14. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1986/87

KUNST - ARBEIT Kunst und Arbeit - zwei Begriffe, die sich ausschließen? Arbeitet ein Künstler für die Gesellschaft? Werden seine Pro- dukte gebraucht? Gibt es arbeitslose Künstler? Zu diesen Fragen möchte ich in den folgenden Zeilen einige Gedan- ken formulieren. .,Arbeitslos" ist kein Beruf. Die Arbeits- kraft eines Menschen wird nicht mehr gebraucht, Wirtschaft und Produktion laufen ohne ihn. Die Arbeitssuche be- ginnt, bei längerer Dauer nehmen Unzu- friedenheit , leere und das Gefühl der Minderwertigkeit zu. War der berufliche Erfolg allein Lebensinhalt, lastet die neue Situation noch schwerer auf dem einzelnen Menschen. Die verordnete Untätigkeit macht ihn zum „Almosen- empfänger ", der Weg zum Arbeitsamt kostet jedesmal Überwindung. Die fi - nanzielle Not und das Gefühl ,ein Bittstel- ler zu sein, könnten den Arbeitslosen durch ein von der Mehrheit der Bevölke- rung akzeptiertes Basiseinkommen ge- nommen werden. Dieses „Grundgehalt" müßte jedem Erwachsenen ausbezahlt werden , gleichgültig ob und wie lange er in den Arbeitsprozeß integriert war. Hel- fen würde diese soziale Einrichtung vor allem jungen Frauen und Männern. Allein deshalb sehe ich ein Umdenken in dieser Richtung als zukünftige gesell- schaftliche Notwendigkeit. Finanzielle Not und soziale Diskriminierung könn- ten so durch erhöhte staatliche Geld- II] mittel wirksam bekämpft werden, wie uns das Beispiel der Niederlande bereits gezeigt hat. Jetzt bleibt noch ein Pro- blem - die Ausgrenzung der „Untäti- gen" aus jenen Prozessen , die unsere Gesellschaft gestalten. Künstler sind nie arbeitslos, auch wenn sie mit ihrer Arbeit kein Geld verdienen. „Jeder Mensch ist ein Künstler", sagte uns Joseph Beuys und verstand dies nicht nur in Bezug auf die Produktion von Bildern , Objekten und Skulpturen. Die .,Soziale Plastik" sah Beuys als Umset- zung gedanklicher Energie in dynami- sche gesellschaftliche Prozesse. Jeder Mensch sol l die Gesellschaft , den Staat , unsere Ordnung kritisch betrachten, durchschauen , Fehler finden , neue Wege und Möglichkeiten suchen und diese mitteilen, auch in verschlüsselter, symbolischer Form, wie dies zum Bei- spiel in der Kunst üblich ist. Das Kunst- werk soll den Betrachter zu gedankli- cher Arbeit anregen und kann so zum Ausgangspunkt neuer Ideen und Ent- wicklungen werden. Es macht den Be- trachter zum Künstler, wenn dieser seine eigenen kreativen Kräfte entdeckt und entwickelt. Je komplexer ein Kunstwerk ist, desto schwieriger gestaltet sich der Versuch einer Interpretation, desto här- ter wird die gedankliche Arbeit. Zeichen und Symbole, von einem Künstler ge- setzt , sind , wie die Reflexionen und 1nterpretationen durch die Betrachter, subjektiv. Beides, Herstellung und Be- trachtung von Kunstwerken , verlangt persönlichen Einsatz, Geduld und Kraft- anstrengung. Wird es aber gleichzeitig auch lustvoll erlebt , könnten das Denken und folgend das Mitgestalten gesell - schaftlicher Prozesse helfen, Isolation und leere als Folge von Arbeitslosigkeit zu überwinden. Die Ausgrenzung aus der industriellen Produktion oder der Verwaltung sollte nur als zeitweiliger Zu- stand erlebt werden , der von einer Be- wertung der Persönlichkeit durch sich selbst oder durch andere abgehoben ist. Kunst, wie sie auch Beuys verstand, for- dert den Betrachter auf, an sich zu arbei- ten , eigene kreative Kräfte zu entfalten, Probleme zu erkennen. Sie fordert Auf- nahmebereitschaft und Aufmerksam- keit. Jeder ist eingeladen zum Gedan- kenaustausch und zur Mitarbeit. Dazu ist auch die Bereitschaft notwendig zuzu- hören, die Ideen anderer Menschen auf- zunehmen und zu überdenken. Dies gilt besonders für hierarchisch strukturierte Institutionen, auch für das Verhältnis Lehrer - Schüler. Hemmschuhe in diesem Bereich sind Aversionen gegen Neues, Unbekann- tes,Unverständliches oder nicht Vertrau- tes. Wenn Offenheit fehlt, die Intuition verschüttet ist, sinkt auch die Aufnahme- bereitschaft . Bestehende Zustände wer- den betoniert , Künstler oft als „Spinner'' verdammt. Das Aufbrechen von Zäunen zwischen den Menschen unterstützt die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. Kunst ist also auch Arbeit an der eigenen Person, Erforschung und Interpretation der gesellschaftlichen Bedingungen . Diesen Beitrag kann und soll jeder lei- sten , der Beschäftigte und der zeitweilig ------------------- --- 29 - ---------------------

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