26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

15 dort hat er als Dichter die Wege eingeschlagen, auf denen er fortgewandelt ist, dort hat er den Freundschaftsbund geschlossen, aus dem in Liebe und Kampf die Hauptfäden seines persönlichen Lebens gewebt sind, in Göttingen endlich haben seine Charakterbildung und seine Grundsätze in den großen Fragen des Lebens und der Zeit dauernde Gestalt gewonnen. Unter dem Völkchen, das Boie in einem im Jänner 1772 an Knebel gerichteten Brief als „parnassum in nuce“ bezeichnet, das aus einigen feinen jungen Köpfen besteht, die zum Theile auf gutem Wege sind, versteht er neben Bürger: den Hannoveraner Hölty, die beiden Ulmer Vettern Miller, von denen der ältere Johann Martin seit October 1770 als Theologe, der jüngere Gottlob Dietrich seit October 1771 als Jurist immatriculiert war. Wann der Theologe J. Th. L. Wehrs mit dem Boie'schen Kreise in Berührung trat, lässt sich schwer feststellen. Boies Ziehbruder, der biedere Ch. H. Esmarch, der Sohn eines Predigers zu Boël in Angeln und spätere treue Freund der Voßischen Familie, seit 1771 zum Studium der Theologie in Göttingen. wird als stiller Genosse den Dichtern nahegestanden haben. Entscheidend für die Entwicklung des Dichterkreises, der sich hier in Göttingen, genährt und gekräftigt durch die Impulse der gährenden Zeit und das Vorbild tonangebender Geister, zusammenschloss, war es unstreitig, dass Voß seine Studien an der Göttinger Hochschule aufnahm. Der jugendliche Dichterkreis, in den Voß hier eintrat und in ihm die Freuden hoch¬ gestimmter Freundschaft bestärkte, bestimmte ihn in seinem Dichterberufe. Zu dem Studienleben unseres Voß war in Göttingen ein Studentenleben edelster Art hinzu¬ getreten. Aus der fast freundlosen Umgebung seiner Heimat wie mit einem Zauber¬ schlage in den reichsten Geistesverkehr versetzt, musste Voß aufleben wie in einer neuen Welt. Was hier poetisch förderte, bildete auch ethisch, und nie wieder ward dieses harte Leben von einer gleichwarmen Sonne beschienen. So war der Verlust Bürgers, der kurz zuvor nach Gelliehausen übersiedelte, um sich dort zur Übernahme der Amtmannsstelle im Gerichte von Altengleichen bei Göttingen vorzubereiten, ausgeglichen, und nicht dieser, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre, wurde das Haupt des späteren Bundes, sondern Voß. Gleichzeitig gewannen der Gother Advocat Schack Hermann Ewald, der sich als Hofmeister eines Herrn von Schulthes in Göttingen aufhielt, und der junge K. F. Cramer aus Lübeck mit dem Boie'schen Kreise Fühlung. Im August 1772 trat endlich noch der Pfälzer J. F. Hahn der Vereinigung näher, als ein herrlicher Kopf aufs lebhafteste begrüßt Schon im Mai 1772 hielt diese Gesellschaft unter Boies Vorsitz gewöhnlich am Sonntag bei einem oder dem andern Versammlungen ab, wobei man die neuentstandenen dichterischen Versuche vorlas, ohne Schmeichelei beurtheilte, und Boie verbesserte, der umso unparteiischer sein konnte, als er selbst nicht um den Lorbeer rang. Diese dichterischen Zusammenkünfte wurden bald immer häufiger, regelmäßiger und vielfältiger belebt. „Unser Parnass kommt immer weiter“, schrieb Boie Knebeln am 4. Juni 1772 „ich habe eine Menge von glücklichen Versuchen von allerlei Verfassern vor mir. Meisterwerke müssen Sie allerdings nicht gleich erwarten. Wir haben unsere wöchentlichen Zusammenkünfte, wo wenigstens nicht geschmeichelt wird.“ Auch Voß charakterisierte wenige Wochen nach seiner Ankunft in Göttingen in einem Briefe an seinen Freund, den Pastor Brückner in Ankershagen, wo er einst Hofmeister war, diese Gesellschaft. „Wie glücklich wäre ich, schreibt Voß am 17. Juli 1772, „wenn Sie, lieber Pastor, mit unter der Gesellschaft wären, die mir so manche angenehme Stunde schenkt. Ich muss Sie Ihnen doch hernennen: Hölty, ein sehr malerischer Dichter; beide Miller, Vettern und Minnesänger; Wehrs, mehr Beurtheiler als Dichter; Ewald, ein feuriges Genie; K. F. Cramer, ein Sohn des berühmten Kanzlers und Curators der Kieler Universität, J. A. Cramer, von dem Sie die Ode auf den Tod Bernstorffs kennen, ein Kopf, der ungemein viel verspricht;

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