13. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1985/86

Deutsch DICHTERLESUNG ALOIS BRANDSTETTER Am 21. Mai 1986 las der bekannte oberösterreichische Autor vor 300 Zuhörern in der Aula unserer Schule. Frau Mag. Ernestine Holub hatte das Kunststück fertiggebracht, den vielbeschäftigten Schriftsteller und Wissenschaftler nach Steyr zu bringen. Man kannte bisher seinen Alois Brandstetter als einen, der das Wort als Waffe verwendet, um hinter Vordergründigem Abgründiges zu entdecken , als einen, der ob unserer österreichischen Gemütlichkeit recht ungemütliche Saiten aufzieht, kurzum als einen, der uns in nie enden wollenden querulantischen Monologen gesellschaftsmoralische Lektionen erteilt. - Mittlerweile ist aus dem ehemals bärtigen Moralisten ein wohl bestallter Hochschulprofessor und glücklicher Familienvater geworden. Diese menschlich so positive Entwicklung schlägt sich auch im Schreiben nieder: Aggressiv-Satirisches wandelt sich zu Mild-Ironischem , sein warmer Humor sol idarisiert sich mit unseren Schwächen. Brandstetter verarbeitet unseren Alltag mit zunehmender wissenschaftlicher Akribie, liebevolle Toleranz jedoch entschärft die Spitzen seiner scharfsinnigen Beobachtungen. Hinzu kommt seine intensive Beschäftigung mit der mittel_alterlichen Literatur, die das Maßhalten als eine der höchsten Tugenden ansieht. Brandstetter gelingt es, Beruf, Familie und Schreiben harmonisch zu verbinden und belebende Querverbindungen herzustellen. Sein Versenken in ritterliche Lebensformen führt fast zur Identifikation mit den Helden jener Zeit, jedenfalls zum reizvollen Spiel der wechselnden Ebenen. So geht es in Brandstetters neuem Roman „Die Burg", aus dem er eine episch breite Passage las, einerseits um einen Universitätsassistenten, der sich habilitieren will und das gesellschaftliche Intrigenspiel über sich ergehen lassen muß, an'dererseits auch um jenen Parzival, der sich schon damals im gesellschaftlichen „Kampfspiel" erproben mußte. Man folgte schmunzelnd der treffsicheren Gesellschaftsanalyse und erriet zwischen den Zeilen die autobiographischen Bezüge. - Sehr gefiel auch der eingangs gelesene Text „Feriae, feriarum". Das Publikum hörte ihm aufmerksam und lernbegierig zu. Und es ist anzunehmen, daß Brandstetter so verstanden wurde, wie er es wünscht verstanden zu werden, nämlich wie einer der feinsinnigen mittelalterlichen Autorenkollegen. Dazu ein Zitat aus„ Der Burg":,, ... es handelt sich bei den alten Autoren um keine laute Witzlustigkeit , aber gerade die feine Klinge, die sie führen, macht ihren Humor so fein, fröhlich und hintergründig." Angesprochen auf die Kurzprosa seiner jungen Jahre, zeigte sich Brandstetter eher distanziert, er war aber schließlich · bereit, zwei Texte aus der „Überwindung der Blitzangst" zu lesen; sie wurden ebenfalls herzlich und dankbar aufgenommen. Mag. Marlene Krisper Große Dichterlesung in unserer Schule Foto: Dr Forsthuber ----------------------52 - ---------------------

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