deshalb zuwider, weil er sich in seinen Dichtungen in den feineren Formen und althergebrachten Gesetzen bewegte, weil er den ungestümen Stürmern und Drängern, welche die radicalsten Wege der Reform in der deutschen Literatur wandelten, nicht genug naturwüchsig war. Die Originalgenies hatten überhaupt mit der ganzen bisherigen Literatur gebrochen. Die Göttinger jedoch waren ein mehr conservatives Element und hielten am Erworbenen fest. Sie waren von Vaterlandsliebe begeistert, welche freilich, wie bei Klopstock, ganz abstracter Natur war, während sich bei jenen, genau betrachtet, dieses Gefühl nur in untergeordneter Weise zeigte.Die Göttinger verstanden sich von Haus aus nicht so auf das rein volksthümliche Element, das bei den Stürmern und Drängern die Hauptgrundlage ihrer Dichtung bildete. Sie erkannten die Natur als ihre einzige Führerin an und verhöhnten alle Kunstformen, indes die Göttinger mit ängstlichem Sinne an der Form
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