29 gegen fürstlichen Despotismus kehrt, schlug Maler Müller in seinen Gedichten „An das Täubchen“, „Amor und Venus“ ganz andere, friedliche Töne an. Man sieht : Altes und Neues steht verträglich nebeneinander. Unter den Bundesgliedern sind Miller, Hölty, die Stolberge und Voß besonders stark vertreten. F. L. Stolberg hat unter seinem Namen neun Gedichte beigesteuert, darunter einige seiner berühm¬ testen, wie: „Das Lied eines alten schwäbischen Ritters an seinen Sohn“, „Das Lied eines deutschen Knaben“ und „Mein Vaterland, an Klopstock.“ Auch Claudius, Boie und Bürger vermehrten durch ganz wertvolle Beiträge die poetische Blütenlese des Jahrgangs. Sehr stark in den Vordergrund gestellt erscheint merkwürdigerweise Brückner, der doch sonst nicht zu den Bedeutendsten gehörte. So machte es denn keinen besonders erfreulichen Eindruck, dass dieser letzte in Göttingen zur Edition gelangte Almanach, der mit Klopstock so kräftig anhebt, mit Brückners süßlichen Idyllen aus der Unschuldswelt so schwächlich schließt. Im Frühjahre 1775 verließ auch Voß Göttingen, um in der Nähe seines Freundes Claudius, zu Wandsbeck, Anstalten zur Zusammenstellung des Almanachs für 1776 zu treffen, der dann in Lauenburg zur Ausgabe gelangte. Auch dieser Jahrgang war mit wenigen Ausnahmen fast nur von Bundesmitgliedern und deren Freunden gefüllt. Die Stürmer und Dränger treten stärker an Zahl als früher hier mit den Göttingern vereinigt auf, und worauf Voß als Herausgeber besonders Gewicht legte fast alle erscheinen unter ihrem vollen Namen. Voß hatte es verstanden, während seines Wandsbecker Aufenthaltes durch Besuche und Correspondenzen die Freunde zusammenzuhalten, und die Frucht seiner Bemühungen war der Musenalmanach für 1776. Was darin vorlag, war aber eine so ergiebige Ernte, wie sie dem Voßschen Almanach in seinem Leben nicht mehr beschert sein sollte. Seit 1778 giengen alle Mitglieder des Bundes ihre eigenen Wege; selbst der Freundschaftsbund, in dem Voß und der jüngere Stolberg später in Eutin beisammenlebten, löste sich mit einem gewaltsamen Bruche. Indes war die kurze Periode hochfliegender Hoffnungen und Pläne sowie der gemeinsamen Begeisterung für die talentvollsten Jünglinge nicht ohne Nachwirkung geblieben, denn der Voßsche Musenalmanach behauptete sich bis 1798. Damit wäre die Wanderung durch das Reich jener schöngeistigen poetischen Bethätigung, die im Göttinger Musenalmanach ihren bleibenden Ausdruck fand, beendigt. Die Wanderung war nothwendig, denn sie gewährt uns einen klaren Einblick in die geistige Werkstätte des Bundes, sie gibt uns genügenden Aufschluss über die Wirksamkeit und Tendenzen der Göttinger Dichter, sie bekräftigt unsere eingangs aufgestellten Behauptungen, zu denen wir schließlich nur ganz wenig hinzuzufügen haben. Wenn man die in den aufgeführten Jahrgängen des Musenalmanachs enthaltenen poetischen Schöpfungen der Göttinger Dichter betrachtet, so gewinnt man auf den ersten Blick die Überzeugung, dass es die Tendenzen der Stürmer und Dränger sind, von denen bis zu einem gewissen Grade auch die Göttinger beseelt waren. Die vater¬ ländische und die sentimentale Richtung, welche in den Werken Klopstocks ausgeprägt erscheint, fand ihren Nachklang und ihre Fortsetzung im Dichterbund der Göttinger, deren Dichtungen bald die eine, bald die andere, bald eine oft seltsame Vereinigung beider Tendenzen darbot. Und besonders die politisch-revolutionäre Seite des Bundes, der vaterländische Eifer, der Hass gegen die Franzosen, der aus so vielen abgedruckten Beiträgen herausklingt, rückt die Stiftung des Bundes in die Reihe jener mehr zwanglosen Vereinigungen, wie sie die Stürmer und Dränger an verschiedenen Orten bildeten. Freundschafts- und Vaterlandsliebe, mit welchen sich der ausgesprochenste Franzosenhass paarte, bildeten nebst schwärmerischen Ausbrüchen eines oft dunklen, oft sentimentalen Gefühles für Tugend, Freundschaft, Liebe und Natur die Grundlage aller oder doch bei weitem der meisten Dichtungen, welche aus dem Kreise der
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