14. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1986/87

EIN MATURAAUFSATZ Sehr geehrter Herr Thomas Bernhard! Die Österreicher mögen Sie nicht. Sie werden „Nestbeschmutzer" be- schimpft, und nicht einmal Politiker, die sich doch normalerweise mit der Aura der Polemik umgeben und niemals - nur im äußersten Notfall - zu harten und vor allem eindeutigen Worten greifen, scheuen davor zurück, Ihnen vorzu- schlagen, - und das kommt einer Belei- digung schon sehr nahe - ein psychia- trische Anstalt aufzusuchen. Die österreichische Öffentlichkeit, ange- heizt, zum Beispiel durch einen skandal- umwitterten Prozeß, stürzt sich vor al lem dann gierig auf ihre Bücher, wenn sie durch dieZensur hierzulande nichtmehr erscheinen , und je lauter d_as Geschrei um ihre So-gegen-die-Osterreicher- haßerfüllte-Person" ist, umso reißender ist der Absatz Ihrer literarischen Werke. Sie, Herr Bernhard, haben es tatsächlich geschafft, ganz im Gegensatz zu eini- gen anderen hervorragenden Literaten, bereits zu Ihren Lebzeiten berühmt zu werden . Ihre Bücher, die sich keineswegs da- durch auszeichnen, angenehme Ein- schlaflektüre zu sein , sind geprägt von ständigen Wiederholungen in leicht ab- gewandelter Form und vollgestopft mit Wörtern wie „ekelerregend " oder „absto- ßend", Wörter, die nichts anderes bewir- ken , al s dem Leser, dessen Empfind- samkeit für alles Negative bereits durch ■ die „memento mori" -Thematik gestei - gert ist, denselben Ekel zu injizieren, den wahrscheinlich auch Sie beim Schrei- ben des jewei ligen Textes empfunden haben. Ich nehme an , daß Sie sich der Tatsache bewußt sind , daß sich Ihre Leser nur des- halb in Ihre Lektüre vertiefen , um sich in Ihren Beschimpfungstiraden und Wut- anfällen zu baden, denn nichts kann manchmal für eine arme, gequälte Krea- tur so ergötzlich sein , wie all das, wozu man leider unfähig ist , es sich von der Seele zu schreiben, endlich einmal in Worte gefaßt vor sich zu haben . Doch ist Ihre „Die-ganze Welt-ist-gegen- mich -und - ich - bin -gegen - die -ganze- Welt-Einstellung" nicht zu Ihrer Masche geworden? Kann es nicht sein , daß die Quelle Ihres Zornes versiegt ist, und Sie stochern dennoch in Ihrer kalten Wut herum wie in einem kaltgewordenen Essen, um Ihre treue Leserschar bei der Stange zu halten? Sind nicht Ihre ständi - gen Beschimpfungstiraden von einem künstlerischen Stilmittel zu einem alten Gag geworden, ähnlich wie vieleSchnul- zenromanschreiber ihre geschmack- losen Geschichten mit dem bewährten Sex and crime ''. Trick aufzumöbeln ver- ;uchen? Ist der für Schriftsteller sprich- wörtliche „innere Drang zu schreiben" für Sie letztendlich zweitrangig gewor- den , und produzieren Sie nur noch künstl iche Wutanfälle, um weiterhin im zwar durch diverse Skandale trüben , aber dennoch hellen Licht der Öffent- li chkeit zu stehen? Sie lehnen es ab, öffentliche Lesungen zu halten. Vielleicht aus dem durchaus plausiblen Grund, nicht mit Ihren schrift- stel lerischen Kunstwerken „hausieren gehen" zu wollen, Sie nennen es sogar „sich prostituieren". Oder haben Sie Angst , vor dem Publ ikum, das bewun- dernd und gespannt an Ihren Lippen hängt, weich zu werden? Daß Sie, ehe Sie es sich versehen , Fragen aus dem Publikum ausführlich beantworten, auf höfliche Bitten hin, Widmungen in Ihre Bücherschreiben könnten? Daß schließ- lich Ihr Image als Nestbeschmutzer zu- sammenfiele wie ein Kartenhaus, - denn all e Welt weiß, daß ein „zahmer Bernhard" kein Aufsehen erregt und da- her nicht mehr gelesen wird? Vielleicht , und ich weiß, das ist eine Un- terstellung meinerseits, verschanzen Sie sich deshalb auf Ihrem Bauernhof in Ohlsdorf , um dort Ihr Ego zu pflegen , das Sie zwingt, auf al le Welt zu schimp- fen , damit diese beschimpfte Welt Sie weiterhin beachtet. Welche nun auch immer die Gründe für Ihre Beschimpfungstiraden sein mö- gen , das Produkt Ihres natürlichen oder künstlichen Zorns ist so gewaltig , daß auch ich nicht umhin kann ,weiterhin Ihre Bücher, zwar mit einem Gefühl des Ab- scheus und des Ekels, aber dennoch zu verschlingen. Hochachtungsvoll Martina Fischlmayr I 8 D 72 ------------- -----

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2