26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

28 Das schöne Geschenk, welches Boie der deutschen Literatur mit dem Almanach dieses Jahres machte, fand allseitige Anerkennung. Trotz des großen Erfolges jedoch war der Musenalmanach auf 1774 der letzte, den Boie herausgab. Aus äußeren Gründen hatte Boie die Besorgung des Almanachs auf 1775 dem ihm durch besondere persönliche Interessen nahestehenden Bundesbruder Voß unter der Bedingung überlassen, dass er darin keinen persönlichen Angriffen Raum gebe. Wie edelgesinnt doch Boie war! Ihm, der den Almanach gegründet, lag eine friedliche Weiterführung der literarischen Schöpfung so sehr am Herzen. Nicht ohne Wehmuth verließ er Göttingen, wo er seit 1769 seinen Idealen gelebt hatte. Ihm, dem Gründer des Musenalmanach, war noch durch die Gründung von zwei anderen literarischen Zeit¬ schriften die Lösung einer schöneren Lebensaufgabe vorbehalten. Nachdem die Übergabe der Redaction des Musenalmanachs an Voß vollzogen war, nahm Boie mit Beginn des Jahres 1776 die Stelle eines Stabssecretärs bei dem Feldmarschall von Sporken in Hannover an. Diese Stellung hielt ihn jedoch nicht ab, seiner literarischen Thätigkeit auch ferner zu leben. Schon Ende 1775 hatte sich Boie mit dem ge¬ lehrten Dohm, dem nachmaligen Professor am Carolinum in Cassel und späteren Gesandten, zur Herausgabe des „Deutschen Museums" verbunden, jener trefflichen Zeitschrift, die in der Weygand'schen Buchhandlung in Leipzig erschien, und die sich durch Boies Umsicht und viele ausgezeichnete Mitarbeiter einen bleibenden Platz in unserer Literatur errang. Als dann 1788 das „Deutsche Museum“ nach 13jährigem Bestande eingieng, gab der auf dem literarischen Felde so unermüdliche Boie das „Neue deutsche Museum allein heraus, von dessen Redaction er aber schon nach drei Jahren zurücktrat, um in die Heimat seiner Väter zu ziehen, woselbst er 1806 als Etatsrath starb. Von Boie, der von einer seltenen Bescheidenheit und Selbst¬ losigkeit erfüllt war, konnte man mit Recht sagen, dass er die goldene Zeit unserer Literatur durchlebt hat als einer, der nach seiner Kraft zu dem Golde sein Scherflein beitrug. So stand denn Voß seit Ende 1774 an der Spitze der Schriftleitung des Musenalmanachs. Im Herbste desselben Jahres hatte er sich mit Boies Schwester Ernestine verlobt. Boie mochte seinem zukünftigen Schwager Voß wohl auch deshalb die Weiter¬ führung der literarischen Zeitschrift übergeben haben, um demselben dadurch die Begründung eines bescheidenen Hauswesens zu ermöglichen, wenn die Fortsetzung des Almanachs auf eigenen Gewinn gelang. Obwohl ferne von Göttingen lebend, wandte Boie seinem Freunde einen großen Theil seiner Kraft zu und unterstützte ihn mit Rath und That. Freilich dauerte dies nicht lange, und die etwas derbe und pedantische Schulmeisternatur des Schwagers war der Grund, dass sich Boie schon vom Almanach auf 1775 zurückzog, in dem leider der polemische Charakter, den der friedfertige Boie, hatte vermeiden wollen, in einem Ausfall gegen Wieland offen zutage trat. Von den Mitarbeitern der früheren Almanache finden wir auch im Jahrgang 1775 den alten Grundstock wieder; aber nicht mehr so unvermischt wie dort stehen hier die jungen Dichter da. Klopstock eröffnet den Almanach mit seinen Oden „Unsere Sprache“, „Die frühen Gräber“ und „Der Jüngling“. Der wichtigste Beitrag von ihm war die 3. Scene aus dem Bardiet „Hermann und die Fürsten“, in welcher der junge Theude die Waffen empfängt und die Schmach seiner Mutter zu rächen schwört. Der Inhalt dieser Scene sollte vielleicht symbolisch andeuten, dass die jungen Dichter wehrhaft gesprochen wurden, um Deutschlands Schmach zu rächen. Unter den bedeutendsten Beiträgern erscheinen Goethe, Herder, J. G. Jacobi, Gleim und Pfeffel; auch Leisewitz und Maler Müller sind vertreten. Während sich Goethe mit den beiden Gedichten „Der unverschämte Gast" und „Ein Gleichnis gegen das elende Recensentenwesen wendet und Leisewitz seine unter der Chiffre „W“ abge¬ druckten aufreizenden Satiren „Die Pfandung“ und „Der Besuch um Mitternacht

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2