26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

— 14 für den Musenalmanach, in dem ihre ersten lyrischen Versuche ins Publicum eingeführt wurden, sehr willkommen. Boie selbst wurde wiederum seinerseits durch den geselligen Anhaltspunkt, den er bot, sowie durch die geregelten Studien, zu welchen er die neu gewonnenen literarischen Freunde ermunterte, und durch die mühsame und sorgliche Correctur, welcher er ihre poetischen Leistungen unterwarf, für sie von großem und dauerndem Einflusse. So herrschte denn ein reges und fruchtbares Leben und Streben in dem engen Kreise: Boie war der Führer zur englischen Literatur, wie Miller zu den Minnesängern, Bürger regte zum Spanischen an, und Hölty theilte das Italienische mit. Hin und wieder gab ein Gelegenheitsgedicht, dessen Bestellung durch Boies Hände gieng, Veranlassung zu heiterem Scherz und fröhlichen Gelagen. Doch es sollte noch besser werden. Aus der Ferne kam Boie die erste Kunde von Joh. H. Voß, auf welchen Professor Kästner aufmerksam machte, dem Voß im Juli 1771 einige Gedichte aus Ankershagen bei Neustrelitz für den Göttinger Musenalmanach zugeschickt hatte. Voß wandte schon früher dieser literarischen Zeitschrift Göttingens seine Aufmerksamkeit zu. Hier, an der im ersten frischen Werden aufgegriffenen Lyrik, wo vor¬ nehmlich eine strebende Jüngerschaft zu Worte kam, fand Voß einen Maßstab, Grad und Art seines eigenen Talentes zu prüfen. Es entspann sich nun ein Briefwechsel mit Boie, der für Voßens nächste Zukunft, ja für sein ganzes Leben entscheidend war. Doch des jungen Dichters Verpflanzung auf die Hochschule stieß anfangs auf Schwierig¬ keiten. Boies Brief vom October 1771 an Voß klingt nicht sehr ermunternd. „Göttingen sei nicht der Ort, wo man ohne alle Mittel fortkommen könne; die Collegiengelder wolle er ihm frei schaffen, und dann sei es möglich, mit hundert Thalern zu leben.“ Neben dem Hofrath Kästner interessierte Boie auch den Gelehrten Heyne, denn er als „einen der verehrungswürdigsten Menschen“ preist, die er kenne, für den Dichter und lud Voß ein, zu Ostern 1772 nach Göttingen zu kommen. Boie wandte sich nun, um einen Freitisch zu erhalten, mit Voßens Gedichten an den damaligen geheimen Kanzleisecretär Georg Brandes in Hannover, der darin „Zeugen des Genies und edlen Herzens“ erkennt und das Gesuch für Michaelis zu erfüllen verspricht. Selbst Ramler und Gleim, dem Boie die Versuche schickte, versprachen sich von dem jungen Dichter Großes. Boie erkannte in Voß einen Mann achtenswerten Strebens und kräftiger Gesinnung. Besonders durch die Bescheidenheit, mit welcher Voß die freundschaftliche Kritik seiner im Almanach veröffentlichten Gedichte aufnahm, und durch die kernhafte männ¬ liche Gesinnung, die der spätere große Homerübersetzer an den Tag legte, wurde Boie in einem solchen Grade für seinen neuen Schützling gewonnen, dass er zu Gunsten desselben die erwähnten Verbindungen mit Kästner und Heyne benützte, um Voß die Studien an der Universität zu ermöglichen. Auch den einzuschlagenden Studienweg berieth Boie mit Voß. „Es ist gut schreibt er am 4. März 1772, „dass man gleich anfangs alles nach einem Plane ein¬ leitet. Wozu treibt Sie Ihre Neigung am meisten? Haben Sie schon das Griechische getrieben, und wie weit sind Sie darin? Ich setze voraus, dass Sie sich unter Heynes Führung vorzüglich der alten Literatur widmen werden.“ So war durch die selbstloseste Unterstützung Boies unserem Voß im Mai 1772 der Weg nach Göttingen und damit zu der schönsten Lebenshoffnung geebnet. Und in der That, Göttingen war in Voß Lebensentwicklung ohne Frage die entscheidende Station, der Frühling seines Lebens nach vielen düsteren Jahren voll Kälte und Druck. Nicht bloß die Georgia Augusta und die Hauptvertreter der alten Literatur wirkten auf Voß; es war ihm dort noch Größeres vorbehalten. Der Göttinger Aufenthalt prägte Voß für Leben, Dichten und Wissenschaft die Signatur auf, die ihm wie ein un¬ zerstörbarer Charakter eigen blieb sein Leben lang. Dort hat sich Voß wissenschaftlich orientiert, aber auch in dem Gegensatz gegen seines Meisters (Heyne) Schule festgesetzt, der seine ganze Zukunft durchzieht;

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