13. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1985/86

ken über den späten Schritt ... Durch die dunkle Vorstadt tappte er zurück. Sterne waren nicht da." Zuhause hat seine Frau ein Kind gekriegt. Es ist kalt. ,,Der Mann legte das mürbe, süße Holz in den kleinen Blechofen. Da glomm es auf und warf eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer. Dies fiel hell auf ein winziges rundes Gesicht und blieb einen Augenblick." Für den Mann bedeutet dieser Lichtschein aber nur eine neue Herausforderung: ,,Nun hat sie ihr Kind gekriegt und muß frieren, dachte er, aber er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte. Als er die Ofentür aufmachte, fiel wieder eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht. Die Frau sagte leise: Guck mal, wie ein Heiligenschein, siehst du? Heiligenschein1 dachte er, und er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte." Zwei Bilder stehen kontrastierend nebeneinander: das Bild der Handvoll Licht und das Bild der geballten Fäuste. Das , Licht aus dem Blechofen fällt hell auf das kleine Gesicht, aber es kann das Zimmer, die Welt nicht erwärmen. Und die Fäuste s·ind umsonst geballt, weil der Mann nicht weiß, wen er für das ganze Elend zur Verantwortung ziehen soll. In dieser Situation, die die Menschen sprachlos macht, geschieht etwas Besonderes: Drei Männer kommen aus der Dunkelheit. Sie haben Licht gesehen, und da sie lernen mußten zu überleben, treten sie in das Zimmer, um sich hinzusetzen. Es sind Heimkehrer, denen der Krieg fast alles genommen hat. Die Hände des einen sind erfrorene Stümpfe, der zweite hat Wasser in den Beinen, der dritte zittert nur mehr in seiner Uniform. Doch als sie das Kind sehen, wachsen sie über sich hinaus. Der eine nimmt ein Stück Holz aus dem Sack: ,,Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran geschnitzt. Für das Kind! Das sagte er und gab es dem Mann." Und der andere nimmt aus dem Pappkarton zwei gelbe Bonbons. ,,Für die Frau sind die." Was sie verschenken, der Esel und die zwei Bonbons, ist für sie wie ein Lebenswerk oder der Inbegriff des Kostbaren, (Bonbons und Schokolade hat es während des Kriegs nicht gegeben). Sie schenken her, was sie wie einen Schatz hüten „und steigen wieder in die Nacht hinein". Gerade das aber macht den Mann, der ihnen nachsieht, fassungslos. ,,Sonderbare Heilige, sagte erzu seiner Frau. Dann machte er die Tür zu. Schöne Heilige sind das, brummte er und sah nach den Haferflocken." Der folgende Satz ist bekannt, aber er erscheint in der sprachlichen Form reduziert und verkürzt: ,,Aber er hatte kein Gesicht für seine Fäuste". Noch ist alles in ihm aufgewühlt. Die geballten Fäuste sind der Ausdruck mühsam zurückgehaltener Aggression. Doch sie zerbröckelt im Bewußtsein, daß andere noch ärmer sind als er, und daß diese alles hergegeben haben, was sie besaßen. Es bleibt das Bild der Nacht ohne Sterne. Aber am Ende der Kurzgeschichte steht, durchaus im Umfeld der inneren Sprachlosigkeit des Mannes - nicht so sehr der Frau - , der Lichtblick: ,,Und vom Ofen her fiel eine Handvoll Licht hell auf das kleine schlafende Gesicht". Der Schluß der Kurzgeschichte bleibt offen. Es ist kein billiges Happy End. Denn wer genau liest, fühlt, daß das Licht nicht mehr als eine Handvoll ist. Und das Licht fällt hell auf das Gesicht des Kindes, das schläft. Es ist nicht gesagt, daß die Welt besser wird, daß Menschen wieder miteinander reden und sich in die Augen sehen können. Es ist in die Hand des noch schlafenden Kindes gelegt, aus der Welt der Trümmer eine lebenswerte Welt zu machen. Wir wissen, wie es weitergegangen ist. Freiheit, wirtschaftlicher Aufschwung und sozialer Friede haben uns sorglos gemacht. Aus dem kleinen schlafenden Gesicht ist heute die Generation der Vierzigjährigen geworden, die den Wohlstand genießen können, deren Verantwortung aber nicht geringer geworden ist. Borcherts Kurzgeschichte ist Vermächtnis und Herausforderung zugleich. Auch der zweite Text„ Die Kirschen" ist ein echter Borchert. Die Situation erscheint einfach. Ein Bub hat Fieber. Das Klirren 12 ----------------------

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