26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

25 stellt. Der reiche Ertrag des Bundesjahres 1773 ist im Musenalmanach auf 1774 niedergelegt, und es war dieser Jahrgang wirklich eine bedeutsame Erscheinung. Die Aufnahme des Musenalmanachs war fast allgemein eine sehr günstige. Trotz mancher Angriffe von Seite gewisser übelgesinnter Recensenten konnte Boie ruhig zusehen; er hatte bereits einen Kreis fruchtbarer und tüchtiger Poeten um sich, die den Almanach als ihr gedrucktes Bundesbuch ansahen. Recht bezeichnend für die Tendenzen des Bundes sind die Wandlungen, die Boie als Mittler der Göttinger und Herausgeber des Musenalmanachs, dieser schönsten geistigen Frucht des Bundes, im Laufe der Siebzigerjahre an sich selbst vollzog. Als er 1770 mit Gotter die Herausgabe des Almanachs besorgte, da arbeitete noch Wieland mit, und Gotter zog später seine Beiträge zurück, weil man Wieland angriff. Boie war damals selbst noch ohne ent¬ schiedene Geschmacksrichtung. In seinem Unternehmen ließ er sich von A. B. Kästner, diesem geistreichen Epigrammatiker und scharfen Satiriker, unterstützen. Daneben suchte er Verbindungen mit den Wiener, Leipziger und Berliner Dichtern und geizte soga nach den Beiträgen von J. N. Götz, diesem einzigen Dichter aus dem Hallenser Freundesbunde, der aus dem anakreontischen Graziencultus nicht herauskommen könnte. Außerdem griff er aber auch begierig nach den pomphaften und von einem rhetorischen Pathos getragenen Oden eines Ramler und nahm für Jacobi Partei gegen die Berliner. Als aber die revolutionäre Jugend der Göttinger Dichter um ihn her überhand¬ nahm und er nicht mehr um Beiträge verlegen zu sein brauchte, da befestigte er eine andere Richtung immer mehr und mehr. Das Fahrwasser, welchem er zutrieb, war das der Stürmer und Dränger. Boie kam zuerst ab von den überschwenglichen Liebes¬ dichtern und ihren Tändeleien, er überwarf sich mit Jacobi ob seiner Empfindlichkeit und verschmähte dann auch Wieland, gegen welchen sich nicht allein Klopstock, sondern auch Lessing bei ihm mündlich mehr, als er dachte und erwartete, erklärte, weil dessen Muse nicht eine Tochter der Empfindung, sondern der Phantasie, Philosophie und Laune war. Er kam aber auch von Ramler ab, der ihm nur als ein Nachahmer des Horaz galt, und erkannte Klopstock als den einzigen Dichter an, dessen deutscher Patriotismus ihn am allermeisten ergriff. Und diese Wandlung hat sich bei Boie im Zeitraum von zwei Jahren vollzogen. Zur Erkenntnis dieses Umschwunges in den Ansichten Boies gelangt man, wenn man die Jahrgänge 1773 und 1774 des Göttinger Musenalmanachs miteinander vergleicht. Trotz der großen Ansammlung junger und vielversprechender Talente weist der Musenalmanach auf das Jahr 1773 noch eine Mischung von Altem und Neuem, eine Vertretung der Schule Wielands und Klopstocks auf. Und diese Verbindung mit der älteren Schule ist an dem literarischen Organ schon äußerlich sichtbar; denn dem Kalender des Almanachs sind zwölf Kupfer von Meil zu Wielands „Agathon“ beigegeben, bei denen üppige und schlüpfrige Scenen nicht zu umgehen waren; und das längste Gedicht der poetischen Blumenlese ist das merkwürdige Fragment Wielands: „Gedanken bei einem schlafenden Endymion.“ Allerdings folgt dann als erstes von den zwölf Eprigrammen Klopstocks „Unsere Sprache“ und ein zweites nennt Shakespeares Namen mit großer Verehrung. Auch Klopstocks Ode „Wir und Sie“ stand darin. Von den alten Mitarbeitern des Almanachs erschienen einige mit neuen Tönen. In seinem Gedichte „Mutterlehren an einen reisenden Handwerksburschen“ versucht Denis, der auch als Barde auftritt, einen volksthümlichen Ton anzuschlagen. Seine poetische Schöpfung hat Höltys schönes Gedicht „Der alte Landmann an seinen Sohn veranlasst. C. F. Cramer behandelt eine Episode aus dem Leben Petrarcas, wie dies auch bei den Stürmern und Drängern beliebt war, und K. F. Kretschmann oder, wie er sich selbst nannte, „der Barde Rhingulph“ stellt der Ode „Rhingulph an Telynhard“, das „Lied eines nordischen Sängers“ in Nachahmung Kleists und Gleims gegenüber. Auch Michaelis und Gleim sind im Almanach vertreten, und zwar jener durch sein „Kriegslied zur See“, dieser durch die satirische Ballade „Junker

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