14. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1986/87
BEI EINER SCHULARBEIT Vor der Mathematikschularbeit sitzt Tho- mas aus der 3 A in seiner Bank und ver- sucht krampfhaft , sich die Formeln der Flächen der Dreiecke einzuprägen. Schon läutet es, und der Lehrer betritt den Klassenraum . Die Zetteln austei- lend, brummt er: ., Laßt die Papierln lie- gen! Wehe, wenn ihr sie früher umdreht, als ich sage'" Einige der Schüler bibern vor Angst und versuchen verzweifelt, sich an die Konstruktionsgänge der einen oder anderen schwierigen Kon- gruenzabbildung zu erinnern . Leider gelingt es nicht allen. Eben hat Thomas seinen Zettel bekommen . Bei ihm geht es um alles oder nichts: Entweder er schafft einen Vierer, dann bekommt er diese Note auch ins Zeugnis, oder er muß mit einer Nachprüfung rechnen. Des Mathematikprofessors „Zetteln um- drehen! " reißt Thomas aus seinen düste- ren Gedanken, die so lauten: .,Sitzenblei- ben, Krach zu Hause, Fünfer, Fünfer, Fünfer ... '" langsam dreht er den alles entscheidenden „Wisch" um. Der Bub sieht auf die Beispiele herab: ., Das kann ich, - oh Gott - diese Formel - und was um Himmels willen bedeutet T 11 0D1 und wie geht die verfli xte Formel der Fläche eines rechtwinkeligen Dreiecks: A = a.b oder aha? nein eben hab' ich's 2 --z- · ' noch gewußt: A eines Dreickes = J:l.s 1 „ 7 . Zögernd beginnt Thomas mit dem er- sten Beispiel. Verzweifelnd gibt er das dumme Dreieck schließl ich auf. Vorsich- tig stößt der Bub seinen Nachbarn, einen sonst hilfsbereiten Musterschüler, an : .,He Aloi s, wie geht die Formel des rechtwinkeligen Dreiecks?" Der Ange- sprochene zuckt aber nur die Achseln und hüllt sich in Schweigen. „Nun ist alles aus! " denkt Thomas. Aber noch kann er sich beherrschen und pro- biert al le Beispiele der Reihe nach durch . Al le mißlingen. Blind vor Wut stampft er mit dem Fuß auf. .,Und dabei habe ich mich schon so auf ein unver- patztes Zeugnis gefreut! Ach , ach , but that 's life!" beendet Thomas gefaßt seine Gedanken. Der geplagte Schüler macht noch einen Versuch . Er wi ll nicht gelingen. Schließ- lich hört er auf! ., Es hat ja doch keinen Sinn! " denkt der 13jährige und ver li ert bei diesem erkenntnisreichen, aber total entmutigenden Gedanken seine Selbst- beherrschung . Sein Kopf sinkt auf die ausgebreiteten Arme, und er beginnt haltungslos zu schluchzen. Der Lehrer geht durch die Bankreihen. Als er den niedergeschlagenen Schüler erblickt, murmelt er ein gutgemeintes „Na, na! " zu ihm herunter. Der Bub schaut auf und flüstert: ., Ich kenn' mich · nirgends aus und dabei hab' ich so viel gelernt. Aber ich habe lange gefeh lt. Warum muß ich diese Schularbeit mit- machen?" Überrascht blickt der Lehrer in das verweinte und anklagende Jun- gengesicht, das ihn fragend anbl ickt. Er sucht nach einer Antwort: .,Ja,weil du auf einer Zwischennote stehst!" sagt er dann . Sein Kopf sinkt zurück , und gera- de wil l er wieder zu schluchzen begin- nen,alsihnAloisanstößt und einen Zettel herüberschiebt, der mit Formeln und Konstruktionsgängen bedeckt ist. Dankbar und unsäglich erleichtert be- ginnt der vorher nochWeinende zu rech- nen. Jetzt geht alles schnell von der Hand. Als der Professor wieder durch- geht , sieht er einen emsig rechnenden Thomas an Stell e eines verheu lten Jun- gen. Der kleine Zettel wird längst nicht mehr gebraucht. Mit der ersten Formel ist dem Schül er al les wieder eingefallen. Der Lehrer durchsucht alles, kann aber keinen Schwindelzettel entdecken. So glaubt er an einen Gedankenblitz sei- nes Schü lers. Der noch immer rechnen- de Bub wird aus dem Rechnen heraus- geschreckt „ l angsam an das Abgeben denken!" hört er die Stimme des Pro- fessors hinter sich. Kurz danach ist er fertig . Erleichtert gibt er sein Heft ab und geht aus dem Klassenraum auf Alois zu. Iris Karg! I 3 B ---------------------- 46 - ---------------------
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