11. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in Steyr, 1881

— 8 dem einstigen Vorhandensein des westlichsten Anfangsstückes nicht zu zweifeln ist. Schon das Verhältnis zwischen der Länge und Höhe zeigt uns, dass wir es mit einer sonderbaren Karte zu thun haben — und in der That, dieser Karte gegenüber müssen wir alle unsere Vorstellungen von Landkarten aufgeben, ja geradezu vergessen. Am besten kann man sich dieselbe vorstellen, wenn man sich eine Erdkarte in Mercators Projection auf Gummielastik im Verhältniss von 1:21 ausgedehnt denkt, so dass alles nord-südliche in west-stliche Richtung gezogen erscheint. Was immer nach nord-südlicher Richtung strebt, Meerestheile, Halbinseln, Bergzüge, Ströme und Straßenlinien (vgl. die Straße Pyhrn. Wels-Ernolatia- Ouilia mit der Wirklichkeit!), muss sich zu westöstlicher Ablenkung, zu Dehnung und Streckung in die Länge bequemen. Eine mathematisch astronomische Projectionsart ist überhaupt ganz und gar nicht berücksichtigt. Diese Eigenthümlichkeiten der Karte wollen nun einige Schriftsteller ihrem Vorbilde, der nach Art eines Frieses im Innern einer Rotunde gemalten Weltkarte des Agrippa zuschreiben, während andere diese Agrippische Karte für viel genauer halten und einen Zusammenhang mit der Pentingerischen Tafel leugnen. Nach diesen ist sie nichts anderes als eine Militärstraßen-Karte, sogar geradezu für das gemeine Volk im Heere geschaffen, daher nur die Straßen, die an denselben liegenden Stationen und deren Distanzen berücksichtigend. Ja sogar die Meinung ist ausgesprochen worden, dass die Hacken in den Straßenlinien, welche man für symbolische Bezeichnung der beigeschriebenen Stationen hält, nicht diese sondern die Terraingestaltung, Steigung und Fall der Straßen anzeigen, die Straßen somit in Profilzeichnung dargestellt wären. Ebenso entsprächen die Distanzangaben genau dem Schrittmaße, welches für Ebene und Gebir, ein verschiedenes ist; die Distanzen selbst sind angegeben in römischen Meilen, mille passuum, oder Leugen, 11 r. Meilen; eine römische Meile von 1000 Schritt war gleich 5000 römische Fuß; drei Meilen also 15000 Fuß oder eine Reisestunde, ebensoviel wie 2 Leugen. In diese Straßenkarte seien Berge, Flüsse, Völkernamen erst später eingetragen und durch den letzten Copisten noch manches christlich mittelalterliche dazu gekommen. Nach anderer Meinung sind in der Karte auch zwei Elemente zu unter scheiden, und zwar eine physische Karte, welche eine Abbildung des Orbis pictus Agrippas war, und in sehr unvollendeter Form die physische Geographie, die Namen der Gegenden und wichtigsten Völker und endlich einige Namen von Städten, alten Hauptorten der Völker, wie sie zur Zeit Kaiser Augustus bestanden, gab; — und eine darauf gezeichnete Routenkarte, welche vielleicht zur Zeit der Söhne Constantins des Grossen hineingezeichnet und mit Distanzangaben versehen worden. Bezüglich der Distanzangaben darf wohl hier gleich die Bemerkung angefügt werden, dass die gezeichnete Entfernung der einzelnen Orte durchaus nicht massgebend für die Distanz

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