13. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1985/86

13. JAHRESBERICHT 85/86

~ ~ Herausgegeben von der Schulgemeinschaft des Bundesgymnasiums Steyr. Geschäftsleitung: Mag. Franz Forster. Redaktion: Mag. Josef Preyer und Mag. Wolfgang Kodada. Graphische Gestaltung: Mag. Wolfgang Kodada. Vertrieb: Mag. Günther Spruzina. Anzeigenwerbung: Mag. Karl Pöllhuber. Druck: Vereinsdruckerei Steyr, Stadtplatz 2. Umschlagfoto: Berliner Mauer 1985 / Hannes Krisper / 8 C. 2

[3 lnhaltsverzeich nis Impressum 2 Serviceteil für Eltern und Schüler Vorwort des Direktors 6 Die AHS auf einen Blick 79 Probleme der Erstklaßler 84 Personelles 4 Schulchronik 88 Wilde Kinder Reifeprüfung Lehrerbeiträge 7 Ubersicht 90 Schülerbeiträge 24 Schriftliche Reifeprüfung 91 Berichte der Arbeitsgemeinschaften Maturanten-Berufsabsichten 101 Bildnerische Erziehung 44 .Schülerverzeichnis 103 Deutsch 52 Statistik 121 Englisch 57 Französisch 58 Leh rkörper Informatik 59 Lehrerfoto 122 Leibesübungen 62 Lehrerverzeichnis 124 Musikerziehung 70 Elternverein 129 Physik 74 Schulgemeinschaftsausschuß 129 Religion 77 Aktionen 78 Altmaturanten 130 Schulbeginn 1986/87 131 3

II 4 Personelles Dr. Carola Almauer in Pension Wenn Frau Oberstudienrat Dr. Carola Almauer mit diesem Schuljahr ihre Tätigkeit an unserer Schule beendet, so erscheint es unpassend, von ihr zu behaupten, sie trete in den „wohlverdienten Ruhestand". Sie wird eine sehr jugendliche Pensionistin abgeben! Ein kurzer Rückblick auf die wichtigsten Stationen und Abschnitte ihres bewegten Lebens: Carola Almauer hat 1944 an der Lehrerbildungsanstalt in Linz maturiert, nach kurzer Lehrtätigkeit an der Hauptschule in Grieskirchen die Ergänzungsprüfung in Latein abgelegt und hierauf Englisch und Leibesübungen an der Universität Innsbruck studiert. 1950 schloß sie das Lehramt ab und promovierte in Englisch und Kunstgeschichte. Nach ihrem Probejahr am Eisenhandgymnasium in Linz unterrichtete sie fünf Jahre am BRG Steyr am Michaelerplatz, dann bis 1961 am BRG Vöcklabruck. Nach der Geburt ihrer Tochter blieb Frau Dr. Almauer zwei Jahre daheim, um dann 1963 ihre Tätigkeit am BRG Steyr wieder aufzunehmen. Seit der Teilung der beiden Schulen gehört sie dem Lehrkörper des BG Werndlpark an. Frau Dr. Almauer hat einen Beruf ausgeübt, der ihr auf den Leib geschrieben ist. (Obgleich sie bewiesen hat, daß sie auch anderen Arbeiten gewachsen ist: 1945 fungierte sie an der amerikanischen Militärregierung als Dolmetsch, einige Jahre führte sie neben ihrer Lehrtätigkeit ihren elterlichen Betrieb, ein Sägewerk). Es wird selten einen Lehrer geben, der so konstant freudig unterrichtet und Generationen von Schülern mitreißt. Dr. Almauer ist selbst begeisterungsfähig und überträgt ihrenSchwung auf ihre Umgebung - in den Klassen,im Turnsaal und im Konferenzzimmer. Und sie ist immer hilfsbereit, nie müde, nie fad, nie faul, immer fröhlich - sie wird uns sehr fehlen! Sie wird nicht in den Ruhestand treten! Sie wird den Ruhestand beiseite treten und mit Schwung zu neuen Taten antreten. Mag. Elisabeth Prack

Heribert Mader Fachinspektor für Bildnerische Erziehung Als ich vor zwölf Jahren Heribert Mader kennenlernte, sagte ereinenSatz, der sich bis heute bei mir eingeprägt hat: ,, Es soll den Kindern Freude machen". Er meinte damit eine Eigenschaft unseres Faches, die andere Fächer nur sehr schwer aufbringen können. Das Schöpferische, die Phantasie und die daraus meist ganz persönliche Lösung einer Aufgabe. Eine Verschnaufpause zwischen Latein und Mathematik war damit nicht gemeint, sondern das Atmen einer ganz anderen Luft. Sein Einsatz für die Schüler oder das Fach, die Trennung konnte ich nie sehen, war außerordentlich. Sein unstillbarer Eifer, seine Sammlung an Reproduktionen und Dias zu verbessern, weiter auszubauen, war nahezu atemberaubend und ansteckend. Als Obmann der Personalvertretung und als Mitglied des Schulgemeinschaftsausschusses genoß er das größte Vertrauen des Lehrkörpers und der Direktion. Wären das nicht Gründe genug? Der Steyrer Wehrgraben, eigentlich sein Wehrgraben, ist gerettet und brachte ihm nicht nur Freunde. Noch immer nicht Gründe genug? Als Böckl-Schüler kommt Heribert über den Wehrgraben zum Aquarell.Ursprünglich als Kampfmittel gedacht, entwickelt es bei ihm ein Eigenleben und wird zu einem festen Bestandteil in seinem Leben. Erfolge kommen, und dementsprechend viele Ausstellungen folgen. Die Motive der Bilder, aber auch die Ausstellungsorte entfernen sich immer weiter von Steyr. Heribert Mader auch. Dienstlich. Noch mehr Gründe? Prof. Heribert Mader wird mit 1. September 1985 Fachinspektor für Bildnerische Erziehung in Oberösterreich. Man hat die beste Wahl getroffen, obwohl man damit uns getroffen hat. Mag. Wolfgang Kodada 5 Geboren 1937 in Steyr, Oberösterreich, besuchte 1955 - 1960 die Akademie der bildenden Künste in Wien, Studium der Kunsterziehung und der Malerei bei Prof. Gütersloh, Diplom bei Prof. Böckl. Lehramtsprüfung für Kunsterziehung und Geschichte. Seit 1960 arbeitete Mader als Kunsterzieher am Bundesgymnasium in Steyr. Foto. Dr. Forsthuber

