12. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1984/85

II 1: Sie meinen also, daß die Abschaffung der Noten für die Schü ler von Vorteil wäre. Können Sie sich eine andere Art der Beurteilung vorstellen , die Ihrer Meinung nach die Schülerleistungen nicht beeinträchtigen würde? B: Ich fände eine verbale Beurteilung-also eine Beurteilung in Worten - besser, denn dadurch würden auch die Eltern mehr über das Verhalten und über das Arbeiten der Kinder erfahren. Eine Note dagegen sagt sehr wenig über die eigentliche Leistung aus, die der Schüler im Unterricht bringt. · · 1: Glauben Sie nicht, daß diese Art der Beurteilung für man- che Gegenstände (Professoren) zu umständ li ch wäre? B: Sicherlich brauchen Professoren mehr Zeit dazu; eine Note wäre schneller hingeschrieben. Doch ich glaube, daß - wenn der Zwang der Note nicht mehr vorhanden ist - der Lehrer dem Schü ler näher steht und viel eher bereit ist, mit ihm zusammenzuarbeiten. So entstünde eine partner- schaftliche Beziehung, die meiner Meinung nach mehr Erfolg bringt. 1: Ich danke Ihnen sehr herzlich, daß Sie auf meine Fragen so bereitwill ig geantwortet haben. Vielen Dankl 6. Eine Umfrage in der AHS/Unterstufe (BG Steyr): Wir begannen mit unserer Umfrage in der 4. B-Klasse, in der etwa 20 Schüler(innen) anwesend waren. Wir fragten sie, ob sie Notengebung in unserer Schule heute noch sinnvoll fän- den. Ca. 80% antworteten mit ja. Sie waren der Meinung , daß sich die Eltern ohne Noten nicht über den Stand ihrer Kinder informieren, bzw. ein Urteil bilden könnten , und daß die Lei- stungen der Schü ler in der notenlosen Schule stark abfallen würden, da die l ernenden den Eifer ver lören, eine gute Note zu erzielen. Auf die Frage, ob ein notenloser Unterricht ihrer Meinung nach völ lig undurchführbar sei, antworteten sie: „Ganz unmöglich nicht. Doch dieser Unterricht müßte unter bestimmten Voraussetzungen gehalten werden. Die Schü ler müßten auch ohne Noten lernen (wol len). Sie müßten dem Lehrer „ gehorchen", auch wenn er sie für Fau lheit nicht mehr mit einer schlechten Note „ bestrafen" kann. ------- ---------- ----- 74 Die restlichen Schü ler (etwa 20%) meinten zur Notengebung bisher: ,, Die Schüler stehen unter Druck. Ohne Noten könn- ten sie für die Fächer lernen , die sie interessieren und die sie später berufl ich verwerten wollen". Weitere Gegenargumente kamen nicht. Ein ähnliches Verhältnis pro-contra war in den Klassen 1. B, 2. A, 2. B, 3. A zu beobachten. In jeder der angeführten Klas- sen interviewten wir zwischen 15 und 25 Schüler. Es waren jedoch nie mehr als fünf oder sechs der Befragten einer Klasse für den noten losen Unterricht. Man kann also sagen, daß derzeit der Großteil der Unterstu- fenschüler unserer Schu le für die Notengebung in ihrer bishe- rigen Form ist. Diejenigen , die gegen die Noten sind, vertreten ihre Ansicht zwar mit großer Uberzeugung, Tatsache ist jedoch , daß ca. 80 von 100 befragten Schü lern für die Noten sind. Laut Meinung der Mehrheit würden die Leistungen der Schü ler in der notenlosen Schu le stark abfallen, und eine sol- che Senkung des Bi ldungsniveaus ist in keiner Hinsicht wün- schenswert. Zusammenfassend ließe sich sagen: Die Noten be-werten die Begabung eines Schü lers, sie helfen ihm, sich selbst einzuschätzen. Ohne Zensuren bestünde wenig Unterscheidungsmöglichkeit zwischen fleißigen Kin- dern und solchen , die dem Unterricht nur passiv beiwohnen. Außerdem - das ist wohl ein nicht zu unterschätzendes Argu- ment - würden gute Schüler gegenüber schwachen benachteiligt werden , vor allem was den Arbeitsp latz betrifft. Fleißige, die auch Ehrgeiz besitzen, sollen nicht um ihre Chan- cen gebracht werden, sich selbst - auch beruf lich - zu ver- vol lkommnen, was ja auch wieder der Allgemeinheit zugute kommt, denn welcher Staat kann ohne wirkliche Persön li ch- keiten auskommen? Im Grunde also stel len Noten einen Vor- tei l dar, für den Schü ler, Lehrer, für all e. Ein Punktesystem ist keine brauchbare Alternative, verbale Beurtei lungen dürften schwierig sein, was Gerechtigkeit betrifft. Ein völlig neues Bewertungsprinzip, das gerecht ist , partnerschaftlich Lei- stung fördert , Talente erkennt und Menschen zur Reife führt , steht noch aus.

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