26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

13 nach Göttingen zurück, nahm daselbst das Hofmeisteramt bei einem reichen Briten auf und wurde bald darauf der Führer der in Göttingen lebenden Engländer. Bei der umfassenden literarischen Thätigkeit fand jedoch Boic noch Zeit genug, mit den deutschen Bürgern der Georgia Augusta freundliche Berührung zu suchen und Freundschaft zu pflegen. Sehr innig verkehrte er mit den Grafen C. und F. Reventlow, die im Geistes¬ leben Deutschlands später eine nicht unwichtige Rolle spielten, ferner mit dem Mecklenburger Freiherrn Ch. A. v. Kielmansegge und dem Darmstädter Ernst Friedrich Vict. von Falcke. Während der Reise, die Boie zu Pfingsten des Jahres 1771 mit den Grafen Reventlow nach Braunschweig unternahm, erneuerte oder begründete er seine Bekanntschaft mit Lessing, Jerusalem, Ebert, Gärtner, Schmid und Zacharia in einem mehrtägigen lebhaften Umgang. Aber nicht bloß im Verkehr mit vielen jungen Adeligen, noch weniger in dem Verhältnis zu den britischen Wildfängen Göttingens liegt die geschichtliche Bedeutung der Göttinger Jahre Boies, sondern vorzugsweise in seinem Umgang mit einer Anzahl deutscher Jünglinge des bürgerlichen Standes, die sich ihm, dem erfahrenen Mann von Geschmack und feiner Bildung, anschlossen. Der begabteste unter allen war der schon erwähnte Bürger, zu welchem Boie erst nach seiner Rückkehr von der Berliner Reise in nähere Beziehungen trat. Durch eine lange Reihe von Jahren hat sich die Freundschaft zwischen Boie und Bürger bewährt, so grundverschieden beide Männer in Bezug auf ihren Charakter und ihre Naturanlage waren. Hier der weltmännische vorsichtige Boie, dort der studentischleichtsinnige, burschikose Bürger, der kreuz und quer über die Lebenslinie sprang; hier der strenge Beobachter der guten Sitten und dort das Spiel der Leidenschaften. Boies Freundschaft war durch zwanzig Jahre Bürgers Zuflucht. Bei ihm kehrte er mit seinen Wünschen und Sorgen, seinem Über¬ muth und Verzagen ein, freilich nicht immer mit dem offenen Bekenntnis des ver¬ lorenen Kampfes auf seiner, von unsäglicher Sinnlichkeit erfüllten Lebenslaufbahn. Durch diese Freundschaft Boies und die Wertschätzung desselben für Bürgers poetische Versuche sowie die aufrichtige Theilnahme Gleims musste sich der Dichter der „Lenore“, der vor kurzem noch unbeachtet und von allen Redlichen verlassen war, außerordentlich gestärkt und gehoben fühlen: ja noch mehr, er war der Gesell¬ schaft, der Ordnung und einer hoffnungsreichen Zukunft wiedergegeben. Es währte nicht lange, so erhielt er durch vermittelnde Freunde eine amtliche Stellung, die ihn zwar dem Kreise der Göttinger Freunde und Gönner entzog, aber doch nicht so sehr, um zwischen ihm, Boie und anderen Männer den freundschaftlichen Verkehr durch Briefe und Besuche aufzuheben. Als Boie mit Bürger befreundet ward, hatte er selbst den Traum von seinem künftigen Dichterruhme schon ausgeträumt. In ihm, den es immer stärker zur englischen Literatur hinzog, weil der Verkehr mit den jungen Briten Göttingens und die Bibliothek daselbst Antrieb und Mittel genug boten, in ihm, den Shakespeare mit frischer Gewalt erfasste, lebte die Neigung, verborgene Talente, die sich durch äußere hemmende Hindernisse schwer einen Weg zu bahnen vermochten, zu fördern. Darin gieng in der That Boies Hauptthätigkeit während seines ganzen Lebens auf. Ungefähr um dieselbe Zeit, als Boie mit Bürger bekannt wurde, näherte sich dem Begründer des Musenalmanach ein anderer junger Mann, der ein vollkommener Gegensatz zu Bürger genannt werden muss: der Hannoveraner Hölty. Hölty war eine stille, in sich gekehrte, träumerische Natur, die sich ohne Erkünstelung bald liebe und werte Freunde erwarb. Neben ihm erscheint auch fast gleichzeitig J. M. Miller von Ulm in Göttingen, ein Mann von weicher, sanfter, in sich gekehrter Gemüthsart, der dem genannten Hölty jedoch durch die Lebendigkeit und anmuthige Heiterkeit seines süd¬ deutschen Wesens weit überlegen war. Diese beiden neuen Freunde wurden durch Bürger mit Boie bekannt und waren ihm als frische und vielversprechende Kräfte

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