Vorwort des Direktors Die wilden Kinder Es ist ein recht eigenwill iges Thema: Die wi lden Ki nder. Es paßt scheinbar- nach gängigerVorstellung-zum Leben in einer Schule, wo die Lehrer mit der Wildheit der Schüler zu kämpfen haben, um sie zu Ordnung und Disziplin zu erziehen. Zugegeben: Auch wir kennen in unserer Schule die Notwendigkeit, in einer Hausordnung einen verbindlichen Rahmen abzustecken. Wir spüren aber zugleich, daß Erziehung mehr verlangt als die Einhaltung von Vorschriften. Hier beginnt unsere Aufgabe, neben der Vermittlung von Wissen es den Schülern zu ermöglichen, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln, Fähigkeiten und Talente zu entfalten, den Wert der Kreativität und des selbständigen, verantwortungsbewußten Handelns zu entdecken. In diesem ursprünglichen Sinn sind unsere Kinder „wild ", offen zur Entwicklung und zur Entfaltung. Der Jahresbericht zeigt, wie unsere Schüler diesen Weg gegangen sind. Wenige Beispiele sollen das belegen. Der Workshop zur Gestaltung des Jahresberichtßs war so eine Chance zu selbständiger kreati ver Arbeit. Drei Tage lang hat sich eine Gruppe von vier Professoren und 16Schülern ins AV-Haus in Losenstein, direkt unter der Burgruine, zurückgezogen. Alle spürten den Druck, in kurzer Zeit ei n Ergebnis, ein fertiges Produkt, etwas Neues zustandebringen zu müssen. Mehr aberzählte, daßsichjederganz persönlich mit demThema auseinandersetzen konnte. Und jeder hat dabei seine eigene Form gefunden. ,,Aus Grau mach Grün" ist ein schon lange gehegter Wunsch, der bisher nicht verwirklicht werden konnte. Drei Schüler der 5.C-Klassesetzten nun einen ersten Schritt, um die Betonwände der Schule zu begrünen. Sie bemühten sich in enger Zusammenarbeit mit Lehrervertretern, Direktor und dem Umweltschutzinstitut der Landesregierung um einen Bepflanzungsplan, sie starteten eine Spendenaktion unter Schülern und Professoren, kauften und setzten Kletterpflanzen und betreuen sie nun mit ihren Mitschülern mit großer Gewissenhaftigkeit. Bald wird unser Schulhaus seinem Namen im Werndlpark" gerechter werden können. Die Aktion der 5.C6 Klasse ist ein Teil eines größeren Projekts zur weiteren Gestaltung des Schulareals. Von sportlichen Erfolgen unserer Schüler ist in jedem Jahresbericht zu lesen. Heuer ist die Siegerliste besonders lang. Das BG Werndlpark stellt vier Landesmeister und sechs Bezirksmeister1Wir sind uns bewußt, daßdie vielen sportlichen Erfolge der Schüler durch ihre Tätigkeit in Sportvereinen ermöglicht wurden. Gerne anerkennen wir damit auch die Leistung dieser Vereine! Besonders hervorheben möchte ich auch das große Interesse der Schüler an Ober-und Unterstufenturnieren, die sie - unter Aufsicht von Professoren - selber organisieren. Auch die Reifeprüfung des heurigen Jahres verdient besondere Beachtung. Alle 109 Kandidaten haben die Matura bestanden. Es wehte fü r alle vier Klassen die weiße Fahne! Mit der Freude über diesen schönen Erfolg verbindet sich der Wun sch der Professo ren, daß es ih nen gelu ngen ist, die Maturanten zu befähigen, selbständig Verantwortung zu übernehmen und das Wissen und die menschliche Haltung des Verständnisses, der Toleranz an andere weiterzugeben. Die Schulgemeinschaft lebt von der Einsatzbereitschaft ihrer Mitglieder. Lehrerpersönlichkeiten bestimmen den Wert der Schule. Zwei Professoren haben viele Jahre hindurch unser Gymnasium durch ihre Persönlichkeit wesentlich mitgeprägt: Prof. Heribert Mader wurde mit Beginn des Schuljahres als Fachinspektor für Bildnerische Erziehung in den Landesschulrat berufen. Frau OStR Dr. Carola Almauer tritt mit Ende des Schuljahres in den Ruhestand. Ich danke beiden Kollegen sehr herzlich für alles, was sie für die Schule und für die Schüler getan haben. Herrn Fachinspektor Heribert Mader wünsche ich die Kraft, auch weiterhin immer wieder neue Akzente zu setzen. Und unserer Carola möchte ich zurufen: Behalte Dein Herz auf dem rechten Fleck. Wir alle sind Dir dafür sehr dankbar! Direktor Dr. Karl Mayer

G:J t - t Wilde Kinder Freiheit und Ordnung im Jahresbericht Seit zwei Jahren hat unser Jahresbericht ein neues graphisches Konzept, eine äußere Ordnung, die fast überall Zustimmung gefunden hat. Heuer hat sich die Redaktion auch um eine neue innere Ordnung, um ein Gesamtkonzept für die Lehrer- und Schülerbeiträge bemüht. Bei einem privaten „Brainstorming" tauchte das Thema „Wilde Kinder" auf, und seither sind wir bemüht, diese Idee Schülern und Lehrern, die wir um Beiträge gebeten haben, verständlich zu machen. Ein Gespräch über dieses „wilde Thema" verläuft von meiner Seite meist so: Jeder von uns hat - gemäß seiner Erziehung und seiner menschlichen Entwicklung - eine andere Einstellung zu Ordnung und Freiheit. Jeder von uns wird sich auf die ihm entsprechende Art mit dem Thema „Wilde Kinder" beschäftigen. Und das ist gut so. Mehr an Ordnung verträgt dieses Thema nicht. Lebendigkeit erhält es durch Gespräche, Auseinandersetzung. 85 Lehrer, 1000 Schüler. Immer wieder der Ruf nach mehr Ordnung, weniger Wildheit. Andererseits können echtes geistiges Leben, Neues, Kreativität, Kunst nur in Freiheit entstehen. Alles andere ist Zucht. Schule als Zuchthaus für Schulzucht? Echte Freiheit kann es aber nur in einem ordnenden Rahme·n geben. Mein Werk muß vor Zerstörung sicher sein. Wie können wir in der Schule die wilden Kinder und die wilden Lehrer in eine schützende Ordnung stellen? Das Bild eines Gartens taucht auf: Geometrisch abgegrenzte Beete. Hier Salat, hier Erdbeeren, da der Kirschbaum, durch ein Netz vor Vogelfraß geschützt. Strengste Ordnung. Kein Vogel. Gegen die Insekten Gift. Gift auf den Salat, auf die Erdbeeren, auf den Kirschbaum. Die Ernte auf den ersten Blick großartig. Der zweite Garten wird seit Jahren nicht mehr bewirtschaftet. Ein Paradies für Vögel, Insekten. Aber keine Früchte, kein Gemüse. Es gibt noch einen dritten Garten. In dem herrscht die Ordnung und Freiheit des Verstehens. Des Verstehens der Zusammenhänge. Der zusammenhänge von Pflanzenwelt, 7 Lehrerbeiträge Tierwelt und der Wünsche des Menschen. Schatten schützt vor Hitze. Unkraut bewahrt die Erde vor dem Austrocknen und gibt natürlichen Dünger. Eine Quelle spendet Feuchtigkeit. Di e Vöge l, die das Un geziefer fressen , bekommen geschützte Nistplätze. Verglichen mit dem ersten Garten, ist auch dieser wild. Ja, er ist wild, aber nicht verwildert. Seine Pflege ist mühsamer als die des ersten Gartens. Seine Pflege verlangt mehr Wissen und mehr Gefühl. Seine Früchte sind bekömmlicher, auch wenn sie auf den ersten Blick weniger auffallen als die vom Stickstoff aufgequollenen Erdbeeren. Und der Geschmack. l\~~iin'rimn=~mrtilin~ -~ ll.------n,-rr cß"· . . ,:.~----. . -.._- . - · ---· . . .... " .. -- ---- .. · -~ ---~.Gr,. , ,; -- .i_, ,_. ·-'Sr:~. -.-..-, - .· ,, Der dritte Garten Zeichnung: Mag. Alois Wimmer Will ich das auf diesen Jahresbericht anwenden, so wünsche ich mir, daß wir auf dem Weg zum dritten Garten sind. Ein Anfang war der Schüler-Workshop in Losenstein. Auf die Schule und meine Arbeit als Lehrer übertragen, stelle ich mir eine komplizierte, individuelle Ordnung vor, die auf wenigen Grundlinien einer Rahmen-Hausordnung beruht, aber durch Gespräche, auch harte Gespräche, durch individuelle Begegnung zum Leben erweckt wird. Das Wild-Sein der Schüler und Lehrer soll willkommen sein als Leben spendende Energie, die für aufbauende Arbeit genutzt wird. Gespräche über den heurigen Jahresbericht, notfalls brieflich, können uns die nötige Energie für die künftige Arbeit geben. Für die Redaktion: Mag. Josef Preyer

