12. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1984/85

Sprache reden und sie beschreiben zu können, benöti- gen wir entsprechende Begriffe(= Metasprache). • Das ständige Vergleichen und Umdenken führt auch zu einem besseren Verständnis der Muttersprache, ihrer Eigenart und ihrer Besonderheiten (= kontrastive Sprach- betrachtung) . • Eng verbunden mit der Sprachreflexion ist das Nachden- ken über die Wirkung von Rede und Sprache(= Sprach- kritik). Unter diesem Gesichtspunkt lesen wir z. B. die RedenCiceros, die uns den gezielten Einsatz sprach licher Mittel demonstrieren. Sprachkritik betreiben wir aber auch bei der Caesarl ektü- re.Wir sehen, daß Caesar nicht nur mit Soldaten gut umzu- gehen weiß, sondern auch mit der Sprache, die er für seine Zwecke einsetzt , mit der er auch manchmal manipuliert. Der Zusammenhang von Sprache und Politik wird so durch genaue und kritische Textbeobachtung jedem ein- sichtig(= politische Bildung). • Das Arbeiten an lateinischen Texten verlangt Konzentra- tion und „ mikroskopische" Genauigkeit. Diese Konzen- tration ist notwendig wegen der Vielzahl der ablaufenden Denkvorgänge beim Übersetzen (siehe Bereich „ DEN- KEN"). Schon kleine Unachtsamkeiten können sich als schwere und sinnstörende Feh ler auswirken. • Daher entspricht auch das Arbeitstempo gar nicht der Hektik unserer Zeit. Im Lateinunterricht geht es um das ruhige und langsameVordringen zum Sinn und Kern einer Aussage. Auch wenn dieses „ Sich-Vortasten" aktiv, d. h. mit wachem und kritischem Geist betrieben werden muß, so hat es doch fast meditativen Charakter. Diese Arbeits- weise wiederum liegt manchen Schü lern von ihrem Lern- und Persönl ichkeitstyp her. 2. Bereich: DENKEN • Das Übersetzen ist ein vielseitiges geistiges Training, ein äußerst komplexer Vorgang. So wird z. B. bei einem einzi- gen Zeitwort das gleichzeitige ( = simultane) Erfassen mehrerer sprachlicher Merkmale verlangt. Als einfaches Beispiel möge "cantabam" dienen: Person ....... 1. P ·c,n@bam< ~~:~g~i~ ~~~;~kt> "ich sang" Zustandsform ... Aktiv Zusätzlich muß die richtige Bedeutung des Wortes im Zusammenhang des Textes erkannt und berücksichtigt werden. Es ist also ohne Zweifel eine beachtl iche geistige Leistung , durch gleichzeitiges Berücksichtigen mehrerer Faktoren den Sinn und Inhalt eines lateinischen Satzes zu ent- schlüsseln(= decodieren) und dann in die Muttersprache umzusetzen(= recodieren) . • Der Übersetzungsvorgang selbst stellt gleichsam ein Grundmuster des Problemlösens überhaupt dar. Auf das Erkennen des Problems(= Analyse) folgt das Auffinden von Teillösungen und schließlich- durch richtiges Kombi- nieren - das Finden und Ausformen der Gesamtlösung (= Synthese). So schult das Zerlegen von Satzstrukturen bis in die klein- sten Elemente und das erneute Zusammensetzen in der Muttersprache sowoh l „synthetisches " wie auch ·:analyti- sches" Denken. Beides ist ja Voraussetzung für Jede Art problemlösenden Denkens (besonders i.n der Technik und in den Naturwissenschaften) , und hier liegt sicher einer der Hauptgründe für die Bedeutung des Lateinun- terrichts (vgl. ,,Umweg-Rentabi lität"!). Als Beispiel für die komplexe Denkleistung, die .$chüler erbringen, möchte ich die Vorgangsweise. beim Uberset- zen eines einzigen Satzes einmal schematisch darstel len. (Es ist dies eine von mehreren Möglichkeiten , die hier nicht diskutiert werden müssen): ------------------- - - 60 ---------------------

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