26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

23 III. Wirksamkeit und Tendenzen des Bundes. Wenn die Stellung des Göttinger Dichterbundes in der deutschen Literatur mit richtigem Blicke gewürdigt werden soll, müssen schließlich Wirksamkeit und Tendenzen des Bundes beurtheilt und an der Hand der literarischen Leistungen der Haupt¬ vertreter des Bundes einer kritischen Erörterung unterzogen werden. Wieser auch auf den ersten Blick das Leben und Treiben der Hainbündler für unsere Denkweise etwas Überspanntes, hie und da vielleicht Unnatürliches und sogar in Spielerei Ausartendes an sich tragen mag, wie sehr man auch im ersten Augenblicke geneigt ist, in der Thätigkeit des Bundes etwas zu finden, was in dem¬ selben etwa den Charakter einer deutschen Burschenschaft erkennen ließe: das Wirken des Bundes ist für diesen Vergleich unzulässig; sein Wirken war vielmehr ein sehr bedeutungsvolles und muss mit einem ganz anderen Maßstabe gemessen werden. In der That, der Göttinger Dichterbund, dessen ideales Streben, in Anlehnung an die Errungenschaften der altgermanischen Dichtung und befruchtet von den Schöpfungen der mittelhochdeutschen in ihrer Blütezeit, consequent auf die Förderung einer frischen, gesunden und dabei jeder frivolen Manier abholden Lyrik gerichtet war, dessen Thätigkeit darauf ausgieng, die Schätze der classischen Antike mit der deutschen Nationalliteratur in einen möglichst unmittelbaren und befruchtenden Contact zu bringen, kann als eine nicht zu unterschätzende Stufe in der Entwicklungsgeschichte der deutschen Literatur bezeichnet werden; und es hieße die Verdienste des Bundes schmälern, wollte man die Zeit seines Bestandes zumindest nicht als einen Abschnitt bezeichnen, in dem man sich der Congenialität des germanischen und hellenischen Geistes bewusst zu werden anfieng und, gestützt auf dieses Bewusstsein, deutsches Geistesleben anbahnte, förderte, selbst bethätigte und für die Zukunft fruchtbringendst vorbereitete. Bei all dem burschikosen Geiste, von dem die Göttinger Bündler bei ihren Wochen¬ versammlungen beseelt waren, wodurch sie, allerdings nur äußerlich, den deutschen Burschenschaften ähnelten, gebürt der Wirksamkeit ihres Bundes in Hinsicht auf seine dichterischen Leistungen die oberwähnte Wertschätzung; denn alle Bundesglieder waren von hohen Dichter-Idealen erfüllt und meinten es aufrichtig und ehrlich mit ihrer Freundschaft und Vaterlandsliebe, der sie in ihren poetischen Schöpfungen begeisterten Ausdruck verliehen. Solange die Bündler in Göttingen, der Stätte ihrer akademischen Ausbildung, beisammenlebten, äußerte sich ihre Wirksamkeit nach einer zweifachen Richtung. Insoferne nämlich die dichterische Bethätigung auf dem Gebiete der Lyrik, und das war ja das von den Göttingern fast ausschließlich bebaute Feld, durch den Bund selbst angeregt wurde, in welchem die poetischen Producte beurtheilt werden mussten, bevor sie im Musenalmanach, dem publicistischen Organ der Göttinger, zum Abdruck gelangten, kann diese Wirksamkeit gleichsam als eine directe bezeichnet werden, die unter dem Schutze des Bundes wie von einer literarischen Gesammtheit ausgieng. Die Wirksamkeit des Bundes machte sich aber auch noch in einer anderen Weise geltend, und wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir diese Richtung eine indirecte, vermittelnde, nennen. Vermittelnd und indirect war aber die literarische Wirksamkeit seitens der Hainbündler anderseits ganz gewiss, wenn man erwägt, dass sie unermüdlich ihr Augen¬ merk darauf richteten, ausgedehnte literarische Verbindungen zu suchen, weite Kreise zu gleichem oder ähnlichem Schaffen anzuregen, die bedeutendsten Literaten ihrer Zeit zum geistigen Wettkampfe herauszufordern und die Veröffentlichung der Werke

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