16 Entschlüssen fast ausschließlich von den Gegenspieler beeinflusst wird, in ihrem geduldigen Leiden gewährt. Immer aber soll sich die Hauptperson kräftig von den Gegenspielern abheben.) Bei der Iphigenie ist eine Scheidung in Spieler und Gegenspieler schwer durchführbar; besonders im ersten Theile, wo den Personen je nach ihrer Stellung ein doppeltes Ziel vorschwebt, die Verbindung der Iphigenie mit Achilles und ihre Opferung, ist die Stellung der Personen zueinander oft unsicher. Wenn auch das Streben Agamemnons hauptsächlich darauf gerichtet ist, seine Tochter zu retten, so gibt er, gedrängt durch die Umstände, doch zu leicht nach und erleichtert so ihre Opferung; ebenso bringen Achilles und Clytämnestra in vollständiger Unkenntnis der Absichten des Agamemnon durch ihre Handlungen häufig, anstatt zur Rettung der Iphigenie beizutragen, sie ihrem Untergange immer näher. Das meist vollständig passive Verhalten der Heldin des Stückes lässt jedoch deutlich erkennen, dass hier den Gegenspielern die eigentliche Führung überlassen ist und Iphigenie sich in ihren Handlungen nur nach ihnen richtet. Wird dieses Stück im einzelnen betrachtet, so ergibt sich, dass dasselbe den gewöhnlichen Bau eines fünfactigen Dramas aufweist. Der erste Act besteht aus 5 Scenen, wenn man unter Scene jenen Abschnitt des Dramas versteht, der durch das Auftreten einer neuen Person bedingt wird, und enthält die gewöhnlichen Theile desselben: die Einleitung, die sich in die Eröffnungs-Scene, auch stimmender Accord genannt, und die Exposition gliedert, das aufregende Moment oder den Beginn der Handlung und die erste Steigerung.) Bevor der Dichter uns mit den Verhältnissen der Personen seines Stückes bekanntmacht, sucht er unsere Aufmerksamkeit für die folgenden Mittheilungen zu erregen. Ein König, der seinen Diener weckt, während alle anderen noch schlafen, und jeden, der im verborgenen lebt, glücklich preist, muss auffallen. Noch mehr wird das Interesse wachgerufen durch die Frage des Arcas, seit wann er die Geschenke verachte, mit welchen ihn die Götter bisher überhäuft, und schließlich wird das Verlangen, die Erklärung für alle diese seltsamen Erscheinungen zu finden, aufs höchste gespannt, als Arcas in den Händen des Königs einen Brief erblickt und ihn fragt, von welchen Unglücksfällen er Nachricht erhalte, dass er sogar weine, und der König anfangs statt jeder Antwort nur die geheimnisvollen Worte spricht: Non, tu ne mourras point: je n'y puis consentir. Erst nachdem in dieser Weise der Zuschauer für Mittheilungen empfänglich gemacht ist und zugleich der ruhige Charakter dieses Stückes und die befremdende Stellung, welche Agamemnon einnimmt, in gelungener Weise angedeutet sind, folgt aufs innigste verbunden im Verlaufe der 1. und in der 2. Scene die Exposition. Diese enthält in ausführlicher Weise alles, was für den Zuschauer zum Verständnis nothwendig ist, und zerfällt in 2 Theile. Der erste Theil enthält die Nachricht von der unliebsamen Verzögerung, den der Aufbruch gegen Troja infolge der Windstille erfahren, von dem geheimen Opfer und dem Orakelspruche, dem Beschlüsse des Agamemnon, den Kriegszug aufzugeben, von der nachträglichen Überredung durch Ulysses und der Einwilligung zur Opferung der Iphigenie, der List des Agamemnon, um seine Tochter nach Aulis zu locken, von der unerwarteten Ankunft des Achilles und schließlich den abermaligen Gesinnungswechsel Agamemnons, der noch den Versuch macht, seine Tochter von Aulis fernzuhalten und sie vor dem sicheren Tode zu retten. Hier wird auch die Stellung, welche Eriphile, der Hauptperson des Gegenspieles, die noch nicht handelnd eingeführt wird, später zugedacht ist, wenigstens in wenigen Worten angedeutet. Die Exposition macht den Zuschauer nicht nur mit den Personen des Stückes vertraut, sie gibt zugleich eine kurze Charakteristik von ihnen, indem sie Handlungen derselben vorführt, welche für ihr weiteres Verhalten bezeichnend sind. Wie sie Aga- *) Freytag, II, 1. 2) Eb., II, 2.
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