II Nicht Wissen ist Macht, sondern Können DIE ,,WILDEN" NEUEN LEHRPLÄNE FÜR DIE UNTERSTUFE DER AHS Im Herbst 1985 wurde in den ersten Klassen in allen Fächern ein neuer Lehrplan eingeführt 1 ) , der sich zum Teil sehr stark vom ursprünglichen unterscheidet. Der Lehrplan der allgemeinbildenden höheren Schule ist ein Lehrplan mit Rahmencharakter, der unterrichtliche Ziele, Inhalte und Verfahren für die Planung und Realisierung von Lernprozessen angibt und die eigenständige und verantwortliche Unterrichtsarbeit des Lehrers gemäß den Bestimmungen des§ 17, Abs. 1, des Schulunterrichtsgesetzes2 ) ermöglicht, aber zugleich in ihrem Ausmaß begrenzt. Anordnung, Gliederung und Akzentuierung des im Lehrplan der ei nzelnen Klassen angeführten Jahresstoffes, einschließlich der Auswahl der notwendigen Beispiele, sind der verantwortlichen Entscheidung des Lehrers überlassen. Die Mitwirkungsrechte der Schüler und Erziehungsberechtigten gemäß Schulunterrichtsgesetz sind zu beachten. Die Zielorientiertheit des Lehrplans soll in Wechselwirkung mit der Schülerorientiertheit des Unterrichts den Bildungsauftrag der Schule sichern und 1 ) BGBI. Nr. 88 / 1985, Anlage A. Ab 1.9. 1985 aufsteigend in Kraft. 2 ) BGBI. Nr.139 / 1974 in der geltenden Fassung: § 17. (1) Der Lehrer hat in eigenständiger und verantwortlicher Unterrichts- und Erziehungsarbeit die Aufgabe der österreichischen Schule(§ 2 des Schulorganisationsgesetzes) zu erfüllen. In diesem Sinne und entsprechend den Bestimmungen des Lehrplanes der betreffenden Schulart hat er unter Berücksichtigung der Entwicklung der Schüler und der äußeren Gegebenheiten den Lehrstoff des Unterrichtsgegenstandes dem Stand der Wissenschaft entsprechend zu vermitteln, eine gemeinsame Bildungswirkung aller Unterrichtsgegenstände anzustreben, den Unterricht anschaulich und gegenwartsbezogen zu gestalten, die Schüler zur Selbständigkeit und zur Mitarbeit in der Gemeinschaft anzuleiten, jeden Schüler nach Möglichkeit zu den seinen Anlagen entsprechenden besten Leistungen zu führen, durch geeignete Methoden und durch zweckmäßigen Einsatz von Unterrichtsmitteln den Ertrag des Unterrichts als Grundlage weiterer Bildung zu sichern und durch entsprechende Übungen zu festigen. 8 Gesichtspunkte zur Orientierung über die Unterrichtsarbeit bieten. Stark vereinfacht ausgedrückt, könnte man die Änderung der Lehrpläne wohl so charakterisieren: Von der „Stoffzentrierung" zur „Zielorientierung" und „Schülerorientierung" oder: von der Sache zum Menschen. Natürlich läßt sich der Inhalt nicht vom Ziel trennen - auch beim „alten" Lehrplan war dies berücksichtigt - nun aber soll durch eine Verschiebung der Gewichtung der einzelnen Komponenten eine noch stärkere Berücksichtigung des Schülers erfolgen. (Meine persönliche Interpretation: Als Lehrer habe ich nun gleichsam als Schüler auf der Schulbank Platz zu nehmen und mich in dieser Position zu fragen: ,,Was möchte ich als Schüler hören? Was brauche ich wirklich ,im Leben'? Wieviel ist wirklich nötig? Was könnte sich der Lehrer sparen? Was brauche ich unbedingt, um mich in einer sich immer schneller ändernden Welt zurechtzufinden?" - Diese Fragen allerdings unter Berücksichtigung des weiteren Blickes, des tieferen Wissens und der größeren Lebenserfahrung des Lehrers gestellt.) Soll das nun heißen, daß unsere Schüler keine Inhalte mehr, oder zu wenige dargeboten bekommen? Keineswegs. Man ist sich der Problematik eines bloß stofforientierten Unterrichts voll bewußt geworden. Die folgende Übersicht soll die Nachteile der alten Lehrpläne veranschaulichen: Probleme vom Inhalt her: ❖ Stoffliche Systematik steht oft im Vordergund = Gefahr der Stoffüberlastung ❖ Fachwissenschaftliches Denken dominiert = Gefahr eines zu geringen Lebensbezuges für Schüler ❖ Fachliche Daten und Fakten dominieren den Unterricht = Gefahr, daß (fachliche) Denk- und Arbeitsweisen zu kurz kommen Probleme von den Zielen her: ❖ Fachliche Ziele stehen im Vordergrund des Unterrichts Gefahr, daß allgemeine Ziele zu kurz kommen, z. B. selbständiger Bildungserwerb, Aufbau von Kooperation ...

❖ Wissensziele stehen eher im Vordergrund, insgesamt überwiegen die kognitiven Ziele Gefahr, daß selbständiges Denken, Problemlösen etc. zu kurz kommt, ebenso affektive Ziele, wie etwa Aufbau von Werthaltungen. Probleme von den Verfahren her: ❖ Frontalunterricht ist die günstigste Methode, viele Inhalte ökonomisch zu vermitteln Gefahr, daß Methoden des selbständigen Bildungserwerbs, des sozialen Lernens ... etc. zu wenig gelernt werden und damit insgesamt die Ziele der Schule zu kurz kommen. 3 ) Warum diese Lehrplanänderung? Brauchen wir nicht gerade jetzt bei einer sich täglich stärker vermehrenden Wissensfülle noch mehr Stoffvermittlung? Nein. Unsere Schüler können nicht ihr einmal erworbenes Wissen wie einen Rucksack durch ihr gesamtes Leben tragen. Sie müssen flexibel werden, ständig Neues aufnehmen, das Lernen lernen. (Erleben wir nicht täglich folgendes: Was uns gestern noch als die Lösung präsentiert wurde, zeigt sich später nicht selten als Sackgasse. Oder: Beherrschende naturwissenschaftliche Lehrmeinungen von gestern wandern, nachdem sie sich nach kurzer Herrschaft als haltlos erwiesen haben, in die naturwissenschaftliche Rumpelkammer.) Welche Voraussetzungen sind für den neuen Weg nötig? ❖ ,,Ideale" Eltern und Lehrer, d. h. Menschen, die gerne aus vollem Herzen4 ) geben (wollen und können). ❖ ,,Ideale" Schüler, d. h. Menschen, die gerne mit offenem Sinn empfangen und mitarbeiten (wollen und können). Beide gibt es (noch) nicht ❖ Eine bedeutend kleinere Zahl der zu betreuenden Schüler (Senkung der Klassenschülerzahl). Gibt es auch noch nicht 9 Natürlich läßt sich nicht alles durch „Schule" erreichen (sonst gäbe es ja keine „g'studierten" Gesetzesbrecher), aber vieles ist möglich. Es liegt ein Körnchen Wahrheit in dem Satz: ,,Was man bei der Schule spart, muß man bei Strafanstalten mehr aufwenden." Andererseits muß man es auch nicht so tierisch ernst sehen: ,,Erziehung ist, wenn die Kinder trotz Schule lebenstüchtige Menschen werden." Mag. Alois Wimmer 3 ) § 2 des Schulorganisationsgesetzes, BGBI. Nr. 242 / 1962, in der geltenden Fassung lautet: Aufgabe der österreichischen Schule § 2. (1) Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen. Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wissenschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits-und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken. 4 ) ,,Die geheime Schiene für das intelligente Lernen ist das Gefühl." (D. h. der Umweg über das Herz zum Hirn bewirkt, verantwortungsbewußt gegangen, einen dauerhafteren Erfolg als der direkte Weg gleich zum Hirn.) (E. Ringel Vortrag in Puchberg, 1985)

