Gedanken Nach all diesen Zitaten und der Geschichte ist mir zwar klar, wie ein guter Unterricht nicht ausschauen soll; aber wie soll er ausschauen? Der Pauker, der sich weder mit sich selbst noch mit seinen Schülern auseinandersetzt, auf der einen Seite - der „kreative Psychofreak" mit den neuen Lehrplänen und den schnell herausgestampften, flotten und natürlich kommunikativen Arbeitsbüchern auf der anderen Seite. Vermutlich bleibt es einem gar nicht erspart, alle Fehler, die gemacht werden können, zu machen, bevor der gangbare Weg sichtbar wird. Als ich mich mit dem eigenen Innenleben zu beschäftigen begann und an verschiedensten „Psychogruppen" teilnahm, l_ieß ich meine Schüler unmittelbar an meinen Erfahrungen teilhaben. Ich bemerkte aber bald , daß nicht jeder Schüler bereit war, sich vor der Klasse und mir zu offenbaren und daß nicht jeder Schüler jeden Tag dazu fähig war. Schü ler machten mich auf meine angemaßte Machtposition aufmerksam. Ich würde mit der Autorität des Lehrers Seelen-Striptease erzwingen. In den Gesprächen, Gruppenspielen und Aufsätzen. Manchen Schülern half das gewiß, es freute sie. Andere konnten ihren Unmut formulieren , andere verfielen in eine dumpfe, feind selige Abwehrstellung, die ich mir nicht erklären konnte. Die „Psychobegeisterten" machten mir klar, daß es natürlich nicht statthaft sei, die Schüler seelisch aus der Reserve zu locken und selbst bedeckt zu bleiben , und sie zogen mich mit ins Geschehen. Da konnte ich plötzlich die Zurückhaltenden verstehen, verspürte selbst innere Abwehr und wurde vorsichtiger. Mir wurde klar, daß meine Rolle als großer Psychotrainer eine gefährliche Machtposition bedeutete. Der Spieler, der nach Belieben an den Fäden der Marionetten zieht. Sicher kein Erziehungsziel. Und jetzt die vielen „Arbeitsbücher" mit kommunikativem Touch, besonders in Deutsch und Religion, die unvorbereiteten Klassen und Lehrern absolut unverdauliche Psychospiele, genannt Kommunikationstraining, unterjubeln wollen. Trotzdem: Die Alternative kann nicht heißen, den Schülern nur ,,Stoff" zu vermitteln. Der Weg , den ich gehen will, schaut so aus: Realistisches Einschätzen meiner eigenen Person und konsequente Arbeit daran. Wieviel Zivilcourage habe ich? Wie gut kann ich, wenn ich wütend bin, mit einem Schüler reden? Habe ich Machtgelüste im Umgang mit Menschen? Erst wenn ich mir selbst diese Fragen beantwortet habe, kann ich es wagen, den Schülern von Zivilcourage zu erzählen, kann ich ihnen zeigen, wie Kommunikation ablaufen soll. Und erst wenn ich meine Machtgelüste im Griff habe, kann ich die Klasse echt entscheiden lassen, wo wir am Wandertag hingehen. Was hilft mir das schönste Ergebnis eines gruppendynamischen Spiels, wenn mich die Schüler im realen Leben unglaubhaft erleben. Oder wie zynisch ist es doch, wenn die Schüler in einem Planspiel die Probleme der dritten Welt lösen und sich dann selbstzufrieden einbilden, sie hätten wirklich etwas für die dritte Welt getan. Ich will meine Schüler erleben lassen, wie schön Zusammenarbeit und Solidarität sein können. Aber wie gut kann ich mit anderen Lehrern zusammenarbeiten? Und darf ich jegliches Konkurrenzdenken, den Wettbewerb, von ihnen fernhalten? Wie überrascht werden sie dann in ihren Berufen sein. Maße ich mir nicht eine geradezu göttliche Funktion an, die Welt durch meine Schüler zu verändern? Mag. Josef Preyer ---------------------- 22 - ---------------------
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