26. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1896

als er es war, in neid- und selbstloser Weise an sich zu ziehen und ihnen durch seinen Verkehr mit den vornehmsten Gesellschafts- und Gelehrtenkreisen nützlich zu werden. Dabei besaß Boie durch seine Kenntnis fremder Literaturen eine gewisse Universalität des Geschmackes und verband dabei auch ein freies und rücksichtsloses Urtheil. Durch solche Eigenschaften, die sich auch im Verkehr als rücksichtsvolle Urbanität, weltmännische Sicherheit und hilfsbereites Wohlwollen kundthaten, wurde Boie eine Zeitlang der Vertrauensmann der Poetenwelt. Und diese Stellung ward umso fruchtbringender für die strebenden Jünger der deutschen Muse, als Boie seine persönliche Aufgabe darin erblickte, zu vermitteln, zu versöhnen und gerade da die weitherzigste Toleranz zu üben, wo die Geister heftiger aufeinanderplatzten. Unter Boies Verbindungen war vornehmlich die mit F. W. Gotter aus Gotha, der um dieselbe Zeit seine Studien in Göttingen begann, die früheste und zunächst fruchtbarste. Gleiche Bildung und Neigung hatte diese beiden Männer, welche nicht so sehr den exacten Wissenschaften, als vielmehr der schöngeistigen Literatur, be¬ sonders des Auslandes, ihren Fleiß zuwandten, während ihrer wissenschaftlichen Be¬ thätigung an der Georgia Augusta bald fest aneinandergeknüpft. Beide theilten die gesellschaftlichen Verbindungen, beide fanden an dem gelehrten Kästner einen überaus freundlichen Gönner, beide fühlten sich seit 1769 im Heyne’schen Hause sehr wohl. Der vielbeschäftigte Philologe fand noch Zeit, sich mit den beiden strebsamen und wissensfürstigen Musensöhnen über das Leben der Alten und namentlich über die antike Kunst zu unterhalten, und auch seine geistvolle Gattin Therese belebte durch angenehme und bildende Gespräche den Kreis. Nach auswärts giengen Boies wertvolle literarische Verbindungen nach Jena, Halberstadt, Erfurt, besonders aber nach Braunschweig, wo er mit Jerusalem, Gärtner, Zacharia und anderen Literaten bekannt war, und dann nach Berlin, wo er mit vielen literarischen Notabilitäten befreundet ward und sich auch jüngeren Literaten näherte. Voll Theilnahme für die Blüte der deutschen Poesie, persönlich befreundet mit zahl¬ reichen, angesehenen Schriftstellern, kritisch unermüdlich im Feilen und Bessern ohne Fanatismus, ohne Eitelkeit auf seine poetischen Leistungen und dabei in einer leidlichen Wohlhabenheit, fühlte sich Ch. Boie berufen, ein Unternehmen nachzuahmen, wie es der kurz zuvor in Frankreich mit viel Beifall aufgenommene „Almanac des Muses war, der zuerst 1765 in Paris erschien und die gesammte Literatur der Musenalmanache eröffnet hatte. Dabei wurde Boie von seinem Freunde Gotter, einem Dichter der französischen Schule, der gleich diesem als Hofmeister in Göttingen lebte und sich bereits mit einigen poetischen Versuchen einen Namen gemacht hatte, kräftigst unterstützt. So erschien den 1769 bei dem Göttinger Buchhändler Joh. Ch. Dietrich der erste Jahrgang dieser für die Publication literarischer Erscheinungen bestimmten Zeit¬ schrift unter dem Titel „Musenalmanach für das Jahr 1770“, eine Blumenlese neuer gedruckter Gedichte, denen die Herausgeber auch eine Reihe von bisher ungedruckten hinzufügten. Boies Almanach sollte ein vollständig neutraler Boden sein, wo sich Wieland und Klopstock, Gleim und Herder mit gleicher Theilung tummeln konnten und jede Stimme im deutschen Dichterwald laut werden durfte. Es ist bezeichnend für die parteilose Richtung Boies, der sich jedem Schönen und Großen mit idealer Begeisterung zuwandte, wenn er in einem Briefe im Herbste 1773 seinen Grundsatz in den Worten zusammenfasst: „Söhne der Musen sind eines Volkes und haben Frieden!“ Von der Poesie, die im Musenalmanach zur Veröffentlichung kam, war außer den sehr spärlichen Beiträgen von Boie selbst und einigen kleineren Producten von Gotter und den zahlreichen Epigrammen Kästners freilich nicht viel in Göttingen entstanden. Dafür waren die angesehensten Vertreter der damaligen Lyrik, wie Klop¬ stock, Gleim, Ramler, Gerstenberg und Denis in der neuen Zeitschrift zu finden, um die sich auch kleinere, minder bedeutende Versemacher reihten. Obwohl die Edition

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