Aus dem neuen Unterstufenlehrplan für Deutsch (Lehrplan der allgemeinbildenden höheren Schulen. Vollständige Ausgabe 1. 1. und 2. Klasse. ÖBV) •·fflttm Unte rsrufe[TI BILDUNGS-UND LEHRAUFGABE: (für die 1. bis 4. Klasse) Der Deutschunterricht hat die Aufgabe, die Schüler im Anschluß an die Lernerfahrungen der \'olksschule in ihrer Handlungs-, Kommunikations- und Denkfähigkeit durch Lernen mit und über Sprache zu fördern. Die Schüler sollen - ihre kognitiven, affektiven und kreati,·en Fähigkeiten entfalten; - ihren Erfahrungshorizont erweitern und Kenntnisse über Erscheinungsformen und Anwendungsbereiche ,·on Sprache erwerben. Dadurch sollen sie in ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung gefördert und zum Eintritt ins Berufsleben bzw. zum Besuch weiterführender Schulen sowie zum selbständigen Bildungserwerb befahigt werden. Der Deutschunterricht ist in folgende gleichwertige Lernbereiche gegliedert: - Sprechen, - Schreiben, - Lesen und Textbetrachtung, - Sprachbetrachtung und Sprachübung. Sprerhm Die Schüler sollen als Sprecher und Hörer die Sprache der Situation, der Absicht und dem SachYerhalt gemäß partnergerecht und sozial verantwortlich gebrauchen können. Sie sollen imstande sein, die emo,ionale Ebene von Gesprächssituationen zu erkennen und auf sie einzuwirken. Auf die Bedeutung der Beziehungsebene ist im Sprechverlauf ebenso einzugehen wie auf die Inhaltsebene. Die Schüler sollen beiähigt werden, - eigene Interessen zu erkennen und zu ,·crcrecen, [j] BGBI. :\r. 8811985. ,\b 1. 9. 1985 aufS1eigend 1n 1--:rnft. 10 l·Mfiffil dem Partner eine offene und vorurteilslose Einstellung entgegenzubringen, - seine berechtigten Interessen zu untersrlitzen, - den Wahrheitsgehalt und die Verbindlichkeit von Aussagen abzuwägen, - Manipulationen zu durchschauen und abzuwehren, - die Wirkung des Gesprächs,·erhaltens zu berücksichtigen, - -die Standardsprache als die überregionale Sprachform, die in Aussprache, Schreibung, Grammatik und Wortschatz geregelt ist, zu gebrauchen. Schreiben Der Lernbereich gliedert sich in drei Teilbereiche: a) Verfassen ,·on Texten Die Schüler sollen befähigt werden, - Sach,·erhalte gegensrands-, situations- und leserbezogen zu formulieren, - Gefühle, :',!einungen und Absichten für sich und andere schriftlich darzustellen, - Verhaltensweisen und Standpunkte schriftlich zu begründen, - mit Sprache spielerisch und kreativ umzugehen, - die \\.irkungen sprachlicher Mittel zu erproben und einzuschä,zen. Das sach- und zweckbezogene Schreiben soll genauso gcüb, werden wie das Schreiben für sich und für andere sowie der phan<asieerfüllte, spielerisch-schöpferische Sprachgebrauch. Die Formen des Schreibens werden als eine \'erbindung ,·on Textsorte und Schreibabsicht verstanden. Daher ist es beim Schreiben eines Textes wichtig, die Schreibabsicht mit der Textsorte in Beziehung zu setzen. So kann z. B. ein \'v'erbetext appellieren, informieren, beschreiben und Unterhalter.. b) Übungen zur Textgestaltung Die Schüler sollen lernen, Texte durch angemessene l'ormulierung und sinnvollen Textaufbau für den Leser einsichtig zu machen. Sie sollen lernen, durch konkrete Übungen ihren \Xionschatz planmäßig zu erweitern, \X.'örter und Sätze im Text sprachrichtig miteinander zu verknüpfen und 'Fexte gedanklich einsichtig zu gliedern.

„Eine Handvoll Licht fiel hell auf das kleine schlafende Gesicht" (Wolfgang Borchert) Jeder Mensch lebt im Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung, von dem, was ihm vorschwebt, was er für richtig hält, was er entwickelt, und dem, was vorgegeben ist, was ihm Grenzen setzt. Er muß auf eine Umwelt reagieren und dabei seine eigene Kraft erproben, indem er lernt, sich in eine Gemeinschaft einzubringen, in ihr mitzuwirken und sie mitzugestalten . Seinen eigenen Weg finden, heißt, einen Ausgleich zu suchen zwischen dem, was von einem Menschen gefordert wird, und dem, was er selber beitragen kann an besserer Einsicht, an eigenen Ideen, an der Ausstrahlung der eigenen Person. Das aber setzt voraus, daß er den anderen genauso ernst nimmt wie sich selbst, daß er ihn und seine Beweggründe zu verstehen sucht. Wer diese Sensibilität dem anderen gegenüber nicht spürt, oder wer nicht gelernt hat, sie zu entwickeln, läuft Gefahr, ,,einseitig" zu denken und zu entscheiden. Es ist ein Wortspiel: ,,Wild" erscheint die Haltung des wilden Mannes, der kompromißlos seinen eigenen Willen durchsetzt, der (seine) Ordnung schafft, ,,wild" erscheinen aber auch die, die sich um keine Ordnung kümmern , weil sie - wieder - nur sich selbst anerkennen. Wiederum stehen „Ordnung" und „Freiheit" einander gegenüber. Die Schule muß dem jungen Menschen einen Weg vorgeben, der es ihm ermöglicht, sich selbst zu finden, zu einer eigenen Persönlichkeit zu werden. Wenn der Schüler in die 1. Klasse Gymnasium eintritt, ist er wohl schon durch seine Familie, seine Umwelt, durch seine Erfahrung und seine Erwartung vorgeprägt, er ist aber doch noch „wild" in dem Sinne, daß er sich erst entwickeln muß, daß sein Weg noch vor ihm liegt. Er soll aufnahmefähig sein für das Wissen, das die Schule vermittelt, aber auch für die Werte, die seine Persönlichkeit prägen. Dadurch, daß er sich mit dem Wissensstoff, mit der Art der Wissensvermittlung durch die Lehrer und mit der Gemeinschaft auseinandersetzt, fördert er seine Entwicklung. Kritische Auseinandersetzung muß verbunden bleiben mit dem natürlichen Gefühl dafür, daß wir alle Menschen sind 11 mit dem Recht auf unsere eigene Meinung und unsere eigene Entwicklung. Keine Gemeinschaft kommt ohne die Achtung des Mitmenschen aus. Das Gymnasium ist für den Schüler acht Jahre lang das Tummelfeld in der Entwicklung von der „natürlichen Wildheit" des jungen Menschen bis zum Erlernen eines selbständigen, verantwortungsvollen Handelns. Der Weg der Selbstentfaltung wird zur Geschichte seines Lebens. Das Leben kennt keine fertigen Lösungen. Und es ist leichter, davon zu sprechen, daß ein Ausgleich zu finden sei zwischen dem was ich mir wünsche, und der Realität, der ich mich geg~nüber sehe, als den Konflikt in Wirklichkeit zu meistern. Es ist für mich als Deutschlehrer verlockend, solche entscheidende Situationen in der Geschichte von Menschen in literarischen Texten aufzuspüren und sie den Schülern im Unterricht in Lektüre, Texterschließung und Gespräch miterleben zu lassen. Oftmals steht am Ende die Frage nach der Verantwortlichkeit als Verantwortung sich selbst und den anderen, der Gemeinschaft gegenüber. Wie jungen Menschen diese Verantwortung aufgetragen wird , wil l ich an drei Kurzgeschichten deutlich machen. Immer noch fasziniert die Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert „ Die drei dunklen Könige'; die nichts an Eindringlichkeit verloren hat, auch wenn sie heute schon einer behutsamen Aufbereitung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds bedarf: Sie spielt im Jahr 1945, und unsere Schüler sind 25-30 Jahre nach Kriegsende geboren! ,,Die drei dunklen Könige" führen uns in eine Welt voller Resignation, des Gefühls, nichts tun zu können gegen die unabänderliche Zerstörung, die zermürbende Not. Es gibt so viele Erfahrungen, die der Mensch nicht verkraften kann. Unvermittelt beginnt die Kurzgeschichte: ,,Er tappte durch die dunkle Vorstadt. Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel. Der Mond fehlte, und das Pflaster war erschrok-

