26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

27 frischen Fabeln und Erzählungen ohne breite Moral; Herder kam mit zwei Nachbil¬ dungen englischer Gedichte, während Götz und Gotter in würdiger Art die ältere Richtung vertraten. Selbst Kretschmann berührt sich in seinen Schöpfungen mit Voß und den anderen Göttingern und weist in seinen Producten seine Berührung mit Herders volksthümlichen Bestrebungen auf. Aber was wollen alle diese Beiträge sagen gegen Klopstocks Lieder und Gesänge! Klopstock eröffnet den Almanach mit den „Drei Bardengesängen aus „Hermann und die Fürsten; dann folgt der majestätische „Schlachtgesang“ mit Glucks Melodie. In der Mitte des Almanachs steht das stolze Vaterlandslied: „Ich bin ein deutsches Mädchen!“ Den Reigen der Minnelieder eröffnet Klopstocks reizendes Gedicht „Cidli“ und endlich schließt wieder Klopstock die Sammlung mit der an die Grafen Stolberg gerichteten Ode „Weissagung. So steht also Klopstock am Anfang, in der Mitte und am Ende der geistigen Blütenlese, und aus allen Geschenken der deutschen Muse klingt Freundschaft und Vaterland in begeisterten Tönen. Dass auch Goethe vier herrliche Gedichte sandte, konnte den Wert der Sammlung nur erhöhen. Als erster heller Edelstein glänzte unter den vier dichterischen Producten sein „Wanderer Nicht minder wertvoll waren die anderen drei Gedichte: „Gesang zwischen Ali und Fatime“, „Sprache“ und die Fabel „Adler und Taube.“ Goethe unterzeichnete diese Beiträge nicht mit seinem Namen, sondern chiffrierte sie bald mit H. D., bald mit T. H oder E. O. Auch Merck erscheint neben Goethe mit zwei Gedichten in der Sammlung. Den größeren Theil des Almanachs füllen aber die Göttinger selbst aus, und was besonders charakteristisch ist, sie treten als eine gemeinsame Gruppe in den Minneliedern auf. Bürger, der im vorjährigen Musenalmanach den Minnegesang inauguriert hatte, singt hier sein Minnelied. Gleich neben ihm steht Voß. Ebenso sind sieben Minnelieder Millers unter der Chiffre „R“ zusammengefasst. Miller übertrifft an Zahl der mitge¬ theilten Stücke überhaupt alle Bundesbrüder, denn er bringt nicht weniger als 25 Gedichte theils unter seinem Namen, theils unter den verschiedensten Chiffren. Als zweiter Edelstein glänzte in der Sammlung Bürgers „Lenore, das Meisterwerk seines Lebens. Voß publiciert unter seinem Namen die beiden Oden „An die Franzosen“ und „Deutschland“, ferner die Elegien „An zwei Schwestern“ und „An Ewald“, verbirgt sich aber in einer Reihe von Liedchen und Epigrammen unter verschiedenen Chiffren. Die Entrüstung wider Rom und das deutsche Franzosenthum, die Trauer, dass Klopstock nur frostig belohnt sei, quoll in Voßens Ode „Deutschland“ mit bitterer Kraft hervor. Graf F. L. Stolberg unterzeichnet mit seinem Namen die Gedichte „Der Harz“, „An den Mond“, „Die Ruhe“ und „Der Genius; andere Producte fertigt er wieder mit der leicht durchsichtigen Chiffre „Gr. v. g. Auch Boie ist mit acht Gedichten in diesem Jahrgange vertreten; er hatte zunächst einiges aus seinen Nachahmungen der Franzosen und Engländer mitgetheilt. Unter den von Boie beigesteuerten Geistesblüten zeigt sein Gedicht „Schäferlehren an Bürger“ seine innige und wohlmeinende freundschaftliche Gesinnung gegen Bürger. Die Ballade war durch Hölty vertreten, und von Hahn sind die beiden Lakonismen „Vor dem Schlaf“ und „Beruhigung“ unter der Chiffre „N. eingeschaltet. Auch der uns bekannte Brückner gab durch einige Idyllen wenigstens seinen guten Willen und sein Interesse für die Unternehmungen des Bundes zu erkennen, indem er zum erstenmal als aus der Ferne aufgenommenes Bundesglied unter der Chiffre B. R. im Kreise der Bundesbrüder erscheint und sein „Gemälde aus einer Welt unschuldiger Menschen“ und sein ziemlich plattes Epigramm „Geheimnisvolles Nein“ dem Musenalmanach spendete. Endlich fehlt auch der volksthümliche Claudius nicht, denn aus dem Wandsbecker Boten sind das „Neujahrsgedicht“ und „Zufriedenheit nebst einigen Epigrammen im Musenalmanach abgedruckt.

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