26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

16 Esmarch, ein bloßer Dilettant, der aber die Alten sehr genau kennt und jetzt mit mir für den Unterricht im Französischen den Pindar liest; endlich Hahn, den ich bald vergessen hätte, der ebenfalls Genie verräth.“ Von seinem Amtssitze zu Altengleichen verfolgte der naturbegabte Bürger, dessen Beziehungen zu seinen Göttinger Freunden vornehmlich zu Voß und Boie, nie erkalteten, die einzelnen Schritte der jugendlichen Dichterschar mit großem Interesse. Diese Thatsache erhellt auch aus einem Briefe, den Bürger im September 1772 an Gleim richtete. Darin heißt es: „Zu Göttingen keimmt ein ganz neuer Parnass und wächst so schnell, als die Weiden am Bache. Wenigstens zehn poetische Pflanzen sprossen dort, wovon zuverlässig vier oder fünf dereinst zu Bäumen werden dürften. Ich erstaune und verzweifle beinahe, wenn mich Boie hier auf meinem Gärtchen besucht und mir die Producte dieser Pflanzschule vorlegt. Wenn das so fortgeht, so übertreffen wir noch alle Nationen an Reichthum und Vortrefflichkeit in allen Arten. Ich glaube, wir sind noch im vollen Steigen und noch lange nicht an unserem Ruhe¬ punkte.“ Das gemeinschaftliche Band des poetischen Freundeskreises, der Boie umgab, war Dichtung und Boies Musenalmanach, welcher die Gelegenheit darbot, die Producte dieses Kreises durch ein gemeinsames literarisches Organ zu veröffentlichen, wodurch den Mitgliedern dieser Gesellschaft der Gedanke und die Hoffnung nahegelegt wurde, durch die unmittelbare Einwirkung auf das Publicum eine literarische Macht zu werden. Besonders war das Freundschaftsverhältnis zwischen Boie und Voß, dessen Fleiß, Wissensdurst und Bescheidenheit den Herausgeber des Musenalmanachs stolz auf den Zufall machte, einem solchen Jüngling nützlich geworden zu sein. Mit seinem regelnden Tone, mit seiner Gabe, zu ordnen und zu gliedern, mit dem hohen Grade seiner Selbstbeherrschung gewann Voß auch bald einen dominierenden Einfluss und erlangte zu der Zeit, als der Bund entstand, auch die administrative Herrschaft über denselben. Dieser Kreis von Poeten und Nichtpoeten, von Gebern und Empfängern zusammengesetzt, war weit davon entfernt, eine Schule oder Partei bilden zu wollen, vielmehr war das Dichten an sich und das Gefallen daran das einzige Band der Gemeinschaft. Im Humor nannten sie sich wohl auch den Parnass. Aus diesen Ele¬ menten bildete sich nun der eigentliche Bund. Ohne vorher geplant zu sein, entsprang er einem Moment der Begeisterung, der Form nach einer Improvisation, der Idee nach lange vorbereitet, ganz im Geiste und Stile des Jugendalters unserer Dichtung; denn der Freundschaftscultus, der dem Bunde zugrunde lag, war ein stark wirkender Factor des damaligen Literaturlebens. Über die Gründung des Bundes selbst liegt ein Bericht in einem am 20. September 1772 von Voß an Brückner gerichteten Briefe vor, dessen Inhalt wir hier folgen. An einem heiteren Herbstabende — es war am 12. September 1772, einem Sonnabende, da zogen, der Tages- und Wochenarbeit ledig, die sechs Freunde: Voß, Hölty, das schwäbische Vetternpaar Miller, Hahn und Wehrs nach dem nördlich von Göttingen gelegenen Dorfe Wehnde und schlossen in jugendlicher Begeisterung und erfüllt von der Freundschaftsschwärmerei der Zeit einen Freundschaftsbund. Der Abend war ungewöhnlich schön, der Mond schien hell herab — und wer kennt nicht den Mondscheincultus jener Zeit? — man sprach in höherem Tone von Musendienst und seinem beglückenden Lohn. Rousseausche Stimmung und gehobenes Freundschaftsgefühl beseelten alle. Man grüßte den Mond, den alten Dichterfreund. Die gehobene Stimmung bedurfte keiner künstlichen Steigerung durch Lieder- und Becherklang. Eine Milch, ländlich und sittlich, in einer Bauernhütte genommen, genügte. Dann gieng es feldeinwärts nach einem kleinen Eichengrund. Eine gewaltige Eiche, der geweihte, vaterländische Baum der Germanen, zu dem die jugendliche Schar hier gelangte, lieh dem jungen Geschlechte etwas von der Kraft vergangener Jahrhunderte und ward den Jünglingen zum Symbol dessen, was sie ahnten und wollten. Einen Stifter des

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2