ken über den späten Schritt ... Durch die dunkle Vorstadt tappte er zurück. Sterne waren nicht da." Zuhause hat seine Frau ein Kind gekriegt. Es ist kalt. ,,Der Mann legte das mürbe, süße Holz in den kleinen Blechofen. Da glomm es auf und warf eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer. Dies fiel hell auf ein winziges rundes Gesicht und blieb einen Augenblick." Für den Mann bedeutet dieser Lichtschein aber nur eine neue Herausforderung: ,,Nun hat sie ihr Kind gekriegt und muß frieren, dachte er, aber er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte. Als er die Ofentür aufmachte, fiel wieder eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht. Die Frau sagte leise: Guck mal, wie ein Heiligenschein, siehst du? Heiligenschein1 dachte er, und er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte." Zwei Bilder stehen kontrastierend nebeneinander: das Bild der Handvoll Licht und das Bild der geballten Fäuste. Das , Licht aus dem Blechofen fällt hell auf das kleine Gesicht, aber es kann das Zimmer, die Welt nicht erwärmen. Und die Fäuste s·ind umsonst geballt, weil der Mann nicht weiß, wen er für das ganze Elend zur Verantwortung ziehen soll. In dieser Situation, die die Menschen sprachlos macht, geschieht etwas Besonderes: Drei Männer kommen aus der Dunkelheit. Sie haben Licht gesehen, und da sie lernen mußten zu überleben, treten sie in das Zimmer, um sich hinzusetzen. Es sind Heimkehrer, denen der Krieg fast alles genommen hat. Die Hände des einen sind erfrorene Stümpfe, der zweite hat Wasser in den Beinen, der dritte zittert nur mehr in seiner Uniform. Doch als sie das Kind sehen, wachsen sie über sich hinaus. Der eine nimmt ein Stück Holz aus dem Sack: ,,Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran geschnitzt. Für das Kind! Das sagte er und gab es dem Mann." Und der andere nimmt aus dem Pappkarton zwei gelbe Bonbons. ,,Für die Frau sind die." Was sie verschenken, der Esel und die zwei Bonbons, ist für sie wie ein Lebenswerk oder der Inbegriff des Kostbaren, (Bonbons und Schokolade hat es während des Kriegs nicht gegeben). Sie schenken her, was sie wie einen Schatz hüten „und steigen wieder in die Nacht hinein". Gerade das aber macht den Mann, der ihnen nachsieht, fassungslos. ,,Sonderbare Heilige, sagte erzu seiner Frau. Dann machte er die Tür zu. Schöne Heilige sind das, brummte er und sah nach den Haferflocken." Der folgende Satz ist bekannt, aber er erscheint in der sprachlichen Form reduziert und verkürzt: ,,Aber er hatte kein Gesicht für seine Fäuste". Noch ist alles in ihm aufgewühlt. Die geballten Fäuste sind der Ausdruck mühsam zurückgehaltener Aggression. Doch sie zerbröckelt im Bewußtsein, daß andere noch ärmer sind als er, und daß diese alles hergegeben haben, was sie besaßen. Es bleibt das Bild der Nacht ohne Sterne. Aber am Ende der Kurzgeschichte steht, durchaus im Umfeld der inneren Sprachlosigkeit des Mannes - nicht so sehr der Frau - , der Lichtblick: ,,Und vom Ofen her fiel eine Handvoll Licht hell auf das kleine schlafende Gesicht". Der Schluß der Kurzgeschichte bleibt offen. Es ist kein billiges Happy End. Denn wer genau liest, fühlt, daß das Licht nicht mehr als eine Handvoll ist. Und das Licht fällt hell auf das Gesicht des Kindes, das schläft. Es ist nicht gesagt, daß die Welt besser wird, daß Menschen wieder miteinander reden und sich in die Augen sehen können. Es ist in die Hand des noch schlafenden Kindes gelegt, aus der Welt der Trümmer eine lebenswerte Welt zu machen. Wir wissen, wie es weitergegangen ist. Freiheit, wirtschaftlicher Aufschwung und sozialer Friede haben uns sorglos gemacht. Aus dem kleinen schlafenden Gesicht ist heute die Generation der Vierzigjährigen geworden, die den Wohlstand genießen können, deren Verantwortung aber nicht geringer geworden ist. Borcherts Kurzgeschichte ist Vermächtnis und Herausforderung zugleich. Auch der zweite Text„ Die Kirschen" ist ein echter Borchert. Die Situation erscheint einfach. Ein Bub hat Fieber. Das Klirren 12 ----------------------

II zerbrochenen Glases schreckt ihn auf. Er sieht den Vater auf dem Boden sitzen. Seine Hand ist rot. Kirschsaft? So sieht es ·der Bub: ,,Sie (die Mutter) hat die Kirschen doch extra vors Fenster gestellt. Und er ißt mir die ganzen Kirschen auf". Darin zeigt sich die Beziehungslosigkeit zwischen Sohn und Vater. So wie in der Kurzgeschichte „Das Brot" reden die Menschen aneinander vorbei. 1hre Gefühle finden nicht zur natü rl ichen Sprache. Für den Sohn ist es eine fixe Idee: Der Vater hat ihm die schönen kalten Kirschen gestohlen. Und er hat das Fieber' Die Wahrheit ist anders. Der Vater ist hingefallen, als er ihm die Kirschen ans Bett bringen wollte. Die Glasscherben haben seine Hand zerschnitten. Sie blutet. Doch gerade in dieser Gegenüberstellung deutet sich die existenzielle Hilflosigkeit an. Vertrauen steht gegen Mißtrauen. (Daß der Bub Fieber hat, mag als Entschuldigung gelten, verdeckt aber nicht den grundsätzlichen Zweifel). Als der Bub schließlich die wahre Situation erkennt, steckt er den Kopf tief unter die Decke. Dieses Bild am Schluß der Kurzgeschichte überläßt die Deutung dem Leser. Kein Wort der Erklärung, kein Aussprechen des Gefühls. Hat das Fieber den Kranken zu schwach gemacht? Es geht tiefer. Es ist schwer, sich einzugestehen, jemandem unrecht getan zu haben. Das Wort wäre Erleichterung, Erlösung. Die Decke über dem Kopf bringt nur neue Bedrückung, Belastung, Beklemmung. In eine ganz andere Welt führt uns die Kurzgeschichte „Die Burg der Kinder" von Werner Klose. Siebzehn Kinder spielen sorglos auf der Sandbank vor der Küste im Meer. Auch Elisabeth, die Kindergärtnerin, genießt einmal die Ruhe und die Sonne. Als sie auf die Uhr sieht, muß sie erkennen, daß sie stehengeblieben ist. Da wird es ihr klar. Die Flut kommt. Es ist zu spät, durch die Priele zu waten oder auf der Sandbank die Priele zu umgehen. Sie treibt die Kinder zur Eile an , aber die sind noch immer sorglos und zu langsam. Sie werden es nicht schaffen! Die Flut wird ihnen den Weg absperren. Der letzte Ausweg: Sie muß an Land schwim13 men, solange die Strömung nicht zu stark wird, und ein Boot holen. Das will sie den Kindern schmackhaft machen. Bis dahin müssen sie in der Burg auf der Sandbank bleiben. Dort sind sie sicher. Nur einem vertraut sie die Wahrheit und ihre eigene Angst an: Rolf, einem stillen Jungen, der gerne all ein abseits von den lärmenden Kameraden spielt, der älter ist als die anderen, der aber nicht zum Führer geboren ist. Rolf weiß, welche Gefahr auf sie zukommt. Elisabeth lädt Rolf eine schwere Verantwortung auf „Laß Erwin kommandieren, aber du mußt aufpassen, daß die Kinder beisammen bleiben, und du darfst den anderen nicht sagen, wie gefährlich es ist!" Diese Aufgabe nimmt Rolf sehr ernst. Aber sie ist nicht leicht. Die Buben hänseln ihn, weil die Lehrerin mit ihm gesprochen hat; Erwin beginnt zu raufen, weil er sich beim Kommandieren nicht dreinreden läßt. Nach einem heftigen Wortwechsel schlägt Erwin Rolf eine blutende Wunde, doch der hält durch. Die Flut kommt bedenklich näher. Nebel fällt ein. Sind sie verloren? Auch Rolf hat Angst. ,,Er dachte daran, daß vor zwei Jahren ein Mann im August auf der Sandbank ertrinken mußte, weil er sich im Nebel verirrt hatte. Davon wußten aber die anderen nichts. Und Rolf schwieg." Es gelingt ihm , die Kinder in der Sandburg beisammen zu halten. Um ihnen die Angst zu nehmen, läßt er sie bis 30 zählen, dann folgt ein lautes Rufen: ,,Haaloool" Rolf drängt sie, still zu sein. Da glauben sie selbst, Stimmen zu hören. Noch einmal rufen sie. ,,Rolf wurde den eigenen Schrei nicht los. Er lag auf dem Wall; zitternd und schluchzend lag er und starrte zum Rand der Sandbank, auf die sich der Schatten des Bootes aus dem Nebel schob." Daß die Kinder gerettet sind, bleibt unausgesprochen. Andeutung in der Form des Nebensatzes bleibt auch das Boot, das die Rettung bringt. Was unaufdringlich und trotzdem eindrucksvoll als Schluß der Kurzgeschichte weiterwirkt, ist die Gestalt Rolfs: Kein gefeierter Sieger, sondern zitternd

