13. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1985/86

II zerbrochenen Glases schreckt ihn auf. Er sieht den Vater auf dem Boden sitzen. Seine Hand ist rot. Kirschsaft? So sieht es ·der Bub: ,,Sie (die Mutter) hat die Kirschen doch extra vors Fenster gestellt. Und er ißt mir die ganzen Kirschen auf". Darin zeigt sich die Beziehungslosigkeit zwischen Sohn und Vater. So wie in der Kurzgeschichte „Das Brot" reden die Menschen aneinander vorbei. 1hre Gefühle finden nicht zur natü rl ichen Sprache. Für den Sohn ist es eine fixe Idee: Der Vater hat ihm die schönen kalten Kirschen gestohlen. Und er hat das Fieber' Die Wahrheit ist anders. Der Vater ist hingefallen, als er ihm die Kirschen ans Bett bringen wollte. Die Glasscherben haben seine Hand zerschnitten. Sie blutet. Doch gerade in dieser Gegenüberstellung deutet sich die existenzielle Hilflosigkeit an. Vertrauen steht gegen Mißtrauen. (Daß der Bub Fieber hat, mag als Entschuldigung gelten, verdeckt aber nicht den grundsätzlichen Zweifel). Als der Bub schließlich die wahre Situation erkennt, steckt er den Kopf tief unter die Decke. Dieses Bild am Schluß der Kurzgeschichte überläßt die Deutung dem Leser. Kein Wort der Erklärung, kein Aussprechen des Gefühls. Hat das Fieber den Kranken zu schwach gemacht? Es geht tiefer. Es ist schwer, sich einzugestehen, jemandem unrecht getan zu haben. Das Wort wäre Erleichterung, Erlösung. Die Decke über dem Kopf bringt nur neue Bedrückung, Belastung, Beklemmung. In eine ganz andere Welt führt uns die Kurzgeschichte „Die Burg der Kinder" von Werner Klose. Siebzehn Kinder spielen sorglos auf der Sandbank vor der Küste im Meer. Auch Elisabeth, die Kindergärtnerin, genießt einmal die Ruhe und die Sonne. Als sie auf die Uhr sieht, muß sie erkennen, daß sie stehengeblieben ist. Da wird es ihr klar. Die Flut kommt. Es ist zu spät, durch die Priele zu waten oder auf der Sandbank die Priele zu umgehen. Sie treibt die Kinder zur Eile an , aber die sind noch immer sorglos und zu langsam. Sie werden es nicht schaffen! Die Flut wird ihnen den Weg absperren. Der letzte Ausweg: Sie muß an Land schwim13 men, solange die Strömung nicht zu stark wird, und ein Boot holen. Das will sie den Kindern schmackhaft machen. Bis dahin müssen sie in der Burg auf der Sandbank bleiben. Dort sind sie sicher. Nur einem vertraut sie die Wahrheit und ihre eigene Angst an: Rolf, einem stillen Jungen, der gerne all ein abseits von den lärmenden Kameraden spielt, der älter ist als die anderen, der aber nicht zum Führer geboren ist. Rolf weiß, welche Gefahr auf sie zukommt. Elisabeth lädt Rolf eine schwere Verantwortung auf „Laß Erwin kommandieren, aber du mußt aufpassen, daß die Kinder beisammen bleiben, und du darfst den anderen nicht sagen, wie gefährlich es ist!" Diese Aufgabe nimmt Rolf sehr ernst. Aber sie ist nicht leicht. Die Buben hänseln ihn, weil die Lehrerin mit ihm gesprochen hat; Erwin beginnt zu raufen, weil er sich beim Kommandieren nicht dreinreden läßt. Nach einem heftigen Wortwechsel schlägt Erwin Rolf eine blutende Wunde, doch der hält durch. Die Flut kommt bedenklich näher. Nebel fällt ein. Sind sie verloren? Auch Rolf hat Angst. ,,Er dachte daran, daß vor zwei Jahren ein Mann im August auf der Sandbank ertrinken mußte, weil er sich im Nebel verirrt hatte. Davon wußten aber die anderen nichts. Und Rolf schwieg." Es gelingt ihm , die Kinder in der Sandburg beisammen zu halten. Um ihnen die Angst zu nehmen, läßt er sie bis 30 zählen, dann folgt ein lautes Rufen: ,,Haaloool" Rolf drängt sie, still zu sein. Da glauben sie selbst, Stimmen zu hören. Noch einmal rufen sie. ,,Rolf wurde den eigenen Schrei nicht los. Er lag auf dem Wall; zitternd und schluchzend lag er und starrte zum Rand der Sandbank, auf die sich der Schatten des Bootes aus dem Nebel schob." Daß die Kinder gerettet sind, bleibt unausgesprochen. Andeutung in der Form des Nebensatzes bleibt auch das Boot, das die Rettung bringt. Was unaufdringlich und trotzdem eindrucksvoll als Schluß der Kurzgeschichte weiterwirkt, ist die Gestalt Rolfs: Kein gefeierter Sieger, sondern zitternd

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