12. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1984/85

DER STOSS INS WASSER Gefallen finden an der Landschaft. Das ist es, was wir hier soll- ten. Oja, natürlich ist dieser Landstrich wunderschön zu nen- nen. Die Hügel, an deren Hängen Weingärten liegen, längs der Fallinie eine Reihe nach der anderen, dazwischen in den Senkungen dichter Wald, die Baumkronen scheinen in Dun- kelgrün, Gelb bis Rotbraun. Doch es ist schwer, diese Eindrücke auf sich einwirken zu las- sen ; immer wieder stoßen die Augen dieses harmonische Bild zurück, es kann nicht in meine Gedanken, meine Gefühle ein- dringen. Meine Seele ist degeneriert, gewohnt an das mono- tone Nebeneinander von Gebäuden und Straßen. Gewohnt , alles auf mich und den Nutzen für mich selbst zu beziehen, kann sie diese Vielfalt , die Unverwechselbarkeit jedes Einzel- stückes der Natur nicht erfassen. In der Stadt ist so vieles gleich, selbst die Menschen sind gleich, benehmen sich nach dem gleichen eingelernten Verhaltensschema; hier ist diese Verschiedenartigkeit , die beinahe aufschreckt, beinahe in Angst versetzt , Angst vor dem Zusammenspiel der Natur, in das ich mich nicht einfügen kann. Ich versuche mich dann nach Anhaltspunkten zu orientieren, die mir Sicherheit geben, sei es die Straße, die auf der Anhöhe eines Hügels ihre unverwechselbar graue Wunde in das saftige Grün der abfal- lenden Wiese schlägt, sei es die Stromleitung, die ihre Kabel quer über Hügel und Niederungen unbarmherzig spannt. Obwohl Strom etwas Abstraktes ist, kann ich mir etwas vorstel- len , weil ich seine Wirkung kenne und beim Anblick von Stromkabeln nicht meinen Eindruck ins Innere des Gefühls eindringen lassen muß. Diese oberflächliche Nutzen-Assoziation bereitet mir keine Schwierigkeiten. Jedoch dieses Suchen nach Erinnerungen , dieses aktive Aufsaugen von Erfahrungen, nicht mehr passiv die Augen auf etwas richten, das kostet die Überwindung der Oberflächlichkeit, bringt das schmerzhafte, doch lustvolle Ein- dringen in die Tiefe. Natürlich bin ich versucht , beim Anblick der Weinstöcke ein Glas Welschriesling in meinem geistigen Auge entstehen zu lassen, doch mit der Zeit sehe ich den Weinstock als etwas Lebendiges, Eigenständiges. So entsteht das Gefühl , daß alles Lebendige hier, ob Pflanzen , Tiere, Men- schen , leben will, leben darf. Jetzt ist nichts mehr unwichtig, nutzlos, selbst um den Käfer, der über meine Hand krabbelt, wäre es schade. Anstatt ihn gedankenlos zu erdrücken, schenke ich ihm Auf- merksamkeit , wende ihm meinen Blick zu, beobachte ihn näher, senkt sich mein Kopf, um ihn in den Einzelheiten zu erkennen. Nun fliegt er weg . langsam erhebe ich mich. Ich werde weitergehen , um viel von dieser Landschaft aufzusau- gen , damit ich viel in mir habe, wenn es außer meiner Erinne- rung nur mehr Zeichnungen , Gemälde und einen Videofilm gibt. ---------------------- 26 ----------------------

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