und schluchzend, als er, wie beschwörend, auf das Rettung bringende Boot starrt. Der Leser bleibt in der Spannung des jungen Menschen, der in seiner Aufgabe über sich hinausgewachsen ist. Selber Angst haben, die Gefahr kennen und zugleich die anderen beruhigen müssen, weil nur Beherrschtheit vor dem Untergang retten kann, das ist Rolfs Bewährungsprobe. „Rolf war still und hielt sich gern allein." Als ihm Elisabeth die Verantwortung über 16 Kinder überträgt, wird ihm die Disziplin sich selbst gegenüber zur schwersten Aufgabe. Als er Rettung sieht, darf er wieder ein Bub sein mit all seiner Angst, den Tränen und der Freude. Die Wahl der drei Kurzgeschichten folgt einem inneren Zusammenhang. Das Leitthema sind „die wilden Kinder", Jugendliche im Spannungsfeld zwischen Freiheit - Selbstentfaltung - Kreativität und Ordnung - Einschränkung - Disziplin. In den „Drei dunklen Königen" wird die Entscheidung über sich selbst und über die Zukunft der Welt dem „noch schlafenden Kind" als Auftrag mitgegeben. In den „Kirschen" überrollt die Realität, .die trostlose Situation, das natürliche menschliche Fühlen. ,,Die Burg der Kinder" ist der Nachweis, daß das große Experiment gelingen kann: Disziplin zerstört nicht die eigene Freiheit, sie ist ein Stück Selbsterfahrung, Selbstentfaltung. Der Satz Antoine de Saint-Exuperys „Mensch sein heißt Verantwortung fühlen" schließt nicht aus, daß der Mensch zuerst Ich sein darf, mit all den eigenen Gefühlen, Vorstellungen und Fähigkeiten. Dieses Selbstverständnis ist Voraussetzung dafür, Wegweiser für die anderen sein zu können. Ich bin überzeugt, daß unsere Jugend, unsere Schüler dazu fähig sind. Dr. Karl Mayer Textnachweis: Wolfgang Borchert, Die drei dunklen Könige. In: Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen. Rowohlt Taschenbuch. · Wolfgang Borchert, Die Kirschen. In: Lesebuch Texte Band 4, ÖBV, Seite 73. Werner Klose, Die Burg der Kinder. Ueberreuter Lesebuch 2, Seite 63. DIE KIRSCHEN Wolfgang Borchert Nebenan klirrte ein Glas. Jetzt ißt er die Kirschen auf, die für mich sind, dachte er. Dabeihabe ich das Fieber. Sie hatdie Kirschen extra vors Fenster gestellt, damit sie ganz kalt sind. Jetzt hat er das Glas hingeschmissen. Und ich hab' das Fieber. Der Kranke stand auf. Er schob sich die Wand entlang. Dann sah er durch die Tür, daß sein Vater auf der Erde saß. Er hatte die ganze Hand voll Kirschsaft. Alles voll Kirschen, dachte der Kranke, alles voll Kirschsaft. · Alles voll Kirschen, dachte der Kranke, alles voll Kirschen. Dabei sollte ich sie essen. Ich hab' doch das Fieber. Er hat die ganze Hand voll Kirschsaft. Die waren sicher schön kalt. Sie hat sie doch extra vors Fenster gestellt für das Fieber. Und er ißt mir die ganzen Kirschen auf. Jetzt sitzt er auf der Erde und hat die ganze Hand davon voll. Und ich hab' das Fieber. Und erhatden kalten Kirschsaft aufder Hand. Den schönen kalten Kirschsaft. Er war bestimmt ganz kalt. Er stand doch extra vorm Fenster. Für das Fieber. Er hielt sich am Türdrücker. Als der quietschte, sah der Vater auf. „Junge, du mußt doch zu Bett. Mit dem Fieber, Junge. Du mußt sofort zu Bett." 14 - ---------------------

II Illustration. Thomas Scheiblauer / 68 15 ,,Alles voll Kirschen'; flüsterte der Kranke. Er sah aufdie Hand. ,,Alles voll Kirschen." ,,Du mußt sofort zu Bett, Junge." Der Vater versuchte aufzustehen und verzog das Gesicht. Es tropfte von seiner Hand. ,,Alles Kirschen'; flüsterte der Kranke. ,,Alles meine Kirschen. Waren sie kalt?" frage er laut. ,, Ja? Sie waren do ch sicher schön kalt, wie? Sie hat sie doch extra vors Fenster gestellt, damit sie ganz kalt sind. Damit sie ganz kalt sind.,, Der Vater sah ihn hilflos von unten an. Er lächelte etwas. ,,Ich komme nicht wieder hoch'; lächelte er und verzog das Gesicht. ,,Das ist doch zu dumm, ich komme buchstäblich nicht wieder hoch." Der Kranke hieltsich an der Tür. Die bewegte sich leise hin und her von seinem Schwanken. ,, Waren sie schön kalt?" flüsterte . ?" er, ,,Ja. „Ich bin nämlich hingefallen'; sagte der Vater. ,,Aber es ist wohl nur der Schreck. Ich bin ganz lahm'; lächelte er. ,, Das kommt von dem Schreck. Es geht gleich wieder. Dann bring' ich dich zu Bett. Du mußt ganz schnell zu Bett." Der Kranke sah auf die Hand. ,,Ach, das ist nicht so schlimm. Das ist nur ein kleiner Schnitt. Das hört gleich auf. Das kommt von der Tasse·; winkte der Vater ab. Er sah hoch und verzog das Gesicht. ,,Hoffentlich schimpft sie nicht. Sie mochte gerade diese Tasse so gern. Jetzt hab' ich sie kaputt gemacht. Ausgerechnet diese Tasse, die sie so gern mochte. Ich wollte sie ausspülen, da bin ich ausgerutscht. Ich wollte sie nur ein bißchen kalt ausspülen und deine Kirschen da hinein tun. Aus dem Glas trinkt es sich so schlecht im Bett. Das weiß ich noch. Daraus trinkt es sich ganz schlecht im Bett." DerKrankesahaufdieHand. ,,Die Kirschen'; flüsterte er, ,,meine Kirschen?" Der Vater versuchte noch einmal, hochzukommen. ,, Die bring' ich dirgleich'; sagte er. ,,Gleich, Junge. Geh schnellzu Bett mit deinem Fieber. Ich bring' sie dir gleich. Sie stehen noch vorm Fenster, damit sie schön kalt sind. Ich bring' sie dir sofort." Der Kranke schob sich an der Wand zurück zu seinem Bett. Als der Vater mit den Kirschen kam, hatte er den Kopf tief unter die Decke gesteckt.

Geographie auf neuen Wegen Ziel dieses Beitrages ist es, einen kurzen Überblick über die Wandlungen der Schulgeographie in den letzten Jahren zu geben und gleichzeitig um Verständnis für die teilweise völlig neuen, oft „wild" erscheinenden Wege zu werben. Die achtziger Jahre werden als das Jahrzehnt der großen Wandlungen in die Geschichte der österreichischen Schulgeographie eingehen, da sowohl für die Unterstufe als auch für die Oberstufe neue Lehrpläne eingeführt wurden/werden, die mit der traditionellen Vorstellung der Schulgeographie brechen und völlig neue didaktische und methodische Wege gehen. Über fast 100 Jahre lang bestand die Hauptaufgabe des Faches Erdkunde/Geographie im Bereich der allgemeinbildenden höheren Schulen darin, dem Heranwachsenden ein mehr oder minder leicht abfragbares Faktenwissen über eine möglichst große Anzahl von Staaten und Ländern der Erde beizubringen. Dabei wurde nach dem Konzept der konzentrischen Kreise vorgegangen: von der bekannten Heimat(?) zur unbekannten Ferne. Saint Exupery läßt den kleinen Prinzen fragen: ,,Was ist ein Geograph?", und dieser antwortet: ,,Das ist ein Gelehrter, der weiß, wo sich die Meere, die Ströme, die Städte, die Berge und die Wüsten befinden." Und auch Peter Handke erinnert sich an seinen Geographieunterricht: ,,Ich wußte alle Hauptstädte aller Staaten auswendig. Der Vatikan war ein eigener Staat mit einigen Bewohnern; ich suchte auf der Landkarte Straßenknotenpunkte." 1962 wurde vom Gesetzgeber zur Geographie der Bereich der Wirtschaftskunde hinzugefügt, eine Maßnahme, die letztlich der Geographie den Bestand im Fächerkanon der höheren Schulen ohne Stundenkürzungen gesichert hat. Die Beispiele aus anderen Ländern zeigen, daß die Erdkunde überall an Stunden verloren hat. Was wollte man mit der Wirtschaftskunde? Sie sollte Interesse wecken und den Schülern die Augen öffnen für einen Bereich, der sowohl ihr privates wie auch öffentliches Leben weitgehend bestimmt. 16 Wirtschaftskunde, besser Wirtschaftserziehung, hat folgende Aufgaben: ❖ Hilfe leisten für den einzelnen Verbraucher, ❖ Hilfe geben bei der verantwortungsvollen Mitgestaltung des mündigen Staatsbürgers am öffentlich-politischen Leben. Darüberhinaus soll die Wirtschaftskunde dazu beitragen, daß die Schüler die Außenabhängigkeit der österreichischen Wirtschaft sowie die starke Verflechtung mit der übrigen Welt erkennen. Nicht zuletzt kommt ihr der wichtige Auftrag zu, die für den Schüler später so wichtige Arbeits- und Berufswelt erstmals darzustellen. In der nur formalen Verbindung mit der traditionellen Schulländerkunde, die bis 1985 unsere Lehrpläne bestimmte, konnte die Wirtschaftskunde diese Ziele in keiner Weise erreichen. Die Schulländerkunde wurde selbst immer mehr in Frage gestellt, einerseits durch die kaum mehr zu bewältigende Stoffülle, andererseits weil Länderkunde, die stets nur das Einmalige herausarbeitet, im VViderspruch zum exemplarischen Prinzip steht, das auf das Ubertragbare ausgerichtet ist. Daher erhob sich in Österreich schon seit Jahren die Forderung nach neuen Lehrplänen, die den modernen Tendenzen Rechnung tragen sollten. Gefördert wurden diese Bestrebungen durch zahlreiche Faktoren: a) Entwicklungen im Bereich der Erziehungswissenschaften (z. B. Curriculumbewegung), b) Fachwissenschaft - besondere Betonung der Sozialgeographie, c) Forderung nach mehr politischer Bildung. Auslösendes Moment war die 7. SCHOG Novelle 1982. Im Juni 1983 wurden seitens des Bundesministeriums fü'r Unterricht und Kunst Kommissionen gebildet, die den Auftrag zur Ausarbeitung neuer Lehrpläne bekamen. Dabei wurden gerade in Geographie und Wirtschaftskunde völlig neue Wege gegangen, die sich an den oben angeführten Forderungen orientierten.

II Als Hauptaufgabe des „neuen Geographieunterrichts" wurde festgelegt, daß den Schülern die Regelhaftigkeiten, Auswirkungen und Motive menschlichen Verhaltens und Handelns in den beiden eng verflochtenen Aktionsbereichen Raum und Wirtschaft sichtbar und verständlich gemacht werden sollen. GRUNDPRINZIP DES GW-LEHRPLANES Raum Gesellschaft Wirtschaft G = Geographischer Bereich (Naturraum, Klima, Vegetation ...) W = Wirtschaftskunde (z. B. Geldwirtschaft, Budget ...) GW = Überschneidung zwischen den beiden oben angeführten Bereichen (Wirtschaftsgeographie, Industriegeographie ...) Im Rahmen des GW-Unterrichts sollen die Schüler erfahren, daß in den beiden Prozeßfeldern (G und W) Gruppen und Einzelpersonen agieren, die teils von gleichartigen, teils von sehr unterschiedlichen Interessen gesteuert werden, und daß diese unter dem Einfluß bestimmter, nicht unveränderbarer Human- und Naturbedingungen stehen. Im neuen Lehrplan sind die didaktischen Einheiten nicht mehr Landschaften, Länder oder Staaten, obgleich solche unter bestimmten Gesichtspunkten auch behandelt werden sollen, sondern Themen, die menschliches Handeln bzw. seine Auswirkungen und Motive in Raum und Wirtschaft zeigen. Im Lehrplanentwurf, der 1986 für die ganze Unterstufe abgeschlossen werden konnte, werden für jede Schulstufe sechs bis neun Themenblöcke angeführt und durch beigefügte Zielstellungen (= Lernziele) und Lerninhalte näher bestimmt. Diese ordnen sich den Zielangaben der jeweiligen Schulstufe sowie der Bildungs- und Lehraufgabe des Unterrichtsgegenstandes unter. Vorrangig sind dabei die Zielstellungen. Sie geben unter Berücksichtigung der Zielangaben bzw. der Bildungs- und Lehraufgabe an, welche Kenntnisse, Einsichten, Fähigkeiten und Haltungen der Schüler gewinnen soll, und sie haben vor allem die Aufgabe, die Stoffülle, die jahrelang besonders in Geographie und Wirtschaftskunde bemängelt wurde, zu bändigen. Dem Lehrer obliegt es, die Themen unter diesen Gesichtspunkten und nach seinem Ermessen auszusuchen und weiter aufzugliedern, sowie Schwerpunkte zu setzen. Die Raumbeispiele, die vom Anfang an über die ganze Welt verteilt sein sollen, sind in der 1., 2. und 4. Klasse aus Österreich, Europa und Außereuropa zu nehmen, während für die 3. Klasse die Behandlung Österreichs vorbehalten bleibt. Wieviele Raumbeispiele der Lehrer zu einem Ziel auswählt, ist allein davon abhängig, wie er die angestrebten Ziele erreichen will. An einem Beispiel aus der 1. Klasse möchte ich dies veranschaulichen: Der Themenkreis 3 lautet: ,,Wie Menschen durch Naturkatastrophen gefährdet werden, und wie sie sich davor zu schützen suchen". Es sind folgende Ziele anzustreben: Erkennen, daß die Menschen zur Abwehr der Bedrohung durch Naturvorgänge zusammenarbeiten, wobei aber die Bewältigung dieser Aufgabe vielfach Grenzen gesetzt sind. Es bieten sich dazu zahlreiche Inhalte an: Vulkanismus, Erdbeben, Lawinen, Wirbelstürme; Überschwemmungen, Dürre im Sahel .. Nun kann der Lehrer je nach Zeit oder Lernfähigkeit der Klasse sein Angebot variieren, und er kann die angestrebten Ziele genauso gut mit drei wie mit sechs Raumbeispielen erreichen. 17 ----------------------

Mit dem thematischen Prinzip wurde das alte, auch für den Laien leicht durchschaubare Anordnungsprinzip der konzentrischen Kreise aufgegeben. In einer Zeit. in der die einzelnen Teile der Erde über die verschiedensten Massenmedien immer enger miteinander verbunden werden, der Zehnjährige schon vielfältige Berührungspunkte mit der Ferne hat, die ihn darüber hinaus mehr interessiert als die Nähe, ist es nicht mehr sinnvoll, erst die älteren Schüler Sachverhalte aus weiter entfernten Regionen erfahren zu lassen. An die Stelle des Prinzips der konzentrischen Kreise treten andere Aufbauprinzipien, die in der Graphik erkennbar werden: DER LEHRPLAN FÜR GEOGRAPHIE UND WIRTSCHAFTSKUNDE B ISHER NEU 4. Österreich + Welt zum zum Qualifikationen zur K Weltpolitik Fernen Schwierigen Lebensbewältigung L ~ Fähigkeit und A Weltwirtschaft (.'J SACHVERHALTE · ENTWICKLG. · PROBLEME EUROPA Bereitschaft zum s z Weltpolitik WELT Handeln s :J Weltwirtschaft E f-- weltweite Topographie Ausblicke und Analysen I 0 > 3. Außer Europa <( SACHVERHALTE · ENTWICKLG. · PROBLEME K Großräume und a: Landschaften L f-- Siedlungs- und Wirtschaftsräume ÖSTERREICH A Staatengruppen w Volkswirtschaft s 0) Raumordnung s Umweltschutz E w Topographie Österreichs Verständnis I LERNEN LERNEN Denkweisen Arbeitsweisen 2. Europa 0 Komplexe Einzelbilder und ' K - Zusammenhänge Mittelmeerraum _J L 0 Kulturlandschaft A Sowjetunion z sekundärer + tertiärer s Staaten :J Sektor der Wirtschaft VIELFALT DER s E :.:: feinmaschigere Topographie LEBENS• UND a: w WIRTSCHAFTSFORMEN 1. Österreich 0 Einfache Einzelbilder in ÖSTERREICH K Bundesländer z Naturlandschaft L •<( Naturfaktoren und der ganzen A _J primärer Wirtschaftssektor WELT ' s grobmaschige Topographie Orientierungssysteme s vom vom Grundeinsichten E Nahen Einfachen ; Grundbegriffe 18 --- --------------------

II 1. Das Prinzip der wachsenden Komplexität Ausgegangen wird von sehr einfachen Betrachtungsweisen, die in der 1. Klasse in Form von Einzelbildern mit konkreten Inhalten dargestellt werden. Z. B. Im tropischen Regenwald - Vulkanismus - Reis -Getreide für 2,5 Milliarden Menschen. Mit fortschreitendem Schulalter sollen immer komplexere Betrachtungsweisen und Darstellungsarten im Unterricht eingesetzt werden. - Z.B.: 2. Klasse: Formen der Gütererzeugung in der Industrie, Fragen der Arbeitsteilung, Klimazonen der Erde. 3. Klasse: Das Ergebnis des gemeinsamen Wirtschaftens am Beispiel Osterreichs. 4. Klasse: Fragen der Weltwirtschaft, neue Technologien verändern die Arbeitswelt. Die Geographie orientiert sich dabei an der Entwicklungspsychologie: Schüler in der 4. Klasse verstehen komplexe Zusammenhänge eher als Schüler der 2. Klasse. 2. Das Prinzip der zunehmenden Qualifikationen Es beruht darauf, daß in den beiden ersten Schuljahren ein Grundstock von ausgewählten Kenntnisssen, Einsichten und Fertigkeiten aufgebaut wird, der dann in der 3. und 4. Klasse erweitert und vertieft wird. Dieser stufenweise Aufbau gilt auch für den so sensiblen Lernbereich der Topographie. Das topographische Grobraster der ersten beiden Jahrgänge wird ständig erweitert und vertieft, sodaß am Ende der Unterstufe die Schüler über ein sicheres und solides topographisches Wissen verfügen. 3. Das Prinzip der Integration von Geographie und Wirtschaftskunde Man geht davon aus, daß den Schülern sowohl die Vielfalt als auch die Gleichartigkeit des menschlichen Lebens und Wirtschaftens auf der Erde einsichtig wird, indem sie diese wahrnehmen und unter einfachen Aspekten ordnen und begreifen lernen, wobei unbedingt auch außerschulische Eindrücke mitverarbeitet werden. Zuerst geschieht dies anhand von Beispielen aus verschiedenen ländlichen Räumen der Erde, danach an Beispielen aus verschie19 denen städtischen Lebensräumen. Diese sind doch die wichtigsten Innovationszentren der Erde, wo wichtige Dienstleistungs- und Produktionsstätten ihren Sitz haben und entscheidende soziale Vorgänge stattfinden. In der 3. Klasse soll dann etwa im Sinne einer kritischen Alltagskunde eine intensivere Wahrnehmung, Problematisierung und kognitive Erschließung des Lebens und Wirtschaftens in unserer Heimat Österreich angestrebt werden. Die 3...Klasse bietet dem Lehrer Gelegenheit, den Begriff „Heimat Osterreich" intensiv mit seinen Schülern durchzuarbeiten. Diese reine „Osterreichklasse" soll sich vor allem mit den Fragen des Wohnens, der Arbeitswelt, der Wirtschaft und Raumordnung sowie des Umweltschutzes beschäftigen. Hier sollen, aufbauend auf die in den vorangegangenen Jahren erworbenen Qualifikationen, die Kenntnisse, Einsichten und Werthaltungen weiterentwickelt werden. Angestrebt wird im Sinne der Erziehung zur demokratischen Mitgestaltung und Anteilnahme ein intensiveres Erfassen der lebensweltlichen Aktions- und Wahrnehmungsbereiche. Diese Erziehung zur demokratischen Mitgestaltung und Anteilnahme verdichtet sich dann in dieser Schulstufe in der vom Lehrplan geforderten Regionalstudie. Hier sollen Schüler an einem kleinräumigen Beispiel in Projektarbeit bestimmte räumliche und wirtschaftliche Erscheinungen unter verschiedenen Aspekten vor Ort selbst erkunden, zusammenhänge und Probleme erkennen, sowie Lösungsmöglichkeiten vorschlagen. Wichtig ist dabei eine enge Kooperation mit anderen Fächern wie Geschichte und Biologie. Mit Hilfe des fächerübergreifenden Unterrichts werden fächerspezifische Sichtweisen überwunden und ganzheitliches Erkennen und Verstehen besser möglich. Die Schüler sollen dabei auch lernen, daß die Lösung von Problemen wegen der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und Kräfte nicht so einfach ist. Zum Abschluß der Unterstufe in der 4. Klasse wäre dann in einer globalen Zusammenschau das Leben und Wirtschaften in einer gemeinsamen Welt am Beispiel großer Gegenwarts- und Zukunftsfragen einsichtig zu machen. Eine wesentliche Rolle spielen im Lehrplan der 4. Klasse auch die großen Staaten der Erde sowie die Probleme der Entwicklungsländer und der Weltwirtschaft. Mag. Franz Forster

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2